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Das Geschäft mit der Berührung
Roséfarbene Wände, Entspannungsmusik. Hinter mir weiße Cremes in Tuben und Döschen, über mir das Gesicht von Annika. Sie lächelt. »Jetzt können Sie abschalten«, sagt sie, »kein Stress, eine Stunde lang.« Ich lehne mich zurück, ich schließe die Augen. Es riecht nach Reinheit und ein bisschen nach Hamamelis.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Annika beginnt, mit ihren Fingerspitzen eine Lotion auf meinem Gesicht zu verreiben, ganz vorsichtig gleitet sie über Wangen und Stirn, unter den Augen verringert sie den Druck, dort ist die Haut empfindlich. Insgesamt verteilt sie sechs verschiedene Cremes und Gels auf meinem Gesicht, manche kühlen, andere brennen. Sie beseitigt meine Hautunreinheiten, drückt Mitesser aus, berührt mich an den Lippen, an den Ohren, am Hals, pinselt mir ein Peeling auf die Haut, am Ende massiert sie meine Unterarme, meine Handflächen, dann jeden Finger einzeln. Ab und zu knackt ein Gelenk. Es kribbelt im Nacken. Nach der ersten Facial meines Lebens sind nicht nur meine Augenringe verschwunden, ich bin auch irritiert und habe ein schlechtes Gewissen. Bin ich dekadent oder bedürftig? Ist so ein Facial Luxus oder eine Notwendigkeit, um mithalten, mitreden zu können? Habe ich Annika erniedrigt oder sie mich? Wer bin ich, dass ich mir von dieser Frau, die ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen habe, meine Ausstrahlung aufpolieren lasse? Und wer ist eigentlich Annika – wenn sie überhaupt so heißt – dass sie mir für 65 Euro so nahe kommen darf, dass sie jedes Fältchen einzeln zählen könnte? Sie muss bemerkt haben, dass meine Wimpern lächerlich kurz und meine Ohrläppchen angewachsen sind. Ob sie spürt, dass ich eigentlich allergisch auf zu viel Nähe reagiere? Auf der anderen Seite fühle ich mich gut wie lange nicht; irgendwie bei mir, heiter, fast glücklich. Annika bekommt zehn Euro Trinkgeld. Dabei hat sie nur das getan, was sie gelernt hat, womit sie ihr Geld verdient: Annika ist Kosmetikerin und arbeitet bei »Horst Kirchberger«, dem renommiertesten Make-up-Studio Münchens, auf einen Termin bei ihr muss man drei Monate warten. Ihre Kundinnen sind die feinen Damen der Stadt, Vorstandsgattinnen, Schauspielerinnen, solvente Witwen, ab und zu kommen auch Männer, Unternehmensberater, Manager. Menschen mit viel Geld, von denen die einen zu wenig, die anderen zu viel Zeit haben. Sie sorgt dafür, dass diese Menschen nicht durchdrehen, vor Stress oder Einsamkeit. Sie hört sich ihre Geschichten an, reicht ihnen ein Taschentuch, wenn sie weinen, lächelt sie an, schenkt ihnen ihr Gefühl, ihre Aufmerksamkeit, ihre Haut. »Ich bin Kosmetikerin«, sagt sie, »aber auch Psychiaterin, Schwester, Tochter, Mülleimer. Eigentlich kommen nur vierzig Prozent wegen der Kosmetik. Von den anderen sind viele einsam, viele sind …«, sie hält inne, überlegt, »irgendwie beschädigt.« Hier kannst du weiterlesen: 45 Zentimeter, haben Wissenschaftler herausgefunden, so nahe dürfen uns fremde Menschen kommen.