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Staatsexamen in Bayern: Zu hart für angehende Lehrkräfte?
Der Moment, in dem sie den Brief mit dem Ergebnis ihres Staatsexamens in den Händen hielt, war für Theresa der nervenaufreibendste ihres Lebens. „Mein Puls war auf 180 und dann stand da auf dem Schreiben, mit dem Charme eines Kassenbons: durchgefallen. Absolutes Worst-Case-Szenario. Der ganze Stress der letzten Monate war völlig umsonst“, erzählt die 30-Jährige heute, Monate später, am Telefon. Sechs Jahre lang hatte sie Lehramt an der Katholischen Universität Eichstätt studiert, ein Jahr lang hatte sie sich auf ihr Staatsexamen vorbereitet und während und nach den Prüfungen unter maximaler Anspannung gestanden. Und dann das.
Theresa ist bei weitem nicht die einzige, bei der das bayerische Lehramtstaatsexamen Angst, Stress und Überforderung ausgelöst hat – und die am Ende nicht bestanden hat. Laut Berechnungen des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnen Verbands (BLLV), kommen etwa 40 Prozent der angehenden Lehrer*innen nie im Klassenzimmer an. Das Kultusministerium schätzt diese Quote zwar niedriger, auf etwa 20 Prozent – Klar ist aber: Viele bleiben auf der Strecke. Gleichzeitig hat eine andere Berechnung des BLLV ergeben: Bis 2025 werden mehr als 10 000 Lehrer*innen in Bayern fehlen. Was helfen würde? Aus Sicht des BLLV: eine Reform des Staatsexamens.
„Das Deprimierende war: Es hat nicht gereicht, zu verstehen“
Doch was macht diese Prüfung so schlimm für viele? Gerrit ist 27 Jahre alt und Referendar an einem Gymnasium. Er hat sein Staatsexamen im Frühjahr 2020 bestanden, aber ebenfalls damit gekämpft. „Ich habe zum Beispiel stundenlange Lernspaziergänge mit meinen Vokabelkarten gemacht, um mir Modelle einzuprägen. Das Deprimierende war: Es hat nicht gereicht, sie zu verstehen. Im Examen sollten wir sie in Form einer Skizze mit allen Details zeichnen können.“ Das Auswendiglernen habe pro Modell bis zu zehn Stunden gedauert. „Ich habe gepokert und habe nur zehn Modelle gelernt, hätte ich auf Nummer sicher gehen wollen, hätten es eher 50 sein müssen. In der Schule brauche ich diese Modelle nie wieder. Da reicht es, wenn ich den Inhalt verstanden habe.“
Gerrit ist 27 Jahre alt und Referendar an einem Gymnasium.
Im ersten Staatexamen für Lehrkräfte wird nicht hauptsächlich geprüft, ob die Lehrkräfte aus pädagogischer Sicht „schultauglich“ sind. Das steht erst im zweiten Examen nach einem zweijährigen Referendariat in der Schule im Fokus. Das erste Examen prüft vor allem, wie gut sich die Lehramtsstudierenden in ihren jeweiligen Fächern auskennen. Das wird in mehreren Teil-Prüfungen abgefragt. Gerrit lernte dafür nicht nur Modelle, sondern auch Artikel und Studien mit allen Jahreszahlen und Namen der Autor*innen auswendig, um im Examen aus dem Stand eine kleine Hausarbeit schreiben zu können. „Es ist dabei völlig utopisch, einen ganzen Fachbereich so detailreich beschreiben zu müssen“, sagt er. „Es wäre doch viel wichtiger, zu prüfen, ob wir Wissen gut an die Schüler*innen vermitteln können.“
Aus diesem Grund hat er eine Petition des BLLV unterzeichnet: In „Stexit“ fordern die Unterzeichner*innen das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus dazu auf, das erste Staatsexamen zu modernisieren und fairer zu gestalten. Der Verband hat dafür 13 Forderungen an das Kultusministerium formuliert. Zum Beispiel: Dass Uni-Mitarbeitende konkret beim der Vorbereitung auf das Staatsexamen unterstützen sollten. Aber auch eine faire und transparente Notenvergabe. Am 29. April haben Vertreter*innen des BLLV die Petition mit 5700 Unterschriften und mehr als 400 Kommentaren von Betroffenen an den Bayerischen Landtag übergeben. Im Moment wird die Petition im Bildungsausschuss behandelt.
Die Idee, eine Petition ins Leben zu rufen, hatte der Vorstand der Studierenden im BLLV. Laura Teichmann ist die Vorsitzende des Gremiums, die 28-Jährige studiert in Passau Mittelschullehramt. „Die Petition ist uns wichtig, als ein Zeichen, dass wir Studierende gehört und ernstgenommen werden“, erzählt Laura im Telefongespräch mit jetzt. Der Anlass für die Petition seien nämlich die vielen Zuschriften von Studierenden ans Hochschulreferat gewesen.
„Die Petition ist uns wichtig, als ein Zeichen, dass wir Studierende gehört und ernstgenommen werden“, erzählt Laura Teichmann, Vorsitzende des Gremiums des BLLV.
Viele Studierende verstehen nicht, warum die Hürde so hoch sein muss – Wo Bayern in Zukunft doch verstärkt Lehrkräfte brauchen wird. So auch Gerrit: „Es ist super schade, wenn ich in die Lehrerzimmer schaue und da so viele potentiell gute Lehrer*innen fehlen. Und das nur wegen der riesigen Hürde des Staatsexamens“, sagt Gerrit. Er habe bei einigen Kommiliton*innen mitbekommen, wie sie durchs Examen gefallen sind. Dass sie sich dann durch den Stress und die psychische Belastung gegen einen Zweitversuch entschieden und vom Lehrer*innenberuf abgewandt haben.
