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Langzeitbeobachtungen von Studierenden: Was denken sie nach sechs Jahren Studium?
Was sechs Jahre an der Uni mit Studierenden machen
Was machen sechs Jahre an der Uni mit Studierenden? Unser Fotograf und Autor Juri Gottschall hat Thomas, Marius, Alicia, Jonas, Viccy und Marie seit ihrem ersten Semester in München 2014 jedes Jahr wieder getroffen und mit ihnen gesprochen – über ihr Studium, ihre Wünsche und Ziele. Dieses Fotoprojekt zeigt, wie es ihnen geht und wie sie sich entwickelt haben (in den Bildergalerien einfach auf den Pfeil rechts klicken).
„Mein Erasmus-Semester in Oslo war der Hammer“
Thomas, 24, Medizin
Das sagt Thomas 2014: „Eigentlich wollte ich Musik oder Schauspiel studieren, damit ich später in der Entertainmentbranche Fuß fassen kann. Gleichzeitig habe ich zu Hause durch meinen Vater viel vom Arztberuf mitgekriegt und es hat mich immer fasziniert, dass er mit seiner Arbeit Menschen helfen kann. Jetzt habe ich erst mal sicheren Weg gewählt. Bisher ist das Studium auch sehr interessant, aber es ist auch extrem viel Stoff. Ich brauche allerdings auch immer ein bisschen Stress, um mich wohl zu fühlen. Deshalb spiele ich neben dem Studium noch klassisches Klavier und gehe zweimal die Woche zum Ballet-Training, was für mich sehr selten ist. Ich hoffe, dass ich mich meinen privaten Interessen bald wieder mehr widmen kann, auch wenn mir das momentan utopisch vorkommt. Kurz nach dem Abitur bin ich außerdem mit meiner Freundin zusammengekommen. Innerhalb des nächsten Jahres will ich endlich meinen Führerschein machen, außerdem habe ich mir fest vorgenommen, nicht mehr vor jeder Klausur immer erst in letzter Minute mit dem Lernen anzufangen. Und ich will unbedingt in der Showbranche jobben um meinen zweiten Traum nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Und natürlich möchte ich bei meinen Eltern ausziehen, wenn sich irgendwas ergibt. Wenn nicht, genieße ich auch gerne weiterhin die Vorzüge zu Hause.“
Das sagt Thomas nach einem Jahr als Medizinstudent: „Mir ist es vergangenes Jahr sehr gut ergangen. Das Studium war sehr anstrengend. Das habe ich mir zwar schon vorher gedacht, die inhaltlichen Ansprüche waren aber noch höher als erwartet. Die Dinge, die man mit bloßem Auge nicht sehen kann, interessieren mich am meisten. Fasziniert hat mich auch die Vorlesung von Dr. Eckart von Hirschhausen bei uns. Er vereint Medizin und Unterhaltung. Das ist etwas, das ich mir auch gut für mich vorstellen könnte: Menschen bilden und über die Medizin aufklären. Auch neben der Uni läuft es gut bei mir. Ich spiele jetzt zum ersten Mal als Schauspieler in einem kleinen Werbefilm mit. Das Ballett hat hingegen etwas unter der Uni gelitten. Erst musste ich wegen einer Verletzung mit dem Training aussetzen und danach hat einfach die Zeit nicht mehr gereicht, um wieder direkt anzuknüpfen. Dafür gibt mir das Klavierspielen einen guten Ausgleich zum Lernen. Ich merke sogar, dass ich umso disziplinierter Klavier übe, wenn die Uni besonders stressig ist. Bisher bin ich noch bei keiner Prüfung durchgefallen und schneide überall gut ab. Ich wohne immer noch mit meinen Brüdern in einer Art WG in unserem Elternhaus. Die Zeit mit ihnen weiß ich aber inzwischen mehr zu schätzen. Mit meiner Freundin bin ich auch noch zusammen. Und sogar meinen Führerschein habe ich gemacht: Ich habe jetzt ein eigenes Auto!“
Das sagte Thomas 2016: „Ich habe vor ein paar Wochen das Physikum, das erste Staatsexamen, geschrieben. Und das sogar erfolgreicher als gedacht. Die drei Monate davor war ich quasi in Quarantäne und habe nichts anderes getan als gelernt. Meine einzigen sozialen Kontakte waren meine Freundin und meine Brüder. Ich wollte einfach nur irgendwie diese Prüfung bestehen. Zum Schluss habe ich dann sogar eine Eins geschrieben. Nach dem Physikum, sagt man, soll das Studium allerdings wieder entspannter werden. Vielleicht finde ich dann endlich wieder Zeit fürs Ballett, das ruht nämlich im Moment leider. Ich habe mich aber gerade auch schon für eine Doktorarbeit beworben. Das ist ziemlich ungewöhnlich zu diesem Zeitpunkt, aber mir wurde von verschiedenen Seiten dazu geraten. Ich würde die Doktorarbeit nämlich gerne schon im sechsten Semester schreiben, weil dafür viele Dinge relevant sind, die ich vor dem Physikum gelernt habe und die mir jetzt noch viel mehr präsent sind. Außerdem fällt die Veröffentlichung der Arbeit dann in die letzte Zeit des Studiums, sodass ich mich dann direkt für Stellen bewerben kann. An der Musikhochschule mache ich gerade ein Gaststudium, das eigentlich für musikalisch begabte Jugendliche gedacht ist. Dort lerne ich viel über Musiktheorie. Kurz vor dem Physikum hatte ich auch einen Auftritt am Klavier - und war dabei noch viel aufgeregter als später beim ganzen Staatsexamen. In letzter Zeit habe ich viel darüber nachgedacht, vielleicht einen YouTube-Channel zu starten, bei dem ich medizinische Themen unterhaltsam präsentiere. Allerdings merke ich schon jetzt, dass die Begeisterung für meine eventuellen Forschungsprojekte diese Motivation langsam, aber sicher überholt. Und das sogar, obwohl mir die Idee wirklich immer noch gut gefällt. Mal sehen, was daraus wird, schließlich würde das meine beiden Leidenschaften, die Unterhaltung und die Medizin, optimal zusammenbringen.“
Das sagte Thomas 2017: „Seit März stecke ich mitten in meiner Doktorarbeit. Eigentlich verbringe ich seitdem jeden Tag nur noch von morgens bis abends im Labor und forsche. Mein Kerngebiet ist die Immunologie, besonders in Hinblick auf die Krebsforschung. Für das normale Studium bleibt da gerade keine Zeit. Es gibt zwar noch vereinzelt Seminare, aber eigentlich bin ich Vollzeit im Labor. Man nennt das auch Projektsemester. So wird es jetzt auch erst mal noch ein weiteres Semester weitergehen und wenn alles gut läuft, werde ich voraussichtlich in einem Jahr genug Daten gesammelt haben, um meine Doktorarbeit schreiben zu können. Falls ich nicht merke, dass ich eigentlich noch mehr rausholen könnte und die Zeit sogar noch verlängern möchte. Einen Doktortitel habe ich dann aber natürlich trotzdem noch nicht. Ich muss erst mein normales Studium beenden, weshalb ich im Anschluss natürlich wieder ganz normal weiter studieren muss. Aber später würde das alles noch viel stressiger werden mit Examen und Doktorarbeit. Ich habe mich also für einen zwar ungewöhnlichen, aber eigentlich sehr effizienten und komfortablen Weg entschieden. Musik mache ich immer noch, mein Gaststudium musste ich aber aus Zeitmangel wieder aufgeben. Überhaupt sind meine anderen Tätigkeiten im Moment sehr ausgedünnt. Das Klavierspielen kann ich noch auf einer einigermaßen regelmäßigen Basis verfolgen, das Tanzen jedoch steht im Moment komplett still. Ich könnte die Trainingszeiten gerade einfach nicht einhalten. Mir fehlt aber die Ablenkung, vor allem in Hinsicht auf die körperliche Betätigung. Ich träume davon, zumindest wieder bei ein paar Trainings dabei zu sein.“
Das sagte Thomas 2018: „Bis April habe ich eigentlich nur an meiner Doktorarbeit gearbeitet. Meine Erwartungen, die ich an die Laborzeit hatte, haben sich größtenteils als ziemlich realistisch herausgestellt. Denn für mich hat sich bestätigt, dass es in der Forschung immer äußerst mühsam ist, Erfolge zu erzielen und die eigene Frustrationstoleranz gelegentlich auf die Probe gestellt wird. Trotzdem blicke ich auf ein sehr spannendes und lehrreiches Jahr zurück und bereue diese Zeit in keiner Weise. Ich konnte mir durch die zwei Projektsemester ein ganz neues Feld erarbeiten, mich intensiv mit einem Inhalt beschäftigen und habe nebenbei auch noch tolle Leute kennengelernt, von denen einige jetzt zu meinen besten Freunden gehören. Zum Sommersemester habe ich wieder mit dem normalen Studium begonnen, was mir aus verschiedenen Gründen sehr gut gefällt. Es ist das erste richtige klinische Semester meines Studiums. Gerade weil ich durch meine Doktorarbeit schon viel in Kontakt mit der Onkologie gekommen bin, ist es schön, jetzt auch mal ein tieferes Verständnis für andere Fachrichtungen zu bekommen. In die Onkologie möchte ich nämlich eher nicht gehen. Auch, weil mein älterer Bruder diese Richtung wahrscheinlich wählen wird und unmittelbar vor seinem letzten Examen steht. Ich möchte von vornherein dem Risiko aus dem Weg gehen, dass es zu Konkurrenz zwischen uns kommen kann. Dasselbe gilt für meinen Vater, der ein international gefragter Dermatologe ist. Ich werde diese Fachrichtung allein schon nicht wählen, um mich nicht ständig Vergleichen stellen zu müssen und meinen eigenen Weg gehen zu können. Die Prüfungen laufen auch gut, eigentlich ist mein Alltag einigermaßen entspannt. Ich weiß nach wie vor nicht, ob meine Studienwahl genau die richtige für mich ist. Ich kann aber sicher sagen, dass es EIN richtiges Fach für mich ist. Im „schlimmsten“ Fall werde ich also immer noch einen meiner Wunschberufe ausüben. Dazu kann ich den Arztberuf nämlich mittlerweile zum Glück zählen, obwohl ich inzwischen weiß, dass er hart, anstrengend und auch unfair werden kann. Ich denke aber auch noch oft über die Entertainment-Branche nach und wie ich insbesondere aufklärerische Inhalte unterhaltsam und humorvoll einem möglichst breiten Publikum nahebringen kann. Eine wirkliche Antwort habe ich auf diese Frage noch nicht gefunden, man könnte aber sagen: Ich bin extrem offen gegenüber der Zukunft. Klavier spiele ich auch immer noch, wenn auch nicht so intensiv wie früher. Ich gebe aber sogar noch hin und wieder Konzerte. Und auch für die fehlende körperliche Betätigung habe ich eine Lösung gefunden: Ich habe mich bei einem Kickboxverein angemeldet.“
