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Studenten in den USA hungern oder sind obdachlos

Foto: Sara Goldrick-Rab

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Die Hälfte der Studenten hat ihr Studium wegen Geldsorgen abgebrochen, manche konnten sich nicht mal etwas zu Essen leisten: Fakten wie diese hat Sara Goldrick-Rab bei einer sechs Jahre langen Studie unter 3000 Studenten im US-Bundestaat Wisconsin herausgefunden. Alle ihre Teilnehmer erhielten für ihr Studium finanzielle Unterstützung aus einem staatlichen Programm („Pell Grant“) – aber das Geld reichte nicht aus, nicht mal mit diversen Nebenjobs und rigidem Sparen. Und alle Studenten haben sich hoch verschuldet. Aus der Studie ist das viel gelobte Buch „Paying the Price. College Cost, Financial Aid and the Betrayal of the American Dream“ entstanden. Wir haben Sara Goldrick-Rab, die sich selbst als „akademische Aktivistin“ beschreibt, gefragt: Was läuft falsch im amerikanischen Uni-System? Und wie könnte man es verbessern?

Jetzt: Alle Teilnehmer Ihrer Studie – vor allem die sechs, mit denen Sie immer wieder Einzelinterviews geführt haben – haben ihr Studium motiviert und mit großen Erwartungen angefangen. Wie haben sie sich im Laufe der Zeit verändert?

Sara Goldrick-Rab: Sie haben die Hoffnung verloren. Sie wurden verbittert und haben darüber nachgedacht, ob es sich überhaupt lohnt, zu studieren. Mich wundert darum auch der aktuelle Wahlkampf gar nicht: Ich kenne jetzt die Menschen, die sich von unserem System ausgeschlossen fühlen, und darum wütend sind.

Gab es eine Geschichte, die Sie besonders bewegt hat?

Es hat mir das Herz gebrochen, zu sehen, wie sehr eine der Teilnehmerinnen gekämpft hat: Chloe hat versucht, zwei Jobs zu stemmen und trotzdem noch gute Noten zu bekommen. Sie wurde immer dünner und dünner. Sie hat es einfach nicht geschafft und nach einem Semester abgebrochen. Die größte und traurigste Überraschung war, dass einige der Studenten hungern mussten. Andere waren sogar obdachlos.

Tyler, ein anderer Teilnehmer, sagte, dass er zur „missing class“ gehört, also weder zur Mittel-, noch zur Unterschicht – und sich darum das Studium eigentlich nicht leisten kann. Warum ist das so?

Das ist ein wichtiges Zitat, denn er hat damit ein großes Problem sehr gut beschrieben! Tyler hat zwar finanzielle Hilfe für sein Studium bekommen, aber eben nicht so viel, wie er gebraucht hätte. Und es gibt viele aus dieser „missing class“, die gar nichts bekommen – weil ihre Familien zu viel verdienen, um sich für die staatliche Hilfe zur qualifizieren, aber auch zu wenig, um die Uni selbst zu bezahlen.

Wir müssen glaube ich kurz klären, über welche Beträge wir hier sprechen: Wie viel kostet ein Studium in den USA?

Für ein Community College (die günstigste, zweijährige Form der amerikanischen Hochschulen, Anm. d. Red.) zahlt ein Student bis zu 11.000 oder 12.000 Dollar pro Jahr für Studiengebühren, Lebensunterhalt, Bücher und so weiter. Für eine öffentliche Uni, an der er in vier Jahren einen Bachelor machen kann, zahlt er noch mal wesentlich mehr, zum Teil bis zu 20.000 Dollar. Ein Student aus einer Familie mit niedrigem Einkommen, das heißt mit weniger als 30.000 Dollar Jahreseinkommen, hat Anspruch auf staatliche Unterstützung für sein Studium. Er zahlt mit dieser Hilfe aber immer noch 8000 Dollar am Community College und entsprechend mehr an der Uni.

Der Preis, den die Studenten für den Zugang zu den Ressourcen zahlen müssen, ist viel zu hoch

Sie unterscheiden die „Kosten“ und den „Preis“ für ein Studium – und sagen, dass der „Preis“ das eigentliche Problem ist. Was ist der Unterschied?

Die Kosten sind das, was jeder für die Ressourcen seiner Ausbildung zahlen muss – also alles, was es braucht, einen Lehrplan für die Studenten zusammenzustellen und sie auszubilden. Der Preis ist das, was den Studenten berechnet wird, damit sie Zugang zu diesen Ressourcen haben. Und in den USA ist dieser Preis sehr hoch.

Warum?

Zum einen, weil der Staat viel weniger davon übernimmt als früher. Als Beispiel: Wären die Studiengebühren pro Person 100 Dollar, dann hätte der Staat davon früher 75 bis 80 Dollar gezahlt und der Student nur 20 bis 25. Heute zahlt der Staat – wenn man in diesem Beispiel bleibt – weniger als 50 Dollar, also ist die Gebühr für die Studenten viel höher. Auf der anderen Seite liefern sich die Unis eine Art Wettkampf, durch den die Preise immer weiter steigen: Jede versucht, sich als beste darzustellen – und zwar nicht unbedingt durch die beste Ausbildung, sondern durch die aufwändigste Ausstattung.

