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Proteste bei Bernd Lucke Vorlesung in Hamburg: Wie sollten Universitäten reagieren
Die erste Vorlesung im Semester ist meistens recht langweilig: Der Professor stellt sich und den Seminarplan vor, hält eine kurze Einführung und dann werden die Prüfungsmodalitäten abgeklärt. Nicht so bei den Wirtschaftswissenschaften in Hamburg. Dort gibt es seit Semesterbeginn Krach:
Der mittlerweile aus der Partei ausgetretene AfD-Mitgründer Bernd Lucke konnte seine erste Vorlesung nach einer langen politischen Pause nicht halten. Zahlreiche Studierende, darunter auch Mitglieder der Antifa, ließen ihn unter Buhrufen nicht zu Wort kommen und besetzten das Rednerpult. Die Stimmung im Hörsaal, in dem eigentlich Makroökonomik 2 gelehrt werden sollte, heizte sich dann noch weiter auf: „Hau ab“- und „Nazi-Schwein“-Rufe wurden laut. Es flogen Papierkügelchen. Am Ende musste die Polizei Lucke aus dem Gebäude begleiten.
Auch seine zweite Vorlesung eine Woche später konnte er nicht zu Ende bringen. Trotz Einlasskontrollen gelangten etwa zwanzig Vermummte in den Hörsaal und störten die Vorlesung erneut. Diesmal mit Rufen wie: „Kein Recht auf Nazipropaganda“. Der offizielle Studierendenverband AStA der Uni Hamburg distanzierte sich von den Protesten im Hörsaal und verwies auf eine angemeldete Kundgebung vor der Tür.
Ab wann ist eine politische Gesinnung nicht mehr tolerierbar?
Seitdem läuft in Deutschland eine kontroverse Diskussion: Universitäten galten bisher als Orte, an denen die Meinungsfreiheit und freie Lehre hochgehalten werden müssen. Doch was ist, wenn Professor*innen in der Vergangenheit durch radikale politische Überzeugungen auffielen – oder es sogar noch in der Gegenwart tun? Ab wann ist eine politische Gesinnung nicht mehr tolerierbar? Und wie weit darf der Protest gehen? Dass es zu diesen Fragen sehr unterschiedliche Antworten gibt, zeigt die aktuelle Debatte.
Die Leitung der Uni Hamburg und die Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank zeigten beim ersten Vorfall Verständnis für den Protest und befürworteten „diskursive Auseinandersetzungen“. Dennoch stellten sie sich ausdrücklich hinter Lucke und die Freiheit der Lehre. Die erneuten Störungen verurteilt die Unileitung nun scharf. Auf Anfrage von jetzt erklärte der Deutsche Hochschulverband zu dem Thema: „Der Deutsche Hochschulverband ist der Auffassung, dass an den Hochschulen verschiedene Meinungen zugelassen werden müssen und es kein Meinungsdiktat geben darf.“
Das Landgericht Köln verbot dem AStA daraufhin ihn einen „Hetzter“ oder „Rassisten“ zu nennen
Auseinandersetzungen zwischen Lehrenden und Studierenden gab es bereits vor dem Fall Lucke. So wurde an der Berliner Humboldt-Universität der prominente Politikwissenschaftler Herfried Münkler beschuldigt, ein Militarist und Gewaltverherrlicher zu sein. 2015 erschuf eine anonyme Gruppe Studierender den Blog ‚Münkler-Watch‘. Darin wurden Münklers Vorlesungen in ‚Politische Theorie- und Ideengeschichte‘ dokumentiert und nach ihrem sexistischen und rassistischen Gehalt untersucht. Da Münkler gleichzeitig auch öffentlich den Einsatz von Kampfdrohnen und die Ausweitung deutscher Militäreinsätze befürwortete, wurde ihm auf dem Blog eine Totalitarismusideologie wie im kalten Krieg vorgeworfen. Daraufhin entstand auch medial eine Diskussion wie viel Kritik angebracht ist und was schon Denunziation gleicht.
Streit gab es ebenfalls an der Humboldt-Universität um dem Osteuropahistoriker und Stalinexperten Jörg Baberowski. Er trat öffentlich für eine viel restriktivere Politik in der Geflüchtetendebatte ein. In seiner Kolumne in der Basler Zeitung stellte er das anerkannte Recht auf Asyl in Frage. Studierende empfanden seine Positionen als rassistisch und rechtsradikal.
Baberowski, der dies als Verleumdung verstand, zog vor Gericht. Das Landgericht Köln verbot dem AStA daraufhin ihn einen „Hetzter“ oder „Rassisten“ zu nennen. Als rechtsradikal durfte er aber weiter bezeichnet werden. Denn die Verortung im rechten Spektrum sei durch die Meinungsfreiheit gewährleistet. Doch auch hier stellte sich die Leitung der HU vor ihren Professor. Für sie seien die Äußerungen nicht rechtsradikal, Baberowski durfte bleiben. Er selbst fühlt sich allerdings seit dem Vorfall von der Universität in seiner Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt.