So dachte er 2019: „Die vergangenen Semester in der Uni waren endlich spannend. Was Ärzte wirklich machen, lernt man ja erst nach ungefähr zwei Jahren und ich habe sogar noch ein Jahr für meine Doktorarbeit ausgesetzt. Jetzt sind wir aber endlich bei den klinischen Fächern angekommen, inzwischen ist das Studium so, wie ich es mir vorher vorgestellt hatte. Mein letztes klinisches Semester studiere ich gerade außerdem im Erasmus-Auslandssemester. Ich habe Glück gehabt und wie erhofft einen Platz in Oslo bekommen. Im August ging es schon los, denn in Norwegen fängt das Semester schon früher an als in Deutschland. Das folgende Semester habe ich mir ‚freigenommen‘. Ich möchte ganz entspannt ein paar Kurse nachholen, die es in Norwegen nicht gibt und habe außerdem zwei Praktika im Ausland vor mir, eines davon in Hongkong. Ich möchte viel reisen und mich in Ruhe auf das zweite Examen vorbereiten. Vielleicht schaffe ich es so sogar, mich ausreichend auf das amerikanische Examen vorzubereiten. So unattraktiv die Situation für Patienten im amerikanischen Gesundheitssystem leider ist, so attraktiv sind die USA für Ärzte und Forscher. Danach folgt dann das praktische Jahr, für Winter 2020 habe ich schon eine Zusage aus Südafrika. Für mein Freisemester hoffe ich außerdem, mehr Zeit für Dinge zu haben, die nicht direkt mit dem Studium zusammenhängen. Für Sport und Musik zum Beispiel. Immerhin mache ich seit vier Monaten wieder Kammermusik mit einem Klaviertrio. Das würde ich gerne weiter ausbauen. Überhaupt habe ich den Eindruck, dass ich mir viel mehr „erlaube“ als zu Beginn des Studiums. Ich habe mehr Routine und ein besseres Zeitmanagement entwickelt.“
Und das sagt er dieses Jahr: „ Mein Erasmus-Semester in Oslo war der Hammer. Es ist wirklich schwer in Worte zu fassen, wahrscheinlich kann man sich das nur vorstellen, wenn man es selbst erlebt hat. Ich hatte ja ohnehin schon hohe Erwartungen an diese Zeit, weil man von vielen Erasmus-Studierenden nur Gutes hört – meine Wünsche wurden aber tatsächlich noch übertroffen. Zunächst war es natürlich die Stadt, die es mir sehr leicht gemacht hat, mich schnell zuhause zu fühlen. Aber auch die Gemeinschaft der anderen Austauschstudierenden aus der ganzen Welt, das englischsprachige Studium, der Alltag in einem anderen Land. Es ist einfach völlig anders, sowas nicht nur als Tourist zu erleben. Auch die Uni in Norwegen war sehr gut und ich konnte weitestgehend ganz normal weiter studieren und viele Fächer genauso wie in Deutschland weitermachen. Ende 2019 war ich dann wieder in München und habe im Januar noch ein paar Veranstaltungen nachgeholt, die ich in Norwegen nicht besuchen konnte. Dann sollten sich zwei Praktika, die Famulaturen, anschließen, die jeweils einen Monat dauern. Die kurzfristig abgesagte Famulatur in Hong Kong war die erste geplatzte Chance auf eine weitere Auslandserfahrung. Zum Glück habe ich aber schnell eine Alternative in München in der Kardiologie gefunden. Die zweite Famulatur wollte ich in der Neurologie in Sri Lanka machen. Ich hatte mir davon erhofft, auch mal Einblicke in die medizinischen Abläufe bekommen, die einem völlig anderen Standard als in den meisten westlichen Ländern folgen. Wegen Corona klappte das leider auch nicht – einen Tag vor meinem Abflug wurde alles abgesagt. Im Nachhinein stellte sich das aber als durchaus glückliche Fügung heraus, denn ich fand eine Alternative in München in der psychiatrischen Klinik. So konnte ich nicht nur während der ganzen Corona-Zeit ganz normal weiterarbeiten, sondern habe vor allem ein ganz neues Feld in seiner klinischen Praxis kennengelernt, das mein weiteres Studium jetzt wahrscheinlich sehr prägen wird. Der Fachbereich der Psychiatrie ist wahnsinnig spannend und vielfältig. Er bietet mehr Raum für das Menschliche und Persönliche verglichen mit anderen Bereichen der Medizin und integriert auch Inhalte aus zahlreichen anderen Fächern wie der Philosophie und Ethik. Das ist eine Mischung, die mich sehr fasziniert hat. Nach dieser Famulatur habe ich angefangen, fürs zweite Staatsexamen zu lernen. Eine idealere Zeit, um sich in Ruhe und intensiv auf Prüfungen vorzubereiten, als den „Lockdown“, hätte es ja kaum geben können. Insgesamt habe ich mich knapp fünf Monate auf das Examen vorbereitet und war wirklich sehr zufrieden mit meinem Fortschritt. Wenn man sich so intensiv nochmal mit all dem Stoff befasst und die verschiedenen Fächer miteinander verknüpft, ergibt viel von dem Gelernten noch mehr Sinn. Ich habe auch gespürt, wie sehr ich von der Erfahrung des gesamten bisherigen Studiums und auch des ersten Examens profitieren konnte. Ich hatte gleich viel mehr Routine. Im Oktober fand dann an drei Tagen das Examen statt und ich habe es auch erfolgreich bestanden. Jetzt beginnt das praktische Jahr, in dem ich jeweils ein Drittel des Jahres in verschiedenen Krankenhäusern arbeiten werde. Zunächst gehe ich nach Prag, wieder in die Psychiatrie. Dann folgt die innere Medizin in Zürich und das letzte Drittel werde ich hoffentlich in Kapstadt in der Herzchirurgie verbringen.“
„Das Studium mache ich also eigentlich wirklich nur, damit ich später was Sicheres in der Hand habe“
Marius, 26, Technische Redaktion und Kommunikation, zu Beginn seines Studiums und heute
Das sagte Marius 2014 als Studienanfänger: „Mein Weg in die Uni war nicht geradlinig. Ich wollte eigentlich Industriedesign studieren, bin aber nicht genommen worden. Dann sagte mir ein Freund, ich solle was Vernünftiges machen. Also wollte ich mich für Elektrotechnik einschreiben, da war aber die Anmeldefrist vorbei. Jetzt studiere ich Romanistik, aber nur, damit ich Informatik im Nebenfach haben kann. Da wäre ich sonst nicht reingekommen. Die Romanistik-Vorlesungen besuche ich eher sporadisch. Informatik ist bisher ganz okay, allerdings auch sehr trocken. Es ist langweiliger als ich dachte und doch sehr speziell. Außerdem sind die anderen Studenten totale Nerds und nicht sehr kommunikativ. Ich wollte eigentlich auch neue Leute kennenlernen und dachte, alle seien offen und interessiert, aber irgendwie ist eher das Gegenteil der Fall und ich ecke mit meiner offenen Art ziemlich oft an. Neben der Uni habe ich angefangen in einem Restaurant an der Bar zu arbeiten, außerdem verkaufe ich Turnschuhe. Und gerade habe ich einen Personal-Shopping-Dienst gegründet, weil ich mir unbedingt was Eigenes aufbauen will. Bisher läuft es noch nicht so richtig. Außerdem will ich aufhören zu rauchen und weniger trinken. Und Arabisch lernen. Bei meinen Eltern will ich auch ausziehen, aber dieser Plan hängt ein bisschen vom Erfolg meiner diversen Jobs ab, denn sonst kann ich mir das nicht leisten.“
2015, nach seinem ersten Jahr als Student, will Marius das Studienfach wechseln: „Ich habe früher ein paar Sachen völlig falsch verstanden. Zum Beispiel dachte ich, dass Geld glücklich macht. Deshalb wollte ich auch so gerne Elektrotechnik studieren, weil das eine sichere Sache ist, um später ganz gut zu verdienen. Heute weiß ich: Darum geht es gar nicht im Leben. Ausschlaggebend dabei war Silvester, da habe ich von einem auf den anderen Tag aufgehört zu rauchen. Und meine Teilnahme an der „A year of books“ Challenge von Mark Zuckerberg, bei der er jede Woche ein neues Buch liest. Angefangen habe ich mit „The End of Power“ von Moises Naim. Da habe ich mich vier Wochen lang sechs Stunden jeden Tag durchgequält. Irgendwann machte es mir Spaß. Inzwischen bin ich über 40 Bücher hinaus. Parallel habe ich angefangen, viel Sport zu machen und mich mit Yoga und Meditation befasst. Irgendwann wusste ich: Mit meinem Studium geht es so nicht weiter. Durch Zufall stieß ich auf den neuen Studiengang „Gesundheitswissenschaften“. Als ich die Beschreibung las, wurde mir mit jedem Satz klarer: Das ist genau das, was ich machen möchte! Seit ich diese Entscheidung getroffen habe, gibt es keinen Tag mehr, auf den ich mich nicht freue. Ich arbeite nicht mehr im Sneaker-Laden, mit dem Personal-Shopping habe ich auch aufgehört. Jetzt möchte ich andere Menschen coachen und zu ihrem persönlichen Glück führen.“
2016 merkte Marius, dass sein neues Studium auch nicht besser ist als das alte: „Das Studium der Gesundheitswissenschaften war wirklich der größte Scheiß, den ich jemals gemacht habe. Ich bin sehr enttäuscht gewesen, was einem da für antiquiertes Wissen vermittelt wurde. Ständig hatte ich das Gefühl, dass man nur dafür gedrillt wird, später mal für eine Krankenkasse oder sowas zu arbeiten. Dafür war ich charakterlich einfach nicht bereit und zugleich auch noch total unterfordert. Teilweise fühlte ich mich richtig verarscht von dem, was da von mir erwartet wurde. Trotzdem habe ich bis Februar durchgehalten und war täglich in der Uni. Ich wollte einfach nicht schon wieder einen Rückzieher machen und dem Studium wirklich eine Chance geben. Als ich dann von einem auf den anderen Tag aber total depressiv wurde, habe ich aufgegeben. Meine Eltern haben mir dann natürlich ein bisschen Druck gemacht, nachdem sie mir ja nun schon anstandslos den zweiten Studienversuch finanziert hatten. Also habe ich für mich einen Entschluss gefasst: Ich wollte 100 Prozent unabhängig und frei sein und nicht mehr auf Kosten anderer leben. Ein Freund sagte mir dann irgendwann: Mach doch einen YouTube-Channel! Er meinte wohl, dass ich gut darin wäre, die Leute zu unterhalten und von meinem Leben zu erzählen. Also mache ich jetzt seit einem halben Jahr als „Prinzgeil“ regelmäßige Vlogs. Das macht unglaublich viel Spaß und hilft mir total, meine Kreativität auszuleben. Ich lerne auch total viel dadurch und werde immer professioneller. Einen Modeljob und einen Moderationsauftrag habe ich dadurch auch schon bekommen. Im Sommer habe ich mich dann in ein Mädchen verliebt und von einem Tag auf den anderen mein ganzes Leben geändert. Ich dachte ständig, ich sei nicht gut genug für sie und wollte immer mehr geben. Also habe ich ein Praktikum bei einer Zimmerei gemacht, weil ich wirklich daran dachte, eine handwerkliche Ausbildung anzufangen. Als ich den Ausbildungsvertrag nach sechs Wochen schon in der Hand hielt, bin aber auch an einen Job bei einem großen Finanzdienstleister gekommen. Plötzlich merkte ich: Wow, ich kann ja auch einfach mit angenehmen, entspannten Menschen in einem klimatisierten Büro mein Geld verdienen und muss nicht im Hochsommer auf Dachstühlen rumklettern. Also bin ich dabei geblieben. Gleichzeitig haben meine Eltern auch noch ihre Wohnung aufgegeben und ich musste mir eine eigene Bleibe suchen. Auch da hatte ich unglaubliches Glück und im letzten Moment ergab sich noch eine Zwischenmiete und jetzt sogar eine Wohnung, die ich mir mit meiner kleinen Schwester teile. Jetzt fange ich mit Computerlinguistik an und lerne gleichzeitig noch Arabisch und Italienisch. Das wollte ich schon immer tun. Außerdem habe ich den Job als Werksstudent behalten. Die Liebesgeschichte ist zwar leider schon wieder vorbei, aber das mit der finanziellen Unabhängigkeit hat schon mal geklappt. Jetzt ist das nächste Ziel der Bachelor!“