Das seien keine Einzelfälle, das System müsse sich ändern. Vor allem die Gewichtung der Noten: „Die Tatsache, dass das Staatsexamen 60 Prozent und der Rest meines jahrelangen Studiums nur 40 Prozent zählen, hat mich sehr belastet. Meine berufliche Zukunft hing vom Bestehen des Staatsexamens ab und das, obwohl ich vorher schon über 60 Prüfungen absolviert hatte.“
Obwohl Theresa im zweiten Anlauf bestanden hatte, hat sie sich vom Lehren abgewandt
Das Kultusministerium sieht keine Notwendigkeit, etwas an dieser Gewichtung zu ändern. Die Modulprüfungen, die über das Studium verteilt abgelegt werden, seien zwar ein wichtiger Bestandteil des Studiums, antwortet das Ministerium auf Anfrage von jetzt. Aber: „Eine stärkere Gewichtung dieser Modulprüfungen (...) hätte zur Folge, dass die bayernweite Vergleichbarkeit der Einstellungsnote sinkt und die Qualitätssicherungsfunktion der Ersten Staatsprüfung eingeschränkt wird.“ Die Inhalte der Staatsexamens-Prüfungen sind bayernweit identisch – anders als die der Modulprüfungen, die die Universitäten stellen.
Nachdem Theresa beim ersten Versuch durchs Staatsexamen gefallen war, musste sie das gesamte Examen in diesem Fach wiederholen. Zwei von vier Lateinprüfungen hatte sie bestanden – trotzdem musste sie alle vier noch einmal schreiben. Obwohl sie im zweiten Anlauf bestanden hat, hat sie der erste Misserfolg sehr verunsichert. So sehr, dass sie sich schließlich von ihrem Traum, Lehrerin zu werden, verabschiedete. „In der Examensphase habe ich das ganze System der Lehrerinnen-Ausbildung als intransparent und ungerecht empfunden. Daher war meine Motivation, mich davon weitere zwei Jahre im Referendariat abhängig zu machen, gering. Ich war außerdem sehr verunsichert, ob meine Fachkompetenz in Latein ausreichen würde“, erzählt sie. Mittlerweile ist sie Psychologin.
Sie hätte sich eine anspruchsvolle, aber berechenbare Prüfung gewünscht. Eine Prüfung, die weniger Ängste und Sorgen hervorruft. Dafür mehr Motivation, zu lernen und sein Wissen zu vernetzen.
Gerrit fragt sich deshalb, ob das Staatsexamen am Ende des Studiums überhaupt noch eine zeitgemäße Prüfung ist. „Es geht komplett an dem vorbei, was wir übers Prüfen in unserer Ausbildung lernen. Wir müssen für das Examen überwiegend auswendig gelerntes Wissen wiedergeben, das bringt meinen Schüler*innen später überhaupt nichts. Im 21. Jahrhundert, wo Wissen für alle verfügbar ist, ist stures Auswendiglernen nicht mehr zeitgemäß.“ Man müsse vielmehr lernen, wie man Wissen einsetzt.
Das bayerische Kultusministerium sieht das so: „Qualität ist zeitlos.“ Deshalb sei auch das Staatexamen eine zeitgemäße Prüfung. Die Erste Staatsprüfung sei „das Markenzeichen der bayerischen Lehrerausbildung, die bundesweit sehr hohe Anerkennung erfährt.“ Das Ministerium versichert aber auch, dass es offen für Neues sei, Anregungen gerne aufnehme und das Staatsexamen ständig weiterentwickle.
Das Kultusministerium sagt dazu: „Generell ist es nicht der Sinn eines Lehramtsstudiums, sich durchzuquälen“
Theresa glaubt, dass vieles schon dadurch besser werden könnte, wenn man im Studium anders auf das Staatsexamen vorbereitet würde: „Es gibt keine Wiederholungsphase und keinen Leitfaden, wie bei Mediziner*innen zum Beispiel, der einem das Bestehen im Grunde garantiert. Das stresst und schürt enorme Ängste.“ Theresa bedauert, dass sie kaum Feedback von Professor*innen bekommen hat, wann es genug ist mit der Vorbereitung auf das Examen.
Das Kultusministerium sagt dazu: „Generell ist es nicht der Sinn eines Lehramtsstudiums, sich durchzuquälen. Vielmehr bietet das akademische Studium einen sehr gewinnbringenden Ausbildungsteil, der die Studierenden sowohl fachlich, als auch persönlich auf den Lehrberuf vorbereitet.“
Genau das sieht Laura Teichmann, die Mit-Initiatorin der Stexit-Petition, allerdings anders. Ihr zufolge muss sich auch an den Inhalten einiges ändern: „Die aktuellen Prüfungsformen prüfen nicht die Kompetenzen ab, die wir später dann auch in der Schule brauchen werden.“ Man müsse dafür viel wissen – aber nicht mit Schüler*innen umgehen können.
Ob sich an alledem in Zukunft etwas ändern wird? Ob die Petition etwas erreichen kann? „Ich bin mir sicher, dass es jetzt mehr Leute und auch mehr Politiker*innen gibt, die wissen, wo die Probleme sind“, sagt Gerrit. Trotzdem glaubt er, dass die Petition kaum Chancen auf Erfolg hat. „Meiner Meinung nach, mahlen die Mühlen der Bildungspolitik sehr langsam. Aber vielleicht ändert sich etwas mit der nächsten Petition. Oder der übernächsten.“