Ihre Studie beweist: Die staatliche Unterstützung für Studenten – in etwa vergleichbar mit dem deutschen BAföG – reicht nicht aus, um das Studium zu finanzieren. Was läuft da falsch?

Die staatliche Finanzhilfe ist politisch unpopulär und dadurch unterfinanziert. Und das System ist viel zu kompliziert: Es ist für jeden Studenten ein riesiger bürokratischer Aufwand, überhaupt Geld zu bekommen.

Die Unis entscheiden, wie viel Geld man bekommt

Sie schreiben dazu: „Finanzielle Unterstützung ist kein Bargeld. Du kannst dir davon keine Milch kaufen.

Genau! Denn du bekommt das Geld nicht direkt, sondern die Uni verwaltet es. Erst nachdem sie darüber entschieden hat, wie viel dir zusteht, wird es dir überwiesen – und das kann dauern. Und: Du kannst nicht damit planen, weil du dich nicht darauf verlassen kannst, dass du die volle Summe bekommst. Vielleicht entscheidet deine Uni anders und dann kriegst du weniger als gedacht.

Bernie Sanders, Hillary Clintons Gegner im Wahlkampf um die Kandidatur der Demokraten, hat unter anderem ein kostenloses Studium gefordert. Ist das Thema dadurch präsenter geworden?

Ja, Sanders hat sehr viel bewegt! Wenn er nach der Wahl eine größere Rolle im Kongress bekommt, wird das extrem helfen. Und auch Hillary Clinton hat immerhin begriffen, dass es ein Problem gibt, und ein paar Ideen, wie man es lösen könnte. Durch Sanders sind jetzt auch viele junge Menschen selbst motiviert, dafür zu kämpfen, dass die Politik zu ihren Gunsten geändert wird. Meine Studenten verweisen dabei übrigens oft auf das deutsche System.

Weil das Studium bei uns umsonst ist?

Genau. Ich muss ihnen dann immer wieder sagen, dass unsere Hochschul-Systeme sehr unterschiedlich und kaum zu vergleichen sind. Ihr schickt zum Beispiel auch nicht so extrem viele Leute an die Uni. In den USA haben wir heute die höchste Highschool-Abschluss-Rate, die es je gab, und es gehört dazu, dass man danach studiert.

In Amerika gibt es keine Alternative zum Studium - also muss das System verbessert werden

Das ist Teil des Problems, oder? Sie schreiben, dass ein Hochschulabschluss in den USA wichtiger ist denn je. Dass man studieren muss, um sich später ein gutes und sicheres Leben leisten zu können.

Ja, es gibt hier einfach keine Alternativen zum Studium. In Deutschland könnt ihr stattdessen auch eine gute Lehre machen, das gibt es in dieser Form bei uns nicht. Dieses Land will also, dass die Menschen studieren. Aber wenn es das so sehr will, dann muss es auch ein System haben, das ihnen dabei hilft.

Wie könnte man das System verbessern?

Erst mal müssten die Grundbedürfnisse gesichert werden. Kinder, deren Eltern nicht genug Geld haben, kriegen Frühstück und Mittagessen von der Schule gestellt, damit sie lernen können. Fürs Studium gibt es das nicht, dabei würde das sehr helfen!

Was noch?

Ein Programm, das es schon gibt, nennt sich „Work-Study“: Es bedeutet, dass du einen Job auf deinem Campus annehmen kannst, und die Regierung subventioniert diese Jobs. Viele sind dafür qualifiziert, aber kriegen keine Stelle, weil derzeit nicht genug Geld in das Programm gesteckt wird. Das könnte man ausbauen. Wir könnten auch die Lebenshaltungskosten während des Studiums senken, indem wir bezahlbarere Unterkünfte für Studenten bereitstellen. Und ganz wichtig: Mindestens zwei Jahre Studium müssen kostenlos sein!

Hat das Land denn das Geld dafür?

Natürlich! Wir finanzieren derzeit zwölf Jahre Ausbildung bis zum Highschool-Abschluss – wenn wir 14 finanzierten, wäre schon viel gewonnen. Dann könnte jeder einen Abschluss an einem Community College machen und nach den zwei Jahren entscheiden, ob er noch weitermachen kann oder will. Er wäre dann in jedem Fall in einer deutlich besseren Ausgangsposition als jetzt.

Was bedeutet es für die Zukunft der USA, wenn ihr es nicht schafft, dass Studium wieder bezahlbar zu machen?

Wir werden definitiv nicht die Ersten im globalen Wettbewerb sein können, weil wir unsere Talente nicht gut genug fördern. Und im Inland werden wir mehr Situationen wie den aktuellen Wahlkampf haben, mit sehr vielen Menschen, die sehr wütend sind. Das Gute ist: Das Problem besteht noch nicht lange, sondern ist eine Entwicklung der letzten 15 bis 20 Jahre. Ich denke also, dass wir es noch schaffen können, sie aufzuhalten. Wir haben immerhin mal einen Mann auf den Mond geschickt, dann werden wir es ja wohl hinkriegen, die richtigen politischen Entscheidungen zu treffen!

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