Vor einem Jahr wollte Marius ein neues Studium beginnen: „Computerlinguistik habe ich gerade mal zwei Semester durchgehalten. Ich habe sogar im Februar noch die Klausuren geschrieben und gar nicht schlecht abgeschnitten. Trotzdem wurde mir mehr und mehr langweilig. Irgendwann bin ich dann gar nicht mehr in die Uni gegangen und habe die Sachen, die ich wissen musste, einfach selbst gelernt. Warum ich das Studium überhaupt begonnen habe, weiß ich heute selbst nicht so genau. Wahrscheinlich, weil ich glaubte, dass man für einen Job unbedingt ein Studium braucht. Ich dachte, ich könnte alles, was ich dort lerne, sofort im Unternehmen umsetzen. Das war allerdings ein großer Irrtum, weil die meisten spannenden Sachen hinter geschlossenen Türen stattfinden. Allerdings habe ich auch gemerkt, dass ein Job eben primär ein Job ist und nicht unbedingt der Selbstverwirklichung dienen muss. Die zweiten Prüfungen des Jahres habe ich dann schon nicht mehr gemacht. Ich habe ja schon gespürt, dass ich das Studium sowieso nicht weitermachen würde. Meine Youtube-Channel habe ich wieder aufgegeben. Das hat mich langfristig einfach nicht befriedigt. Ich dachte die ganze Zeit nur noch an die Kamera und was ich als nächstes filmen könnte. Im April bekam ich dann das Angebot als Crossfit-Coach zu arbeiten. Ich habe ja schon immer viel Sport gemacht und wollte das schon immer gerne machen. Hätte mir vor zwei Jahren jemand gesagt, dass ich jetzt in dem Studio, in dem ich selbst immer trainiere, als Coach arbeiten würde, hätte ich das wahrscheinlich gar nicht glauben können. Das war schon damals ein richtiger Traumjob, an den ich mich gar nicht zu denken getraut habe. Ein neues Studium möchte ich aber auch noch anfangen. Es heißt „Technische Redaktion und Kommunikation“ und wird an der Fachhochschule angeboten. Ich möchte das vor allem machen, weil ich in diesem Jahr sowieso schon sehr viel in diese Richtung gearbeitet habe. Ich designe T-Shirts, habe für ein Startup das Grafikdesign gemacht und für Freunde Logos entworfen. Außerdem fotografiere ich viel. Ich habe immer das Gefühl, dass ich einfach alles ein bisschen kann. Allerdings habe ich auch gar keine Lust, tiefer einzusteigen. Ich glaube, im 21. Jahrhundert muss man das auch gar nicht mehr unbedingt. Man kann ja sowieso so viel Verschiedenes machen und sich zur Not immer wieder weiterbilden und dazulernen. Zumindest so lange, bis man etwas gefunden hat, was man wirklich für immer machen möchte. Ich wollte ja schon von Beginn an ein gestalterisches Studium machen und ich erhoffe mir von der Fachhochschule mehr Praktisches und nicht so viel Theorie. Ich habe mich früher nie getraut einfach nur Künstler zu sein. Jetzt sehe ich das viel entspannter und souveräner. Ich habe inzwischen so viel geschafft, verdiene mein eigenes Geld, wohne in meiner eigenen Wohnung. Da wird das hoffentlich auch noch klappen.“
Das sagt Marius 2018: „Seit einem Jahr studiere ich jetzt ,Technische Redaktion‘ an der Fachhochschule und bis jetzt fühlt es sich nach einer sehr guten Entscheidung an. Das Studium ist viel praktischer und angewandter als in der Uni, höchstens die Hälfte besteht aus Theorie. Mir gefällt auch, dass die Klassen viel kleiner sind und man sich besser kennt. Es gibt auch viel mehr Ausländer an der Fachhochschule als an der Uni, insgesamt ist alles durchmischter und persönlicher. Ich habe den Eindruck, dass fast jeder vorher schon mal was anderes gemacht hat und jetzt alle ohne irgendeinen elitären Druck einfach studieren wollen. Das ist sehr angenehm. Außerdem gibt es wenig Anwesenheitspflicht. Ich gestalte mir das Studium also weitestgehend frei, kann die Möglichkeiten der Fachhochschule nutzen, muss aber auch nicht immer da sein. So lerne ich viele verschiedene Grundlagen und merke jetzt schon: Je mehr ich in das Studium reinstecke, desto mehr hole ich zum Schluss auch raus. Ich habe jetzt ein knappes Jahr neben dem Studium als Werkstudent gearbeitet, in einer Agentur, die sich auf die Entwicklung von User-Interfaces spezialisiert hat. Zum neuen Semester fange ich einen neuen Job an, bei einem Studio, das Videos und Filme für verschiedene Kunden produziert. Der Job ist nicht befristet und außerdem direkt neben der Hochschule – ich bin sehr gespannt, wie sich das entwickeln wird. Im April bin ich mit meiner neuen Freundin zusammengezogen oder eher: bei ihr eingezogen. Die ist Flugbegleiterin und hat mich auf ein paar tolle Reisen mitgenommen. Allerdings habe ich irgendwann merken müssen, dass wir zu jung zusammen gezogen sind, der Alltag kam schneller als erwartet. Wir sind immer noch glücklich zusammen, wohnen aber wieder getrennt. Ich freue mich auf dieses Jahr und das weitere Studium. Ich habe den Eindruck, dass ich durch meine vielen verschiedenen Stationen zu genug persönlicher Reife gelangt bin, um es dieses Mal wirklich durchzuziehen. Ich nehme jetzt sogar Nachhilfe in Mathe.“
Das dachte Marius 2019: „Das Studium lief in diesem Jahr eigentlich gut, obwohl es insgesamt schon stressig ist. Vor allem, weil ich ja ‚nebenbei‘ – beziehungsweise eher gleichwertig – als Fotograf und Videofilmer bei einer Agentur arbeite. Das macht mir so viel Spaß, dass ich mir zusätzlich noch eine Selbstständigkeit aufgebaut habe und eigenverantwortlich Projekte und Aufträge auf eigene Rechnung mache. Ich möchte dadurch Erfahrungen sammeln und ein Portfolio aufbauen, damit ich hoffentlich in der Zukunft komplett auf eigenen Beinen stehen kann. Im Moment könnte ich mir gut vorstellen, diesen Job mein ganzes Leben lang zu machen. Bei zwei Jobs und dem Studium bleiben aber auch Dinge auf der Strecke. Eine Klausur habe ich zum Beispiel im vergangenen Jahr total versaut und muss sie jetzt nachholen. Und ich habe aufgehört, als Trainer zu arbeiten. Ich mache zwar noch Sport für mich selbst, aber das Professionelle hat mir einfach nicht mehr so viel gegeben wie am Anfang. Wenn alles gut läuft, werde ich mein Studium in einem Jahr beendet haben, was ich auch unbedingt durchziehen will. Nicht nur, weil es ziemlich blöd wäre, so kurz vor dem Ziel aufzuhören, sondern auch, weil ich glaube, dass es mir viel bringt. Nicht unbedingt fachlich, da lerne ich durch die Arbeit wahrscheinlich mehr, aber vor allem strukturell und methodisch. Bei all der Freiheit und Selbstständigkeit tut es mir sehr gut, etwas zu haben, das ein bisschen Disziplin in meinen Alltag bringt. Auch, wenn ich wegen des Studiums schon mehrfach Jobs absagen musste. Aber man kann eben nicht alles gleichzeitig haben.“
Das sagt Marius heute: „Ich arbeite derzeit neben dem Studium noch mehr frei als Videofilmer und Fotograf als zuvor. Und das, obwohl im Frühjahr Coronabedingt erstmal sehr viele Aufträge weggebrochen waren. Das hat sich aber wieder eingependelt. Ich habe mir nun auch einen Steuerberater gesucht, weil es allmählich wirklich viele Aufträge werden und mir das langsam alles etwas über den Kopf wächst. Auch, weil die Uni es einem wirklich nicht leichtmacht, nebenbei zu arbeiten – obwohl das eigentlich jeder tun muss, um sich finanzieren zu können. Gerade an der Fachhochschule sind viele Studierende mit Migrationshintergrund, die keine großen Geldreserven haben. Wegen der Arbeit habe ich jetzt ein Jahr länger gebraucht, als ich ursprünglich vorhatte. Und Corona hat das nur noch gefördert. Selbst während der Lockdown-Zeit gab es Online-Anwesenheitspflichten, die viele Studierende einfach nicht einhalten konnten, weil sie arbeiten mussten. Gerade jetzt kann man sich seine Jobs ja nicht unbedingt aussuchen. Ich habe alle Prüfungen in der Uni geschafft und bereite mich jetzt auf das Praxissemester vor. Ich halte das dabei für eine miese Regelung. Sehr viele Studierende stehen schon richtig lange im Beruf und absolvieren jetzt trotzdem dieses Praxissemester, in dem man ja arbeiten soll. Dabei verdienen sie weniger als den Mindestlohn und müssen vorher in ihren richtigen Jobs dafür sparen um sich das überhaupt leisten zu können. Nach einer enttäuschenden Erfahrung als Werkstudent war ich erstmal eine zeitlang nur noch selbstständig. Jetzt habe ich aber glücklicherweise einen guten neuen Job bei einer Marketing-Firma gefunden. Dort arbeite ich in einem jungen Team und kann mich total verwirklichen. Ich lerne jetzt sogar eine Praktikantin ein und bekomme hoffentlich bald meine eigene Abteilung. Ich kann auch für mein Praxissemester dort bleiben und sogar nebenbei noch selbstständig an anderen Projekten arbeiten. Im November letzten Jahres bin ich bei meinen Eltern wieder ausgezogen. Erstmal zur Zwischenmiete in eine super Bude, aus der ich leider nach zwei Monaten wieder rausmusste. Zwischendurch war ich dann in einer WG und jetzt habe ich endlich eine eigene Wohnung gefunden. Ich bin auch immer noch mit meiner Freundin zusammen, inwischen schon mehr als ein Jahr. Das Studium mache ich also eigentlich wirklich nur, damit ich später was Sicheres in der Hand habe. Das meiste, was wirklich wichtig für mich war und praktisch in der Anwendung, habe ich woanders gelernt. Ich kenne wenige, die in die Vorlesung gehen, um da wirklich etwas zu lernen. Das machen die meisten zuhause mit Youtube oder in selbst organisierten Lerngruppen.“
