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Berühmt werden im Internet. Ein Selbstversuch

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»Gleich gibt es Krieg«, sagt der Mann. »Das ist gut«, sagen wir. Es ist fünf Uhr früh, und wir wollen einen Film drehen, der im Internet berühmt wird – ein Krieg käme uns da recht. Der Mann heißt Roland und verkauft Fisch auf dem Hamburger Fischmarkt. Die Konkurrenz steht gegenüber – der Wagen von Hans-Peter. Die Luken öffnen sich, der Kampf beginnt. Hans-Peter schreit Roland an: »Du bist der Analkrieger!« Roland kräht zurück: »Solche Frechheiten werden euch noch vergehen!« Dann drehen die Marktschreier, wie jede Woche, erst richtig auf: »Du Hammel! Halt deine Fresse, ich sag’s dir das letzte Mal!«, brüllt Roland, ein anderer Verkäufer wedelt drohend mit einem Fisch Richtung Gegner. Sie schimpfen, wir drehen. Zwei Tage später ist der Film fertig.

Heutzutage braucht ein Journalist keinen Sendeplatz mehr, heutzutage gibt es YouTube.com. Pro Minute werden auf dem Videoportal rund 20 Stunden Material hochgeladen, von Hobbyfilmern bis hin zum ZDF. Wir wollen sehen, ob sich unser Film behaupten kann in dieser Bilderflut, ob im Netz wirklich jeder berühmt werden kann. So wie ein kleiner Junge, der von seinem Bruder in den Finger gebissen wurde. Der Vater hat das Familienvideo »Charlie bit me – again!« auf YouTube gestellt, um es Verwandten zu zeigen, es wurde zum Klassiker und seither über 180 Millionen Mal angesehen. Wir geben unseren zweieinhalb Minuten einen Namen: »Fischmarkt Fight«, in der Hoffnung, dass viele Menschen auf YouTube nach »Fight« suchen. Den Film versehen wir mit englischen Untertiteln, das erhöht die Zielgruppe und klingt dann so: »You are the anal warrior.« Na ja, hochladen. Die ersten 20 Klicks kommen von uns selbst. Danach wird getwittert, gepostet, gemailt und gebloggt, unsere Freunde sollen von dem Film erfahren. 300 Klicks. Dann ist vorübergehend Schluss. Wenn ein Video nach wenigen Minuten so oft angesehen wird, prüft YouTube, ob Manipulation vorliegt: um sicherzustellen, dass nicht immer derselbe Mensch klickt, sondern 300 verschiedene an 300 Rechnern. Am nächsten Morgen steht die Zahl: 600 Klicks. Unsere Hauptakteurin nennt sich »Seezunge«, sie hat das Video online gestellt, betreibt ihren eigenen Twitter-Account, hat ein Facebook-Konto und mehrere Mailadressen. Sie verschickt E-Mails, die niemand will: »Schaut euch diesen Film an, der ist krass. Hier ist der Link.« Seezunge schreibt unpassende Gästebucheinträge und mischt sich zusammenhangslos in Foren ein. Seezunge wird zum Spammer. StudiVZ, Facebook, Twitter: 2000 Klicks. Neon, Spiegel online, FC St. Pauli Online: 4000 Klicks. In vier Tagen. Dann steht der Zähler wieder. Eine Nachricht von der Hamburger Morgenpost überrascht uns: »Hallo Seezunge, wir würden das Video vom Fischmarkt gerne auf mopo.de zeigen. Wäre das in Ordnung?« Klar. 6000 Klicks. Wir mischen uns unter die User und kommentieren unser eigenes Video. Ein paar Tage darauf erscheint auf der Webseite des Kölner Express ein Beitrag über unser Video. 8000 Klicks. Die einflussreichen »Werbeblogger« haben den Film auf ihre Seite gehoben. Seit fünf Tagen steht der Film im Netz, wir sind bei 9000 Klicks. Es häufen sich die Kommentare. Das Video sei peinlich und großartig und abartig und überhaupt sei bestimmt alles nur gestellt. Seezunge antwortet niemandem, aber wir antworten ihr: Unter dem Pseudonym »Sockenzirkus« stellen wir auf YouTube ein zweites Video ein, auf dem wir den Fischmarkt-Streit mit Handpuppen nachspielen. Berühmte YouTube-Videos werden nachgestellt, die höchste Form der Ehrung. Unser Handpuppen-Theater will niemand sehen, ein User namens »DMHaZz« zeigt uns, wie es besser geht: Er hat unseren Film gnadenlos geschnitten und umbenannt in »Fishfight, motherfucker!« Dazu ein paar billige Effekte, es brennt, es knallt, es explodiert. Seezunge schreibt dem Unbekannten: »Schön, dass dir unser Film gefällt.« DMHaZz antwortet, dass man den Film in den richtigen Foren bekannt machen muss, zum Beispiel auf isnichwahr.de. Er hat recht. 20 000 Klicks. Wir finden noch mehr Plattformen für platten Humor: lachschon.de, lustich.de, krautchan.net. Die erste Woche endet mit 25 000 Klicks. Lies weiter bei den Kollegen vom SZ-Magazin.

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