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Augen zu und durch

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»Ohne meinen Mann konnte ich nicht einschlafen, das war mein ganzes Leben lang so. Wir hatten ein Ritual: Ich habe vor dem Einschlafen gelesen, er hörte Radio. Wenn ich meine Brille abnahm, wusste er, dass es Zeit zu schlafen war. Dann hat er das Radio ausgemacht und das Licht gelöscht. Unser Bett war nur 140 Zentimeter breit, aber gestört habe ich mich nie gefühlt, nicht einmal, als mein Mann später zu schnarchen begonnen hat. Das hat mir nichts ausgemacht, ich habe ihn doch geliebt. Schwierig wurde es erst, als er mit 56 einen Herzinfarkt hatte. Danach lag ich oft nächtelang wach und lauschte, ob er noch atmete. Immer wenn er kurze Pausen machte, flüsterte ich ihm ins Ohr: Nicht aufhören, Schatz, du musst atmen! Ein paar Jahre später wurde er an der Prostata operiert. Danach hatten wir keinen Sex mehr. Aber er lebte, und wir waren zusammen, darauf kam es an. Jede Nacht prüfte ich, ob er bequem lag und ob seine Füße warm waren. Vor viereinhalb Jahren ist er gestorben. Seitdem liegen seine zwei Stoffbären neben mir im Bett. Mit denen rede ich jeden Abend und jeden Morgen. Manchmal schimpfe ich sogar, dass er mich allein gelassen hat. Ich genieße es schon, dass ich mich ausbreiten kann und ins Bett gehen kann, wann ich will, aber wenn mein Mann wieder neben mir liegen könnte, würde ich auf dieses Privileg sofort verzichten.« Helga Baronas, 69, München

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Paul C. Rosenblatt, Professor für Sozialwissenschaften an der University of Minnesota, versteht die Welt nicht mehr. Bisher hatten sich immer nur ein paar Kollegen für seine Bücher interessiert, wenn er Glück hatte, auch ein paar Studenten, und plötzlich wollen alle etwas von ihm: Dreimal war er schon im Fernsehen, ständig rufen Journalisten an und jeden Tag bekommt er E-Mails von Menschen, die begeistert davon berichten, wie sein Buch ihr Leben verändert habe. Irgendetwas an diesem Werk berührt die Menschen, irgendetwas macht sie dankbar. Dabei war es ursprünglich gar nicht für den Handel vorgesehen. Es scheint, als habe ausgerechnet ein 67-jähriger Professor einer Provinzuniversität das Buch geschrieben, auf das die Welt gewartet hat. Ein Buch, das genau die Fragen beantwortet, die sich jeder von uns schon tausendmal gestellt hat: Wie geht es zu in den Schlafzimmern der anderen? Der Freunde, der Nachbarn, der Kollegen? Wie schlafen sie ein? Wie wachen sie auf? Reden sie vor dem Schlafengehen oder schauen sie fern? Schlafen sie eng umschlungen oder weit auseinander? Nackt oder im Pyjama? In einem oder in zwei Betten? Two in a Bed – The Social System Of Couple Bed Sharing – so der akademische Titel des Werks – befreit seine Leser von einer Angst, die jeder kennt, der sein Bett mit einem Partner teilt. Von der Angst, dass es in allen anderen Schlafzimmern aufregender zugeht als im eigenen. Dass andere Paare gerade den fünften Stellungswechsel vornehmen, während man selbst das Heizkissen ausknipst, die Rheumadecke ausbreitet oder sich nach einem Gutenachtküsschen auf die eigene Seite dreht. Rosenblatt hat mit 42 Paaren zwischen 21 und 77 Jahren über Schlafgewohnheiten und Bettrituale gesprochen. Er hat die Interviews ausgewertet und ein Buch damit gefüllt, das beweist: Kein Paar muss sich dafür schämen, Abend für Abend nach dem gleichen, leidenschaftslosen Ritual ins Bett zu gehen – alle machen es so. Kein Paar muss sich davon verunsichern lassen, wenn es nicht reibungslos gelingt, die Schlafgewohnheiten beider Partner miteinander in Einklang zu bringen. Sich ein Bett zu teilen gehört zu den komplexesten Aufgaben, denen man sich in einer Partnerschaft zu stellen hat. Ohne Arrangements, ohne Kompromisse geht es nicht. Ein Großteil der Paare gab an, im Laufe der Jahre minutiöse Bettroutinen entwickelt zu haben, fast alle gestanden, nach leidenschaftlichen Nächten am Anfang später egoistischer und pragmatischer geworden zu sein. Mit anderen Worten: Erst ging es darum, ineinander verkeilt oder wenigstens Arm in Arm zu schlafen, später um eine störungsfreie Nacht. Erst ging es um Sex, später um Vertrautheit und Intimität. Bei keinem einzigen Paar war das Sexleben im Laufe der Beziehung intensiver geworden. Während junge Paare gemeinsam ins Bett gehen, suchen ältere Paare oft um mehrere Stunden versetzt das Schlafzimmer auf. Die individuellen Schlafgewohnheiten, die am Anfang – meistens von den Frauen – unterdrückt werden, melden sich zurück, der persönliche Biorhythmus fordert sein Recht. Das Erstaunliche: Obwohl die meisten der befragten Personen überzeugt davon waren, dass sie ohne einen Partner neben sich besser schlafen würden, kamen nur für die wenigsten getrennte Betten in Frage. Auf das Gefühl der Nähe, auf die Vertrautheit und Geborgenheit wollte niemand verzichten, am wenigsten die Frauen. Während am Anfang vor allem sie es sind, die sich danach sehnen, berührt und gestreichelt zu werden, finden es fast alle Paare im Laufe ihrer Beziehung angenehmer, ohne ständigen Körperkontakt einzuschlafen. Die meisten wechseln von einem schmaleren zu einem breiteren Bett, von einer gemeinsamen Decke zu zwei Decken. Den Männern ist es häufig zu warm im Bett, die Frauen klagen über kalte Füße. Die meisten Paare sprechen vor dem Einschlafen wesentlich mehr als am Morgen, fast immer sind es die Frauen, die das Gespräch eröffnen und größere Sprechanteile besitzen. Auffallend auch, dass sich Frauen doppelt so häufig hellwach im Bett hin und her wälzen wie Männer: »Es scheint, als könnten Frauen die Sorgen des vergangenen Tages schlechter abstreifen, als würden sie intensiver über Fragen grübeln, die sie belasten«, sagt Paul Rosenblatt. Tatsächlich ist es so, dass Frauen doppelt so oft mit Schlafproblemen zu kämpfen haben wie Männer. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Frauen doppelt so oft vor dem Einschlafen noch ein Buch oder eine Zeitschrift in die Hand nehmen. Weiterlesen >

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