„Der Online-Gesangsunterricht in der Uni, den ich bekommen habe, war gewöhnungsbedürftig“
Alicia, 25, Gesang, zu Beginn ihres Studiums und heute
Das sagte Alicia 2014: „Seit ich klein bin weiß ich, dass ich etwas mit Musik machen will. Mein Klavierstudium und mein zweites Fach „Elementare Musikpädagogik“ mit Hauptfach Gesang machwn mir bisher auch großen Spaßund ich freue mich jeden Tag auf die Uni. Natürlich ist der Stundenplan bei zwei Studiengängen sehr voll und ich hätte gerne mehr Zeit für mich und um Klavier zu üben. Das kommt gerade noch ein bisschen zu kurz, aber ich hoffe, das pendelt sich noch ein. Ansonsten sind meine Kurse sehr klein, das ist super. Insgesamt erhoffe ich mir von meinem Studium meine künstlerische Persönlichkeit zu entdecken und vollkommen zu entfalten. Bereits jetzt singe ich oft bei verschiedenen Chören und Projekten mit. Das beschert mir ein schönes Taschengeld, aber vor allem macht es mir Spaß und ist eine gute Ergänzung zu meinem Studium, da ich so schon viele praktische Erfahrungen sammeln kann. Ich würde gerne zu Hause ausziehen, da ich aber kurze Wege zur Uni habe und bei meinen Eltern ein toller Flügel zum Üben steht, wird das wohl nicht so bald passieren. Später möchte ich unbedingt in einer anderen Stadt studieren, das gehört für mich zum Studentendasein einfach dazu.“
Das sagte Alicia ein Jahr später, als sie ihr Doppelstudium auf ein Fach reduziert: „Zwei Fächer gleichzeitig zu studieren, war stressiger als ich dachte. Ich hatte das Gefühl, beides nur halb zu machen, weil ich einfach zu wenig Zeit hatte, mich auf beide gleich gut vorzubereiten. Deshalb habe ich mich für das Klavierstudium entschieden. Es war mir von Anfang an eigentlich wichtiger als Elementare Musikpädagogik. Ansonsten hat das Klavierstudium meine Erwartungen erfüllt. Mir war zwar klar, dass es zeitintensiv wird, aber das ganze Ausmaß habe ich erst jetzt begriffen. Es ist nicht einfach, vier Stunden Üben in den Tag zu bekommen. Ich singe immer noch in mehreren Chören und bin sogar jetzt mit einem Vokalensemble bei einer Produktion in den Kammerspielen dabei, darauf freue ich mich sehr. Und ich werde bald ausziehen. Meine WG-Partnerin ist eine Kommilitonin und Freundin von mir und bringt ein Klavier mit in unsere Wohnung, somit muss ich nicht immer zu meinen Eltern oder in die Hochschule fahren zum Üben. Ich bin sicher, das wird super. Ich will unbedingt noch Gesang studieren. Wenn es schon nächstes Jahr klappt, wäre es toll. Wenn nicht, dann mache ich es ganz in Ruhe nach meinem Klavierstudium.“
Das sagte Alicia 2016: „Mein Klavierstudium läuft jetzt ganz gut. Ich habe im Sommer Zwischenprüfung gespielt und war sehr zufrieden. Ich versuche jetzt gleich im neuen Semester mindestens vier Stunden pro Tag zu üben, denn je mehr man übt, desto mehr Spaß macht's auch. Die Aufnahmeprüfung für Gesang, die im Sommer war, habe ich leider nicht geschafft. Ich war zwar erst enttäuscht, aber mittlerweile bin ich ganz froh. Ich habe auch so schon genug zu tun mit dem Üben auf dem Klavier und dem Singen in verschiedenen Chören und Kirchen. Das ist derzeit meine Haupteinnahmequelle, mein Nebenjob sozusagen, und macht mir immer noch sehr viel Spaß. Durch meinen Freund, der Techno-DJ ist, lerne ich plötzlich auch eine ganz andere Musikrichtung kennen. Ich konnte früher nicht sonderlich viel damit anfangen, aber mittlerweile macht es mir sehr Spaß, diese Art von Musik zu hören und ich beginne auch den Reiz dahinter zu verstehen. Meinen Traum vom Gesangsstudium werde ich auf keinen Fall aufgeben, ich probiere es nächstes Jahr vielleicht noch einmal in München, ansonsten wie vorgehabt nach meinem Klavierstudium in einer anderen Stadt.“
Das sagte Alicia 2017: „Im vergangenen Jahr ist dann doch mehr passiert, als ich dachte. Ich bin nicht mehr mit meinem Freund zusammen, außerdem bin ich in eine neue sehr nette WG gezogen. Lustigerweise habe ich im letzten Jahr auch noch mal viele Leute von der Hochschule näher kennengelernt, woraus viele Freundschaften entstanden sind. Deshalb möchte ich grade auch gar nicht mehr weg aus München. Trotzdem werde ich mich für das Gesangsstudium in diesem Jahr auch in anderen Städten bewerben. Das Klavierstudium macht mir immer noch Spaß, gerade habe ich sogar wieder besonders Freude am Klavierspielen gefunden. Das liegt eventuell auch an meinem neuen Fach, Liedbegleitung. Für mich ist es die perfekte Kombination, da ich so meine beiden Leidenschaften, das Klavier und den Gesang, verbinden kann. Ich habe auch zwei private Klavierschüler, das ist in meinem Semesterplan fest vorgesehen. Das macht mir großen Spaß, und ist eine gute Erweiterung zu meinem Studium, da ich so schon Berufserfahrung sammeln kann. Mein Traum ist trotz allem noch das Singen, entweder in einem Rundfunkchor oder in einem Opernhaus. Schließlich habe ich schon mit sechs Jahren zu meinen Eltern gesagt, dass ich irgendwann mal ,Die Königin der Nacht‘ singen möchte.“
Das sagte Alicia 2018: „Ich bin sehr glücklich, wie alles gerade bei mir läuft. Ich habe meinen Klavierabschluss in München mit 1,0 bestanden und mich im Sommer bei drei Hochschulen für Gesang beworben. Zweimal hatte ich Erfolg und konnte mir dann einen Studienort aussuchen. Deshalb werde ich jetzt ab dem Wintersemester in Salzburg am Mozarteum studieren. Ich habe auch schon ein wunderschönes Zimmer, das in Fußnähe zur Uni liegt. Ich denke es wird mir sicher nicht schaden, mal aus München rauszukommen, da ich hier schon mein ganzes Leben bin. Ich werde aber wahrscheinlich fast jede Woche nach München fahren, da ich jetzt einen Job als Klavierlehrerin an einer Musikschule habe und immer noch in verschiedenen Chören singe, um Geld neben dem Studium zu verdienen. Mit der Bayerischen Chorakademie war ich in diesem Jahr 14 Tage auf Tour in Argentinien und jetzt habe ich es sogar in den Erweiterungschor des Bayerischen Rundfunks geschafft. Ich freue mich sehr auf das Studium in Salzburg. Das Angebot für Gesang ist dort doch noch etwas größer als in München und das österreichische System hat auch einige Vorteile, da ich dort im Anschluss ohne eine weitere Aufnahmeprüfung meinen Master machen kann. Ob ich letztlich in einem guten Chor lande, oder doch irgendwann solistisch auf der Opernbühne stehe, lässt sich noch nicht absehen. Auf jeden Fall bin ich meinem Traum wieder einen Schritt nähergekommen.“
So dachte Alicia 2019: „Vor einem Jahr habe ich endlich in Salzburg angefangen, Gesang zu studieren, genau so, wie ich es mir immer gewünscht hatte. Allerdings war ich mit meinen Gedanken am Anfang leider immer noch bei meinem alten Studium, da ich noch meine Bachelorarbeit schreiben musste. An der Musikhochschule München kann man den Abschluss nämlich schon spielen, obwohl die Bachelorarbeit noch nicht fertig ist. Im Februar habe ich sie dann aber endlich abgegeben. Jetzt lebe ich unter der Woche in Salzburg und am Wochenende in München. Samstags gebe ich Klavierunterricht, sonntags singe ich nach wie vor in der Kirche, um Geld zu verdienen und montags habe ich noch ein paar private Klavierschüler. Das mache ich auch deshalb weiter in München, weil es dort viel mehr Möglichkeiten gibt, sich mit dem Singen etwas dazuzuverdienen. Ein weiterer Grund für das Pendeln sind mein Freund und meine Familie, die in München wohnen. Komplett in Salzburg zu leben, kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Ich habe mir in München so viel aufgebaut, singe in sehr guten Chören und habe Schüler – das möchte ich nicht aufgeben. Trotzdem merke ich, dass es mir guttut, zumindest unter der Woche wo anders zu wohnen. Es ist das erste Mal für mich, dass ich aus München rauskomme. Das Studium selbst gefällt mir auch ausgesprochen gut. Es ist sehr entspannt für mich, weil ich mir viele Nebenfächer aus meinem Klavierstudium anrechnen lassen kann. Deshalb konnte ich das Jahr auch sehr ruhig angehen lassen. So wie's aussieht, bin ich mit 27 fertig. Das ist für mein Stimmfach ein gutes Alter, um in Opernstudios vorzusingen oder noch einen Master dranzuhängen. So weit denke ich aber jetzt noch nicht.“
Ich habe mein Leben im vergangenen Jahr mehr und mehr nach Salzburg verlagert. Jetzt bin ich immer bis Samstag oder Sonntag dort und dann nur ein oder zwei Tage in München. Montags unterrichte ich nach wie vor in der Musikschule und meine Privatschüler. Eine Weile habe ich das online machen müssen, was ganz gut funktioniert hat. Während der Pandemie habe ich besonders gemerkt, wie wichtig dieser Job für mich ist. Während mir das Künstlerische fast alles weggebrochen ist, wurde ich in der Musikschule weiter bezahlt. Komplett freischaffend zu sein, ist in der jetzigen Situation leider schon mit Stress verbunden. Ich hatte aber das Glück, dass der bayerische Rundfunkchor für die freien Mitarbeiter eine Spendenaktion gestartet hat. Das war eine unglaublich nette Geste, die vielen, unter anderem mir, sehr geholfen hat. Der Online-Gesangsunterricht in der Uni, den ich bekommen habe, war gewöhnungsbedürftig. Wenn man keine gute Ausrüstung mit externem Mikrophon hat, gestaltet es sich etwas schwierig, da man sonst die Feinheiten in der Stimme sehr schwer wahrnimmt. Das Studium an sich ist aber immer noch genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Die Theorie habe ich inzwischen weitestgehend abgeschlossen. Ich habe jetzt mehr Einzelunterricht in Schauspiel und Sprecherziehung und habe die Möglichkeit, neben Italienisch auch andere Sprachen zu belegen, was für diverse Liedliteratur und Opern von Vorteil ist. Mein Ziel ist auch nach wie vor die Opernbühne. In einem Jahr würde ich gerne ein Erasmus-Semester einlegen. Im Moment zieht es mich dafür entweder nach Spanien oder in den englischsprachigen Raum.
