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Warum Uni-Freundschaften keine echten Freundschaften sind

Foto: Alexis Brown/Unsplash

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Es war ein bisschen wie ein Campus-Märchen. In der Einführungswoche begegnete ich Lotte*. Ihr von Sommersprossen übersätes Gesicht und die zerzausten Locken waren mir ab Minute eins sympathisch. Nach einem kurzen Smalltalk, vertieften wir unser Gespräch in Gemeinsamkeiten: Wir beide verließen zum ersten Mal das Elternhaus, waren neu in der Stadt und die einzigen bekannten Gesichter gehörten den Mitbewohnern. Keine wusste, was auf sie zukommen würde, jede von uns machte einen kleinen Neuanfang.

Von diesem Tag an klebten wir wie Kaugummi aneinander und Lotte rettete mich vor vielen Krisen in meiner Studienzeit. Womit sie reichlich zu tun hatte. Im ersten Semester beschütze sie mich vor teuren Nachzahlungen, in dem sie drei Tage lang meinen BAföG-Antrag ausfüllte. Quälte sich mit mir durch Lernphasen und unterstütze mich bei Hausarbeiten. Wir stimmten Stundenpläne aufeinander ab und gründeten ein Jahr später die gammeligste WG im Ruhrgebiet. Wir nahmen so ziemlich jede Semesterparty mit und tranken unsere Kommilitonen unter den Tisch. Nicht selten hielt sie mich auf dem Weg zu langweiligen Seminaren von dem erstbesten Einkehrschwung in das Uni-Café (bei uns heißt es U-Café) ab. Für mich stand fest: Das kann keine Phase sein. Lotte bleibt lebenslänglich.

Und obwohl wir uns in der Uni kennenlernten, verband uns mehr als eine Zweckgemeinschaft zum Lernen. Auf dem Campusfest verhinderte sie sogar, dass ich mich versehentlich dem falschen Mann um den Hals warf. Allein so etwas schweißt zusammen.

Nach vier Jahren Bachelor-Studium gabelten sich unsere Wege: Aus der Gammel-WG wurde eine schicke Altbauwohnung, monatelange Semesterferien wurden gegen 30 Urlaubstage eingetauscht, Partys gegen Kochabende und aus Lottes Beziehung entwickelte sich eine Ehe mit Kind. Und zwar in ihrem Wohnort, der 500 Kilometer weit weg von mir entfernt liegt. Ihr Lebensentwurf wurde allmählich das genaue Gegenteil von meinem. Unser Austausch beschränkt sich heute auf knappe Geburtstagsglückwünsche und Gefällt-mir-Klicks unter Urlaubsfotos auf Facebook. Heute bin ich einerseits enttäuscht über das plötzliche Freundschaftsaus und frage mich andererseits, ob Uni-Freundschaften manchmal vielleicht doch keine richtigen Freundschaften sind.

Dazu habe ich einen Experten aufgesucht

„Aristoteles hat schon zwischen Herzensfreundschaften, Freizeitfreundschaften und den Freundschaften für den Nutzen unterschieden”, erklärt der promovierte Psychologe Wolfgang Krüger. Erst, wenn wir unserem Gegenüber von unserem Liebeskummer und der Scheidung unserer Eltern erzählen können, zählen sie zu unseren Herzensfreundschaften. 

Lotte tat mir in vielerlei Hinsicht gut. Unsere aufgeregten Dialoge mitten in der Nacht handelten selten von Creditpoints und vielmehr von Trennungen oder Konflikten mit der Familie und Freunden. Ich schüttete ihr mein Herz aus und umgekehrt.

Um Menschen kennenzulernen, muss man im Alltag selbstbewusst und offen auf Menschen zugehen. Man sollte sich selber gut kennen und das Potenzial haben, anderen seine Stärken und Schwächen mitzuteilen. In der Universität ist es verhältnismäßig einfach neue Bekanntschaften zu schließen. „Da man in der gleichen Lebensphase steckt, die gleichen Herausforderungen auf einen warten und man sich über die gleichen Dinge freuen oder ärgern kann”, so Krüger. Lotte und ich konnten uns immer besonders gut über technikscheue Dozenten, unsere hohen Büchertürme während Hausarbeiten und den Mensafraß ärgern. Und tatsächlich war das zusammen auch irgendwie angenehmer.