„Es geht nicht, dass sich Studentengruppen oder Aktivisten als Meinungszensoren aufspielen“
Nun schaltet sich auch die Politik in die Diskussion über die Meinungsfreiheit an Unis ein. Der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier mahnt zu einer offeneren Debattenkultur an. Dabei meint er nicht nur die Vorfälle um Lucke, sondern auch eine verhinderte Lesung von Ex-Innenminister Thomas de Maizière durch linke Aktivist*innen in Göttingen. Auch die CDU-Bildungsministerin Anja Karliczek kritisiert die Protestaktionen und bezieht sich noch stärker auf Studierende und Universitäten: „Es geht nicht, dass sich Studentengruppen oder Aktivisten als Meinungszensoren aufspielen.“
FDP-Chef Christian Lindner zeigte sich besorgt über den Zustand der Meinungsfreiheit an Unis
Noch eine weitere politische Person konnte sich nicht an der Universität äußern: FDP-Chef Christian Lindner. Ihm selbst wurde eine Veranstaltung an der Uni Hamburg untersagt, weil diese als „zu parteipolitisch“ eingestuft wurde, Sahra Wagenknecht von der Linken durfte dort hingegen mit Studierenden diskutieren. Auf Twitter äußerte sich Lindner besorgt über den Zustand der Meinungsfreiheit an deutschen Universitäten.
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Lucke, Münkler, Baberowski – die Fälle sind alle unterschiedlich. Dennoch zeigen sie viel über die gärende Debatte über Meinungsfreiheit in Deutschland. Und die hat jetzt eben auch die Unis voll und ganz erreicht. Aber ist die Meinungsfreiheit wirklich bedroht, wie jetzt in manchen
Tatsächlich haben die meisten betroffenen Hochschulen sowohl Verständnis für den Protest ihrer Studierenden gezeigt, sich aber gleichzeitig hinter ihre Professoren gestellt – mit Verweis auf das Recht auf eine freie Meinung. Doch wo wird diese Grenze überschritten?
Dass man den Holocaust nicht leugnen darf, darauf können sich alle einigen. Doch was ist, wenn jemand keine Flüchtlinge in Deutschland will? Ist das noch Meinungsfreiheit oder Grund für einen Rauswurf? Der Deutsche Hochschulverband sagt dazu gegenüber jetzt: „Die Freiheit der Lehre an der Universität ist insofern nicht bedingungslos, weil sie sich im Rahmen der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland bewegen muss.“ Die Grenze ist also das Gesetz. Aber ist das immer eindeutig definierbar?
Für manche beginnen Beleidigungen und Hetze früher, als das Gesetz es vorschreibt. Insbesondere dann, wenn man sich durch die Haltung des Professors stets in seiner Herkunft, sexuellen Orientierung oder Geschlecht angegriffen fühlt. Schließlich lässt sich die politische Person nicht so einfach von der Person als Lehrende trennen.
Dass Studierende protestieren, wenn sie sich durch Lehrpersonal in ihren Werten angegriffen fühlen, ist auch für den Deutschen Hochschulverband kein Problem – insofern sie sich an die Regeln eines geordneten Diskurses halten. Schließlich gehöre die wissenschaftsgeleitete Kritik an eine Universität. Und hier nähern sich tatsächlich Hochschulen und studentische Vertretung einander an. Auch der AStA Hamburg ließ nach dem Lucke-Vorfall verlauten: „Wir möchten, dass eine Debatte angestoßen wird und auch, dass über den Campus hinaus die Möglichkeit geboten wird, den Unmut über Bernd Luckes Rückkehr zu formulieren. Diese Meinungsäußerung und auch diese Kritik stehen uns zu.“
Die Studierenden im Protest nicht zu behindern, muss ebenfalls Teil einer freien Lehre sein
Das Problem ist also, anders als von manchen derzeit befürchtet, nicht der generell fehlende Wille, andere Meinungen an der Universität zuzulassen. Der in Hamburg zuvor angesagte Protest war friedlich und fand vor dem Hörsaal statt, nicht darin. Die „Nazi-Schwein“-Rufe oder die Verhinderung der Lesung de Maizières wurden nur von einigen Wenigen ausgeübt.
Bei einem solchen Streit ist für Universitäten oft schwer, die richtige Balance bei der Unterstützung der Studierenden und Professor*innen zu finden. Besonders, wenn ein kleiner Teil radikal wird. Aber Unis funktionieren als Leuchttürme der Wissenschaft. Sie besitzen Autorität und Macht. Nicht nur in öffentlichen Diskussionen, sondern auch darüber, wen sie einstellen und ihre Studierenden lehren lassen. Gegenüber Studierenden sitzen sie also meistens am längeren Hebel. Die Studierenden im Protest gegen manche dieser Entscheidungen nicht zu behindern, muss ebenfalls Teil einer freien Lehre sein.
Das müssen die Professor*innen aushalten
Genauso kann die Uni dabei mitwirken, dass Studierende ernst genommen werden, indem sie in der Öffentlichkeit noch stärker den friedlichen Protest betont. Auch kann sie für mehr Dialogräume sorgen. Das müssen die Professor*innen aushalten. Sogar, wenn der Vorsitzende des AStA Hamburg, Karim Korupa, zu der Rückkehr Lucke als Professor sagt: „Wir denken, so ein Mensch gehört nicht an die Universität.“
Der radikale Protest einiger Weniger steht nicht für die gesamte Kritik der Studierenden. Daher stellen sich die Hochschulleitungen vor den nichtradikalen Rest ihrer Studierenden, denn für sie haben sie Verantwortung. Insbesondere dann, wenn Mitglieder des AStAs Hamburg mit rechten Hassmails überschwemmt werden, weil sie für den Protest im Hörsaal verantwortlich gemacht werden.
Es ist sicher wichtig, immer wieder an die Meinungsfreiheit zu erinnern. Die Sorge Christian Lindners über den Zustand der Demokratie an Unis muss man allerdings nicht teilen. Bei den strittigen Fällen, wo die Grenze der Tolerierbarkeit verläuft, muss auch diskutiert werden können. Wann Grenzen überschritten werden, ist nicht immer klar zu beantworten. Und hier ist es auch wichtig, dass alle gehört werden. In ihrer Machtposition ist es dann Aufgabe der Uni, gemeinsam eine Lösung zu finden.