„Im vergangenen Winter hatte ich eine Depression“
Jonas, 25, Romanistik, zu Beginn seines Studiums und heute
Das sagt Jonas 2014, als er frisch an der Uni war: „Ich wollte schon Psychologie, Philosophie, Soziologie, Politik oder irgendwas auf Lehramt studieren, habe mich jetzt aber für Jura entschieden, weil das für mich die ideale Schnittmenge darstellt. Jura umgibt uns schließlich immer und Fächer wie Staatslehre oder Rechtsphilosophie sind da eine ideale Ergänzung. Bisher ist das Studium auch sehr interessant. Natürlich ist es ziemlich viel und auch viel anspruchsvoller als alles früher in der Schule, aber das habe ich auch nicht anders erwartet. Ich will das jetzt auf jeden Fall durchziehen, mich anstrengen und dann schauen wo ich stehe und wie es mir damit geht. Ich hoffe, dass ich im nächsten Sommer genug Geld haben werde, um eine größere Reise zu machen. Ich möchte nämlich bald nach Kuba fahren. Als Nebenjob arbeite ich schon lange im Supermarkt, aber ich habe gehört, dass man nach dem ersten Semester auch in Kanzleien jobben kann. Vielleicht läuft es da finanziell ein bisschen besser. Außerdem ziehe ich jetzt mit Freunden zusammen in eine WG und bin schon gespannt, wie das wird. Aber eigentlich plane ich mein Leben gar nicht gerne so weit im Voraus…“
Das sagt Jonas nach zwei Semestern Jura: „Das Jurastudium war im letzten Jahr schon ganz spannend, wenn auch nicht so, wie ich es mir erhofft hatte. Zumindest war es nicht interessant genug, um es sieben Jahre lang zu studieren. Ich habe kaum Leute kennengelernt, weil der Studiengang so riesig ist. Wenn da 300 Leute in einer Vorlesung sitzen, kommst du ja kaum mit dem einzelnen ins Gespräch. Trotzdem ist Jura nicht so trocken und langweilig wie viele immer sagen. Ich hab nur einfach gemerkt: Das ist nicht meins. Nach dem ersten Semester wollte ich dem Studium trotzdem noch eine Chance geben und habe das zweite Semester auch noch begonnen. Bald habe ich dann nur noch die Vorlesungen besucht, die mich wirklich interessierten und irgendwann bin ich kaum mehr in die Uni gegangen. Dafür habe ich als Werkstudent in einem großen Unternehmen angefangen. Ich bin auch zuhause ausgezogen und wohne seit Anfang des Jahres mit einem Freund zusammen. Das funktioniert super und tut mir sehr gut. Außerdem habe ich im Sommer einige Reisen unternommen. Mittlerweile habe ich mich für Romanistik und Philosophie eingeschrieben. Ich glaube, dass das genau das Richtige für mich ist. Ich spreche eh schon Spanisch und kann so meine Kenntnisse in der Sprache verbessern. Außerdem reise ich gern und ich habe gehört, dass man in diesem Fach ziemlich leicht ein Auslandssemester machen kann - oder sogar zwei. Philosophie interessierte mich auch schon immer. Das ist ja auch mit Sprache eng verbunden und es ist total faszinierend, welche Gedankengänge da möglich sind. Beide Studiengänge sind sehr frei und haben wenig Vorgaben, bedürfen aber umso mehr Eigeninitiative. Das ist völlig anders als Jura und das möchte ich mir jetzt einfach mal gönnen.“
Das sagte Jonas 2016, nach einem Jahr in seinem neuen Studium: „Meine Erwartungen an das neue Studium haben sich voll bestätigt. Romanistik und Philosophie ist eine gute Kombination. Gerade von Philosophie bin ich total begeistert. Da fällt einem wirklich manchmal wie Schuppen von den Augen, was ein Autor mit seinen Texten meint. Es ist so vielseitig und frei, manchmal bekommt man wirklich nur einen Text und es heißt: Denk dir was! Natürlich bringt diese Freiheit einen Studenten manchmal auch in organisatorische Schwierigkeiten und Erklärungsnöte. Wenn man sich alles selbst zusammenstellen oder vor anderen immer rechtfertigen muss, was man denn mit diesem Studium später mal anfangen möchte zum Beispiel. Ich antworte dann meistens nur noch, dass ich mich davon noch überraschen lassen werde. Wer solche Fragen stellt, hat sich meistens eh schon vorher ein Bild zurechtgemacht. Die Leute im Studium sind hingegen größtenteils wirklich cool und ich habe schon viele Kontakte geknüpft. Romanistik gliedert sich ja in kulturelle und einen wissenschaftliche Teile. Jetzt im dritten Semester möchte ich mich auf Sprachwissenschaft konzentrieren und neben Spanisch eine weitere Sprache lernen. Ich habe mich für Französisch entschieden. Das wird an vielen Orten gesprochen und ich möchte ja unbedingt weiterhin viel reisen. Deshalb erschien es mir sinnvoller als zum Beispiel Italienisch, das zwar meines Erachtens die schönste Sprache der Welt ist, aber wahrscheinlich nur ein schönes Hobby bliebe. Ich habe in meinem Studium im ersten Jahr schon gemerkt, was sich für Perspektiven auftun können. Entweder mache ich später noch meinen Master und gehe dann in eine Branche, in der man Sprachwissenschaftler braucht oder ich mache ein wirtschaftliches Masterstudium. Zum Beispiel European Studies, damit kann man viel anfangen. Die dritte Möglichkeit wäre ein Lehrberuf, vielleicht Deutschlehrer im Ausland. Das käme meiner Leidenschaft fürs Reisen sehr entgegen. Im Sommer war ich vier Wochen in Spanien und Paris. Ich möchte mich jetzt auch für ein Erasmus-Semester in Paris bewerben. Vielleicht hänge ich aber auch nach dem Bachelor einfach noch ein Studium dran. Psychologie interessiert mich da sehr, das wollte ich schon immer studieren. Insgesamt bin ich also sehr zufrieden. Ich habe alle Prüfungen gut bestanden und bin begeistert, wie sich so ein Studium entwickeln kann. Während am Anfang für mich ja wirklich noch alle Wege offen waren, habe ich mich jetzt schon auf ein paar Möglichkeiten beschränkt. Wenn das so weitergeht, weiß ich am Ende des Studiums genau was ich machen möchte und das ist ja wohl wirklich der Idealfall.“
Das sagte er 2017: „Mein Studium läuft weiterhin gut. In Romanistik musste ich mich im dritten Semester zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft entscheiden und bin sehr froh, dass ich letztendlich die Literatur genommen habe. Dort beschäftigt man sich eher mit der schriftlich fixierten Form von Sprache, deren Wirkung, Hintergrund und Interpretation, während die Sprachwissenschaft mehr die Entstehung der Normen, die Lautwandel und das Sprechen untersucht. Das kommt mir sehr entgegen und ist auch näher an der Philosophie. Französisch lerne ich in einem Sprachkurs. Das ist ein bisschen wie in der Schule und reicht sicher aus um damit durch Paris zu kommen, mein großes Steckenpferd wird aber weiterhin Spanisch bleiben. Ich möchte lieber eine Sprache wirklich perfektionieren als am Ende zwei Sprachen nur so halbwegs zu beherrschen. Deshalb gehe ich nun auch endlich ab September für ein halbes Jahr nach Valencia und danach nochmal sechs Monate nach Barcelona. Ich werde ein Jahr in Spanien studieren und meine Vorfreude ist schon jetzt gigantisch. Ich war mir selten bei einer Entscheidung so sicher wie bei dieser. Das kann fast gar nicht schlecht werden! Im Frühjahr war ich außerdem für einige Wochen in Südafrika. Dort lebt meine Freundin, die ich letztes Jahr in Spanien kennengelernt habe. Sie möchte jetzt auch nach Europa – wahrscheinlich Prag – ziehen, sodass wir uns dann hoffentlich öfter und einfacher sehen können. Besonders das Philosophie-Studium macht mir nach wie vor großen Spaß. Ich lese viel und eigentlich interessiert mich alles. Weil sich ständig neue Felder öffnen und mir zeigen, was ich alles noch nicht weiß, habe ich immer den Eindruck: Je mehr ich lese, desto weniger weiß ich. Mir gefällt besonders, dass ich lerne, wie pluralistisch alles eigentlich ist. Es gibt gar kein richtig oder falsch mehr und irgendwie wappnet einen dieses Wissen auch gegen vermeintlich „schlechte“ Dinge oder gegen Menschen, die stets behaupten, sie hätten DIE EINE Lösung für alles. Ich bin sehr froh, dass ich gerade gar nicht viel planen muss. Was sich nach meinem Jahr in Spanien ergibt, wird sich dann schon zeigen. Vielleicht bereite ich meine Bachelorarbeit vor. Und wenn alles glatt läuft, bin ich Ende 2018 fertig.“