„Um eine Begegnung zu vertiefen, brauchen wir darüber hinaus Anlässe uns regelmäßig zu sehen”, erklärt Krüger. Durch regelmäßige Lehrveranstaltungen und Klausurphasen passiert das am Campus ganz automatisch. Ebenso wichtig sind gemeinsame Einstellungen. In Punkto Deadlines waren Lotte und ich uns von Anfang an ziemlich einig. Wie ich zählte sie auch eher zu den Aufschiebern und Nicht-Planern, die um ihr Gewissen zu beruhigen aber fleißig To-Do-Listen schreiben. Wir litten beide unter Prokrastination im höchsten Stadium und haben jede Deadline maximal ausgereizt.  „Teilt man all das dann ein halbes Jahr, fühlt man sich eng verbunden und spricht schnell von Freundschaft”, sagt Krüger.

Und auch, wenn die Basis stimmt, ist das mit der Freundschaft leider nicht ganz so einfach. Die Zeit am Campus ist eine Besondere. Anders als im Alter von 35 bis 45 Jahren, sei es als Student vermutlich fast schon zu leicht, neue Freundschaften zu schließen, meint Krüger.

In dieser Lebensphase führen wir meistens eine stabile Partnerschaft und stecken fest im Berufsleben. Wir verfügen über ausreichend soziale Kontakte und habe nur wenig Kapazitäten für Neue. Im Studium sind wir hingegen ungebunden und lernen in der Vorlesung und WG-Parties ständig Leute kennen. „Ich habe nie wieder im Leben so viel Auswahl”, sagt Krüger. Außerdem sei es viel einfacher, sich intime Dinge zu erzählen. „Weil man ein Leben in hoher Unsicherheit führt. Ähnliche Ziele verfolgt, aber noch nichts erreicht hat”, sagt Krüger. Lotte und ich hatten schon sehr früh eine konkrete Vorstellung davon, was wir nach unserem Politikstudium wollten: bahnbrechende Forschung machen, eine gemeinnützige Organisation gründen und humane Arbeitsbedingungen einführen. Geschafft hatten wir gerade mal die Grundlagenklausur.

Warum Uni-Freundschaften kaputt gehen

Zieht man dann nach dem Studium in eine andere Stadt, stellt man die Freundschaft auf eine Bewährungsprobe. „Oft sind Campusfreundschaften aber Durchschnitts- oder Freizeitfreundschaften”, sagt Krüger. Und diese müssten teilweise sogar ersetzt werden. Schließlich trennen einen mehrere Kilometer voneinander. Um also nicht allein Joggen oder ins Kino zu gehen, braucht man neue Begleiter. Grundsätzlich lässt sich also festhalten, dass veränderte Lebensumstände wie der Umzug in einer andere Stadt zwangsläufig auch unseren Freundeskreis verändern.

Bei der Wahl von Kindergärten und Spielplätzen kann ich Lotte aus der Ferne schließlich nicht weiterhelfen. Da ich weder vor Ort noch Mutter bin. „Wir befinden uns also in einem ständigen Selektionsprozess, in dem Freundschaften im Schnitt nach drei bis sechs Jahren automatisch kaputt gehen, weil man keine Bindung mehr hat, die besonders hoch ist”, sagt Krüger. Oftmals verändert sich in diesen Zeitspannen nämlich etwas in unseren Leben: Die Kinder werden eingeschult, man wird befördert, wechselt den Arbeitgeber und zieht unter Umständen noch mal in eine andere Stadt. Alte werden durch neue Wegbegleiter ausgetauscht. Ganz automatisch. Schließlich möchte man künftig über Nachhilfeunterricht oder den nervigen Chef ratschen. Die Gespräche über alte Zeiten reichen dann in vielen Fällen nicht mehr aus, um eine Freundschaft am Laufen zu halten.

War Lotte also nie so richtige Freundinnen? Doch. Unsere Leben sind inzwischen nur mit anderen Aktivitäten, Freuden und Sorgen vollgepackt. Ihres mit Elternabenden, Lauftreffs und Besuchen von den Schwiegereltern und meins mit Zugfahrten, Fortbildungen und Konferenzen. Oft springt da dann noch ein Partner in unmittelbarer Nähe rum, der ebenfalls unterhalten werden will.

Obwohl Campusfreundschaften also eine andere Halbwertszeit besitzen, sind sie echt. Schließlich unterstützen sie uns in einer schwierigen Lebensphase. Ohne Lotte wäre ich jedenfalls ziemlich aufgeschmissen und einsam gewesen. Und wer weiß: Vielleicht ist das Leben ja eines Tages nicht mehr so vollgestopft mit Dingen. Lottes Kinder sind erwachsen, die Männer verschwunden und wir ziehen ganz dem Trend entsprechend nochmal in eine Senioren-WG. Ich lasse mich überraschen.

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