Das sagte Jonas 2018: „Aus dem geplanten halben Jahr Valencia und halben Jahr Barcelona ist ein ganzes Jahr Valencia geworden. Es hat mir dort so gut gefallen, dass ich meinen Aufenthalt verlängert habe. So richtig angekommen bin ich ohnehin erst am Ende des ersten Semesters. Ich hatte allerdings auch richtig viel Glück – mal wieder. Zunächst mit meiner Wohnsituation, aber auch mit dem ganzen Umfeld und den Leuten, die ich dort kennengelernt habe. Da wäre es geradezu verwegen gewesen, mein Glück herauszufordern und zu versuchen mir das alles in Barcelona nochmal aufzubauen. Eigentlich habe ich das Jahr über die meiste Zeit normal studiert, obwohl man als Erasmus-Student natürlich immer einen kleinen Bonus hat: Es gibt mehr Freiräume, und wegen der sprachlichen Barriere kommen einem die Dozenten auch oft entgegen, etwa bei Prüfungen oder Fristen. Das spanische Uni-System habe ich als sehr steif und verschult empfunden. Es geht viel mehr darum, Daten und Fakten auswendig zu lernen als diese kritisch zu analysieren und zu reflektieren. Als Student bekommt man kaum Gelegenheiten, sich wirklich mit Themen auseinanderzusetzen. Gerade in der Philosophie hat mir das sehr gefehlt. Dafür ist das Leben in Spanien sehr schön. Der Lebensstil der Menschen, überhaupt die Leute, das Essen, das Wetter… Eigentlich hat mir mit Ausnahme der Uni alles besser gefallen als zu Hause. Jetzt bin ich wieder in München und werde voraussichtlich im Sommer meine Bachelorarbeit schreiben. Allerdings möchte ich auch danach weiter studieren. Im Moment ist meine Idee der „Doppelmaster“ in Romanistik und Philosophie, gerne auch wieder in einem anderen Land. Aber darüber muss ich mich nochmal ein bisschen genauer informieren. Jetzt muss ich mir erstmal einen Job für das kommende Semester suchen und auch meine Wohnsituation ist ungeklärt. Im Moment wohne ich zur Untermiete in einem Studentenwohnheim, aber das ist nur vorübergehend. Auch privat gibt es noch einiges zu klären. Die Pläne meiner Freundin, aus Südafrika nach Prag zu kommen, sind leider an der tschechischen Bürokratie gescheitert. Jetzt ist ihr neues Ziel Spanien, wo wir uns ja auch kennengelernt haben. Wir haben uns nun schon seit einem Jahr nicht gesehen und ich unterstütze sie in diesem Vorhaben, wo ich nur kann. Man braucht ja immer einen Fixpunkt, auf den man sich freuen kann. Ich hoffe sehr, dass es dieses Mal klappt.“
So dachte Jonas 2019: „Das vergangene Jahr war nicht leicht für mich, eigentlich war es bisher das am wenigsten schöne seit Beginn meines Studiums. Das lag vor allem an der Situation mit meiner jetzigen Ex-Freundin. Nachdem wir wirklich alles getan haben, um ihr als Südafrikanerin ein Visum in Spanien zu ermöglichen, wurde auch dieser Antrag leider ohne jegliche Begründung abgelehnt. Wir hatten so viel Energie und Geld dafür investiert, dass wir danach erst mal jeden Mut verloren haben. Das hat mich völlig aus der Bahn geworfen und ich bin in ein tiefes Loch gefallen, aus dem ich bis heute nicht richtig herausgekommen bin. Darunter hat natürlich auch mein Studium gelitten. Eigentlich habe ich das Jahr über immer nur das Allernötigste gemacht, um gerade so durchzukommen. Meine Bachelorarbeit habe ich auch verschoben. Mein Plan ist jetzt, sie bis Dezember fertigzustellen, statt wie ursprünglich schon im vergangenen Sommer. Immerhin habe ich aber einen ganz guten Job an einer Sprachschule gefunden. Dort gebe ich Deutschunterricht für kleine Gruppen aus aller Welt, was mir viel Spaß macht. Das ist so schön praxisorientiert und nah an dem, was ich später auch mal machen möchte. Auch meine Wohnsituation hat sich gut entwickelt. Nachdem ich im Studentenwohnheim eine Zeit lang immer von einer zur nächsten Untermiete gewechselt bin, habe ich jetzt mit zwei Freunden eine WG gegründet. Ich hoffe, dass ich das Studium bald zu Ende bringen kann. Nach der Bachelorarbeit will ich dann erst mal weg. Verreisen. Je weiter und je länger, desto besser.“
Das sagt er dieses Jahr: „Das sagt Jonas heute: „Im vergangenen Winter hatte ich eine Depression, aber ich habe trotzdem wie geplant meine Bachelorarbeit fertiggestellt. Das war sehr anstrengend. Danach bin ich ziemlich zusammengeklappt. Es ging mir so schlecht, dass ich Anfang des Jahres in einer Tagesklinik in Behandlung war. Lange konnte ich allerdings dort nicht bleiben, weil die Klinik im Frühjahr dann wegen Corona geschlossen wurde. Gut getan hat mir der Aufenthalt aber trotzdem. Außerdem habe ich weiterhin als Deutschlehrer gearbeitet. Das funktioniert inzwischen so gut, dass ich mich vollständig dadurch finanzieren kann. Sogar während der Krisenzeit konnte ich online Unterricht geben. Das war ja im letzten Jahr eines meiner Hauptziele: Niemandem mehr auf der Tasche liegen zu müssen. Nun plane ich, meinen Master in Wien zu machen. Ich mag die Stadt und außerdem gibt es dort den Studiengang „Internationale Entwicklung“, dessen Beschreibung mich sehr angesprochen hat. Ich kann da in viele verschiedene Bereiche eintauchen und mich für soziologische, politische, wirtschaftliche und kulturelle Themen entscheiden. Das klingt als wäre es genau mein Ding. Außerdem habe ich in Österreich die Möglichkeit auch noch ein Psychologiestudium dazu zu machen, was ich sehr gerne tun würde. Leider kann ich aber wegen der Pandemie erst im Sommersemester mein Studium beginnen. Ich freue mich aber schon sehr darauf.“
„Das vergangene Jahr war aufregend für mich, auch bevor Corona kam“
Viccy, 25, Angewandte Theaterwissenschaft, zu Beginn ihres Studiums und heute
Das sagt Viccy 2014: „Ich liebe das Theater! Nachdem ich einige Praktika gemacht habe, wollte ich deshalb Regie studieren. Das liegt mir mehr als die Schauspielerei, auch weil ich gerne mitbestimmen möchte. Allerdings bin ich für die meisten Schauspielschulen noch zu jung und habe mich deswegen jetzt für meine zweite Wahl entschieden. Ich hoffe so, noch andere Künste neben dem Theater besser kennenzulernen. Außerdem wollte ich mehr Struktur in mein Leben bringen, um mein Ziel besser verfolgen zu können. Nachdem ich nach der Schule ein Jahr frei gearbeitet habe, brauchte ich wieder einen geregelten Alltag. Auch, weil ich noch bei meinen Eltern wohne. Ich bin aber ganz stolz, dass ich noch kein einziges Mal in der Uni gefehlt habe! Ich schaffe auch plötzlich viel mehr. Allerdings ist das Studium zeitaufwendiger als ich dachte. Was man allein alles lesen muss! Ich dachte, das kann man locker alles nebenher machen. Im Laufe des Jahres werde ich mich weiter für Regie bewerben, hoffentlich komme ich dann aber nicht in eine ganze andere Stadt als mein Freund. Der wohnt im Moment auch in München, will aber Schauspiel studieren und bewirbt sich bei Schulen in ganz Deutschland. Außerdem hoffe ich, dass ich irgendwas finden werde, was mich wirklich erfüllt. Im Moment habe ich nämlich den Eindruck, dass ich nur so von Termin zu Termin arbeite.“
Nach einem Jahr ist Viccys Motivation schon deutlich geschrumpft: „Das Studium ist schon relativ interessant, ich bin aber höchstens mit 60 Prozent dabei. Eigentlich gehe ich nur zu den Veranstaltungen, die mich wirklich interessieren. Trotzdem bin ich sehr gut. Mein Nebenfach „Kunst, Musik, Theater“ kommt mir dagegen mehr wie ein Hobby vor, als wie ein richtiges Studium. Man kann so etwas wie Theater eben nicht auf einer wissenschaftlichen Ebene diskutieren. Da geht es nur um den Moment und darum, was persönlich ankommt, es gibt kein richtig oder falsch. Zum Glück arbeite ich neben dem Studium am Theater und durfte bei der Baal-Inszenierung dabei sein. Ich habe den ganzen Probenprozess miterlebt, was unglaublich toll für mich war. Momentan mache ich auch noch die Regieassistenz bei einem Musical für Kinder. Außerdem habe ich mich bei einer Schauspielschule für ein Regiestudium beworben. Leider wurde ich wegen meines Alters nicht genommen, ich habe aber ein sehr gutes Feedback bekommen. Jetzt werde ich weitere Bewerbungen an alle interessanten Schulen schicken. Durch das Studium habe ich eine gute Rechtfertigung anderen Leuten gegenüber, warum ich das tue, was ich tue. Selbst große Skeptiker nehmen meinen Traum, Regie zu studieren, nun ernst, weil ich jetzt schon länger daran arbeite. Das stimmt mich sehr zuversichtlich, dass es auch klappen wird.“
Das sagte Viccy 2016: „Morgen ziehe ich von daheim aus. Das ist schon ein krasser Schnitt, weil in meinem Leben nie wieder alles so sein wird, wie jetzt. Aber weil das, wo ich jetzt hingehe, mein Traum ist, fällt mir der Abschied leichter. Eigentlich müsste ich mich noch viel mehr freuen. Immerhin habe ich jahrelang trotz tausender Gegenstimmen daran gearbeitet, dass ich endlich Regie studieren kann. Ich habe mich in diesem Jahr bei fünf Schulen beworben. Als ich dann im Juni die Nachricht bekommen habe, dass ich in Gießen genommen wurde, bin ich seltsamerweise gar nicht vor Freude durchgedreht. Wahrscheinlich hab ich es einfach immer noch nicht ganz realisiert. Das kommt wohl erst, wenn ich wirklich da bin. In der Uni bin ich im Laufe des Jahres immer weniger gewesen. Von den 60 Prozent Anwesenheit aus dem letzten Jahr sind vielleicht höchstens 22 Prozent geblieben. Es gab ungefähr drei Vorlesungen und praktische Kurse, die mich wirklich interessiert haben und die ich deswegen auch regelmäßig besucht habe. Dafür habe ich jede Menge andere Dinge gemacht: Von Februar bis April habe ich im Residenztheater in München an der Švejk-Inszenierung mitgearbeitet. Zuvor war ich vier Monate in Berlin. An der Volksbühne hatte ich eine Mitarbeit und durfte sogar den Sprechchor dieser Inszenierung organisieren. Zusätzlich habe ich noch eine Dramaturgie-Hospitanz gemacht. Das war eine wahnsinnig anstrengende und aufregende Zeit, hat aber unglaublich viel Spaß gemacht. Danach wollte ich eigentlich eine Regieassistenz in München machen und hatte das schon alles abgeklärt, bis mir das Theater leider doch abgesagt hat. Da ging es mir eine Zeit lang wirklich nicht gut. Inzwischen glaube ich aber, dass es gar nicht so schlecht ist, wenn auch mal was nicht klappt. Ich habe mir fest vorgenommen, das dann eben zu einem anderen Zeitpunkt zu machen. Mein Freund studiert jetzt in Leipzig, wir führen nun eine Fernbeziehung. Davor hatte ich erst ziemlich Angst, aber seit er jetzt ein paar Wochen weg ist, bin ich doch immer zuversichtlicher. Wir sind schon seit vier Jahren zusammen, das ist es einfach wert.“
Das sagte Viccy 2017: „Ich studiere jetzt „Angewandte Theaterwissenschaft“ in Gießen. Das ist eine der zehn Schulen in Deutschland, an denen man staatlich anerkannt studiert, um dann den Weg in die Regie einzuschlagen zu können. Das Studium ist wirklich toll. Ich kann alle Kurse, die mich interessieren frei wählen, das geht von Kunst und Dokumentarfilm bis hin zu Ton und Beleuchtung, Maskenbau und Philosophie. Hier lerne ich noch mehr, als ich mir vorher schon erhofft hatte. Zum praktischen Teil des Studiums gehören auch sogenannte „Szenische Projekte“, wo wir ziemlich frei Ideen umsetzen können. Das ist völlig anders als ich es bisher kennengelernt habe, denn jetzt muss ich nicht Stücke lesen, die man inszenieren könnte, sondern ich schaue, welche Themen mich interessieren, womit ich gerne arbeiten würde. Gerade habe ich ein Projekt zum Thema „Spazierengehen“ gemacht, worin es um persönliche Abschiede geht. Die Uni ist generell sehr familiär und bietet mir große Freiheiten. Was allerdings auch erfordert, dass man sich selbst am Riemen reißt und wirklich eigenständig arbeitet. Mein Freund zum Beispiel studiert jetzt Schauspiel in Leipzig, dort ist vieles vorgegeben und insgesamt eher schulisch. Wenn ich in der Regie eine Geschichte erzählen will, muss ich erst mal herausfinden, was ich überhaupt erzählen will und warum. Da ich thematisch im Prinzip alles umsetzen könnte, erfordert allein das Herausfiltern eigene Disziplin. Früher in München habe ich ja höchstens 20 Prozent studiert, jetzt ist das völlig anders, weil ich endlich das studieren kann, was ich wirklich will. Ich habe das Gefühl, dass ich, sobald ich in Gießen bin, für das Studium arbeite. Was anderes kann man da gar nicht machen. Wegen der kleinen Anzahl der Studierenden an unserem Institut ist das Gefüge so eng, dass trotz der Freiheiten jeder Einzelne mitgenommen wird. Im Moment fühle ich mich wirklich wohl. Ich habe eine Band gegründet und gute neue Freunde gefunden, ich traue mir viel mehr zu und habe endlich die Möglichkeit, einfach mal Sachen auszuprobieren. Dafür ist das Studium wirklich fantastisch. Vielleicht ergibt sich irgendwann noch die Möglichkeit eines Erasmus-Semesters, das würde mich auf jeden Fall noch interessieren. Aber das hat ja noch ein bisschen Zeit. Und wenn ich doch mal das Bedürfnis nach schönen Häuserfassaden und ein bisschen Großstadt habe, fahre ich einfach in einer halben Stunde nach Frankfurt und gehe da ins Theater.“
Das sagte Viccy 2018: „Neben meinem Studium hatte ich in den letzten Monaten wenig Zeit für anderes. Diesen Sommer habe ich mich nach sechsjähriger Beziehung von meinem Freund getrennt. Neben der räumlichen Entfernung zwischen Gießen und Köln war sicherlich ein Grund, dass ich in meinem Studium sehr eingebunden bin. Eigentlich bin ich permanent in der Uni, konzipiere oder probe für unterschiedlichste Projekte. Abends gehe ich oft in Theaterstücke. Sogar in meiner Wohngemeinschaft wohne ich mit Leuten zusammen, mit denen ich auch studiere. Das Studium und die damit verbundene Freiheit gefallen mir nach wie vor wahnsinnig gut, obwohl ich sicher noch ein bisschen mehr Struktur gebrauchen könnte, was meine Arbeitszeiten angeht. Sobald ich von einem Projekt richtig begeistert bin, arbeite ich quasi durchgehend. Wenn ich von der Uni nach Hause komme, höre ich nicht auf und mache selten eine Pause – auch nicht an Wochenenden. Ich muss mich wirklich zwingen, manchmal einfach nichts zu tun. Selbst meine Ferien sind meist mit Projekten verplant. Deshalb war der letzte Sommer auch wirklich anstrengend. Aber da ich an unserem Institut die Möglichkeit habe auf künstlerischer Ebene fast alles auszuprobieren, mache ich das einfach mal und genieße das auch. Bei all der praktischen Arbeit in den letzten zwei Jahren, kamen die Theorie und das Lesen von Stücken ein bisschen zu kurz. Darauf werde ich im nächsten Semester den Fokus legen. Ich komme jetzt schon ins dritte Jahr und eigentlich liegt die Regelstudienzeit für den Bachelor bei sechs Semestern. Das macht allerdings kaum jemand und mir ist diese kostbare Zeit sowieso schon viel zu kurz, ich will ja noch so viel ausprobieren! Neben der Uni in Gießen arbeite ich weiterhin in München am Theater. Ich muss sowieso eine Assistenz fürs Studium machen und kann das glücklicherweise kombinieren. Im nächsten Jahr möchte ich mehrere größere Projekte angehen. Und ich plane eine große Reise, eventuell nach Südafrika, wo ich als Kind häufig war und das ich mir unbedingt wieder ansehen will. Außerdem denke ich manchmal darüber nach, was vielleicht nach dem Studium kommt. Wahrscheinlich der Master, wo ich hoffentlich nach all dem Ausprobieren freier Formen mehr klassisches Handwerk lernen kann, um Regisseurin zu werden. Obwohl ich gerade gar nicht ans Weggehen denken, sondern mich aufs Hier und Jetzt fokussieren will!“
Das dachte sie 2019: „Ich komme jetzt ins siebte Semester meines Studiums und bin immer noch glücklich damit. Ich kann frei wählen, welche Kurse ich belege und die Stadt Gießen mag ich inzwischen auch: Die Wege sind kurz, meine WG ist toll und ich habe gute Freunde in unmittelbarer Nähe. Im vergangenen Jahr habe ich einige Projekte umgesetzt, unter anderem eine eigene Arbeit in Kooperation mit der Kunsthalle Gießen, außerdem habe ich bei einem Masterabschluss-Stück mitgearbeitet. Allerdings hat sich mein Studium etwas verlangsamt, da ich jetzt noch eine weitere Aufgabe habe: Ich wurde nämlich zur Studierenden-Vertreterin meines Studiengangs gewählt. Das macht mir Spaß, denn ich kann dadurch viel bewegen: Vollversammlungen leiten, Vorschläge für Professuren einreichen, Gelder vor Gremien verteidigen und verhandeln. Vor kurzem bin ich zum zweiten Mal wiedergewählt worden. Es ist ein tolles Gefühl, so vielen Leuten eine Stimme zu geben, die sich unter Umständen nicht trauen, ihre Bedürfnisse öffentlich zu äußern. Gleichzeitig bin ich strukturierter und disziplinierter in meinem Alltag geworden; ich gehe regelmäßig schwimmen und esse kein Fleisch mehr. Außerdem habe ich zum ersten Mal meine Steuererklärung gemacht – ganz alleine! Ich fordere mich selbst und versuche, es mir nicht allzu bequem zu machen. Früher hatte ich eher Angst vor unangenehmen Situationen, jetzt habe ich Spaß daran, Hürden zu meistern. In einem Jahr könnte ich den Bachelor abschließen und dann den Absprung aus Gießen wagen. Obwohl ich mich dort so wohl fühle, möchte ich den Master gerne in einer anderen Stadt machen, vielleicht sogar in einem anderen Land.
Das sagt sie heute: „Das vergangene Jahr war aufregend für mich, auch bevor Corona kam. Ich habe mich mit einer Freundin für die Debütförderung der Stadt München beworben. Wir haben gar nicht erwartet, dass das sofort klappt, aber wir haben die Förderung tatsächlich beim ersten Versuch bekommen und können jetzt ein eigenes Stück realisieren! Coronabedingt mussten wir zwar die Premiere verschieben, aber wir haben unser Stück nun tatsächlich im Oktober in München aufgeführt. Es macht mir großen Spaß, endlich meine eigenen Ideen auf der Bühne umsetzen zu können. Zudem hat mich meine Arbeit in der Studierenden-Vertretung ziemlich beansprucht. Ich habe mich sehr für meinen Studiengang engagiert, mich für Finanzierungen und Stellen stark gemacht. Ich weiß zwar, dass ich sowas gut kann, mache es aber nicht immer gern. Denn es ist wahnsinnig anstrengend, in einem ungleich besetzten, unfairen System in Gremien zu sitzen und um jede Kleinigkeit kämpfen zu müssen. Deshalb werde ich den Platz der Studierenden-Vertreterin nun auch für eine Nachfolgerin räumen. Im Frühjahr, als der Lockdown kam, war ich zumindest ganz froh, dass ich ein bisschen mehr Zeit und Ruhe sowohl für mich und meine Kunst hatte. Manche Projekte konnten dadurch kreativ umgestaltet werden: ein Bühnenstück wurde als App realisiert und ich habe mit anderen Studierenden eine Performance auf dem Dach der Uni gezeigt, die man per Stream online live ansehen konnte. Insgesamt habe ich diesem Jahr an vier Masterabschlussprojekten mitgearbeitet und parallel zum Studium mit meiner künstlerischen Arbeit genug Geld verdient. Verglichen mit dem Beginn meines Studiums ist das inzwischen einer der größten Unterschiede: In den vergangenen Jahren gab es für mich einerseits das Studium, andererseits das Arbeiten im professionellem Umfeld. Beides fügt sich jetzt mehr und mehr zusammen. Als nächstes schreibe ich erstmal meine Bachelor-Arbeit und versuche, im Frühjahr noch ein Erasmus-Semester dranzuhängen. Dafür würde ich gerne an die Hochschule der Künste nach Zürich gehen. Wenn es mir dort gefällt und die Bewerbung auch für ein Stipendium klappt, könnte ich mir vorstellen, dort vielleicht sogar meinen Master zu machen.“
„Ich könnte mir aktuell gut eine wissenschaftliche Karriere vorstellen“
Marie, 25, Global Change Geography, zu Beginn ihres Studiums und heute
Das sagte Marie 2014: „Ich habe mich für Geographie entschieden, nachdem ich jemanden kennengelernt habe, der das studiert hat. Das Studium ist so breit gefächert. Es kombiniert Naturwissenschaft mit gesellschaftlichen Themen, was mir beides sehr liegt. Außerdem denken Geographen nachhaltig und umweltbewusst, was mir auch sehr sympathisch ist. Ich möchte nämlich später unbedingt etwas machen, das irgendwie „gut“ ist. Bisher gefällt mir das Studium eigentlich auch super. Leider habe ich den Arbeitsaufwand ein bisschen unterschätzt. Ich wollte noch viel mehr nebenbei tun, beim Studentenradio mitmachen, mehr arbeiten, aber dafür fehlt mir völlig die Zeit. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass alle das Studium so ernst nehmen. So wird es mit zweimal die Woche Kellnern, meinem Hund und anderen Aktivitäten manchmal echt ein bisschen eng. Dabei habe ich noch nicht mal einen Freund. Zum Glück sind die Geographen aber alle sehr nett. Im nächsten Jahr möchte ich unbedingt zuhause ausziehen. Außerdem will ich Portugiesisch lernen und - am allerwichtigsten - mit mir zufrieden sein. Das könnte schwer werden, weil ich zwar ehrgeizig, aber auch schrecklich undiszipliniert bin.“
Das sagte Marie nach einem Jahr an der Uni: „Ich hatte ein sehr gutes Jahr! Das Studium macht mir großen Spaß. Als ich neulich in Berlin war, fand zufällig gerade ein Geographiekongress statt. Da habe ich mir ein paar Vorträge angehört und mir die ganze Zeit nur gedacht: Das ist wirklich genau das Richtige für mich! Ich mag, wie vielfältig das Studium ist und interessiere mich für Dinge, von denen ich vor einem Jahr gar nicht wusste, dass es sie gibt. Die Umweltfernerkundung zum Beispiel ist eins meiner Lieblingsfächer geworden. Da kann man anhand von Satellitenbildern erkennen, was sich auf der Erdoberfläche abspielt. Das ist total faszinierend. Nach einem Semester habe ich auch gemerkt, dass das Studium gar nicht so anstrengend ist, wie ich zu Beginn dachte. Geografie ist wirklich kein harter Studiengang, es gibt nicht sehr viele Fächer und eigentlich kriege ich alles gut hin. Ich habe deshalb auch viel neben dem Studium gemacht: Im zweiten Semester habe ich einen Spanischkurs in der Uni belegt und habe Fußball beim Hochschulsport gespielt - dafür konnte ich mich dann aber ziemlich bald nicht mehr richtig begeistern. Außerdem bin ich endlich zuhause ausgezogen. Jetzt wohne ich mit einem Freund zusammen, den ich im Studium kennengelernt habe. Das läuft richtig gut. Und ich habe endlich aufgehört zu kellnern. Das hat mir im Sommer endgültig gereicht. Jetzt suche ich einen neuen Job – am liebsten in meinem Bereich an der Uni.“
Das sagte Marie 2016: „Das Studium geht mir viel zu schnell vorbei! Ich könnte schon im Sommer fertig sein, aber ich möchte das gar nicht. Mir gefällt meine ganze Lebenssituation gerade einfach viel zu gut. Deshalb lasse ich mir jetzt viel Zeit und besuche auch Vorlesungen, die zwar nicht direkt mit meinem Studium zu tun haben, aber mich eben persönlich interessieren. Zum Beispiel habe ich vor, die Vorlesung „Basiswissen Islam“ zu besuchen. Ich habe auch den Eindruck, dass sich in der Stadt gerade total viel entwickelt. Auch deshalb wäre ich traurig, wenn das Studium bald zu Ende wäre. Denn meinen Master möchte ich gerne woanders machen und eigentlich will ich noch überhaupt nicht weg. Deshalb mache ich auch noch viel neben dem Studium: Ich starte gerade meinen zweiten Versuch, Spanisch zu lernen. Beim ersten Mal bin ich leider ziemlich bald nicht mehr hingegangen. Ich habe jetzt auch einen guten Grund: Im Frühling fahre ich nach Peru. Auch dem Sport gebe ich noch eine zweite Chance. Nachdem mir Fußball zu hart war, probiere ich es jetzt mit Yoga. Ich bin auch in der Fachschaft aktiv, habe einen Hiwi-Job beim Institut für Sozialforschung und gebe Deutsch-Nachhilfe für Flüchtlinge. Das Studium selbst wird immer entspannter, aber zugleich auch immer interessanter. Ich entdecke immer mehr Themen, mit denen ich mich auch gerne noch länger im Leben befassen würde. Zum Beispiel ging es neulich erst um „Ernährungssicherheit und Klimawandel“. Das wäre eine Richtung, in die ich mir gut vorstellen könnte, später mal zu gehen.“
Das sagte Marie 2017: „Im Sommer habe ich meine Bachelorarbeit geschrieben. Es ging um das Thema Landwirtschaft und Klimawandel. Außerdem hatte ich zugleich noch einen Hiwi-Job bei einem Forschungsprojekt. Dort musste ich im Rahmen einer „Feldkampagne“ regelmäßig auf Felder fahren und die Entwicklung von Pflanzen dokumentieren. Das habe ich vier Monate lang gemacht, immer auf Mais- und Weizenfeldern. Dabei fiel mir auf: Das ist zwar spannend, aber kann auch anstrengend werden... In den Semesterferien im März war ich dann auf einer großen Exkursion in Peru. Dort haben wir verschiedene Themen mit Bezug zur Geographie untersucht, aber auch einfach das Land angesehen. Das war definitiv das Highlight des Wintersemesters. Zum Glück hatte ich diesmal auch den Spanischkurs durchgezogen. Direkt danach wurde mir dann nach zwei Jahren meine Wohnung gekündigt, was ein kleines Drama war, weil ich unbedingt weiterhin mit meinem Mitbewohner zusammen wohnen wollte. Eine Freundin hat dann aber tatsächlich eine Vier-Zimmer-Wohnung gefunden und wir konnten gemeinsam dort einziehen und sogar noch einen neuen Mitbewohner suchen. Jetzt wohne ich also zu viert und außerdem gleich um die Ecke von meinen Eltern. Nachdem ich meinen Bachelor jetzt schon fast gemacht habe, gehe ich nun noch für ein halbes Jahr nach Amsterdam. Ich wollte unbedingt schon die ganze Zeit mal ins Ausland, aber irgendwie habe ich das immer etwas verpennt und wollte auch meine Arbeit lieber in Deutschland schreiben. Das ist jetzt noch mal ein kleiner Höhepunkt zum Schluss, denn ich merke schon sehr deutlich, dass das Studium langsam dem Ende zugeht. Drei Jahre sind einfach viel zu kurz! Die Kommilitonen, das Studium an sich, vor allem mit den Exkursionen, dass man ständig irgendwo irgendjemanden trifft … das wird mir alles sehr fehlen. Ich bin wirklich etwas wehmütig. Nach meinem Aufenthalt in Amsterdam werde ich noch ein Praktikum im Rahmen des Studiums machen und dann habe ich erst mal ein halbes Jahr Zeit um mir was für ein Masterstudium zu überlegen. Das möchte ich nämlich unbedingt machen. Das kann ja noch nicht alles gewesen sein.“
Das sagte sie vergangens Jahr: „Das halbe Jahr, das ich in Amsterdam verbracht habe, war einfach großartig. Neben der bunten Lebhaftigkeit der Stadt gefiel mir auch die Organisation des Studiums sehr gut. Das ganze System fühlte sich anders an, man macht viel mehr Projekte, hat mehr Möglichkeiten und teilweise weitreichendere Inhalte. Es schien alles sehr gut aufeinander abgestimmt. Auch der Forschungsansatz fühlte sich anders an. In Deutschland empfand ich das Geographie-Studium oft als losgelöst von der gesellschaftlichen Verantwortung, die mit den Themen des Studiums einhergeht. In Amsterdam war das völlig anders. Als ich im Januar wieder wegging, fiel mir der Abschied auch deshalb wahnsinnig schwer. Aber der Perspektivenwechsel und die Erfahrung im Ausland haben mich umso mehr darin bestärkt, nochmal woanders hinzugehen. Deshalb habe ich mich auch entschieden, den Master in Berlin zu machen. Zunächst hatte ich mich nur alibimäßig dort beworben. Eigentlich ging es mir in München sehr gut und ich hätte genauso gut hierbleiben können. Ich hatte einen guten Job in einem geowissenschaftlichen Unternehmen, bei dem ich nach einem Praktikum geblieben bin, habe über die Jahre sehr viele Freunde und Freizeitaktivitäten gefunden und alles lief sehr bequem und angenehm für mich. Irgendwie hatte ich aber Lust auf das Abenteuer. Und Berlin ist für mich genau so ein Abenteuer. Also habe ich gleich allen Freunden davon erzählt, damit ich bloß gar nicht erst auf die Idee komme einen Rückzieher zu machen. Jetzt beginne ich an der HU Berlin mit dem Master in „Global Change Geography“. Meinen Job in München kann ich erstmal auch aus der Distanz weitermachen und ich habe auch schon eine neue Stelle an der Uni in Berlin in Aussicht. Außerdem hoffe ich, dass ich mich in Berlin zusätzlich noch mehr gesellschaftlich engagieren kann. Ein Zimmer habe ich auch schon, nächste Woche ziehe ich um. Es ist aufregend.“
Das sagte sie 2019: „Ich lebe seit einem Jahr in Berlin. Die Stadt ist überwältigend, an schlechten Tagen manchmal auch überfordernd. Das Masterstudium gefällt mir sehr gut. Es beleuchtet die verschiedensten Aspekte des globalen Wandels. Im Vergleich zu meinem Bachelorstudium in München liegt der Fokus noch mehr auf methodischem Arbeiten. Das bedeutete für mich zunächst eine Umgewöhnung und war herausfordernd. Insgesamt geht alles aber sehr in die Richtung, in der ich später auch tätig sein möchte: Ich kann mir sehr gut vorstellen, in die Forschung zu gehen. Wenn alles so klappt, wie ich es mir vorstelle, möchte ich den Master in fünf Semestern abschließen. Ich habe im vergangenen Jahr auch zwei Stipendien bekommen, die mir meine Arbeit sehr erleichtern. Durch die Studienstiftung bekomme ich monatlich finanzielle Unterstützung und Zugang zu interessanten Veranstaltungen, Kursen und Netzwerken. Neben dem Studium habe ich auch noch einen Hiwi-Job in der Uni und arbeite ehrenamtlich beim BUND Jugend als Bildungsagentin. Hier gebe ich Workshops, um ergänzend zu meinem umweltpolitischem Aktivismus auch positiven Einfluss auf jüngere Generationen zu haben. Mein Engagement zieht sich natürlich auch bis ins Privatleben. Um umweltfreundlich und unabhängig unterwegs zu sein, habe ich das Fahrrad als Reise-Verkehrsmittel für mich entdeckt. Gerade habe ich mit meinem Freund eine vierwöchige Reise durch Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro mit dem Rad gemacht.“
Ich habe mein Studium ein bisschen in die Länge gezogen, was vor allem daran liegt, dass es mir so gut gefällt. Genauso wie mein Leben in Berlin, wo ich mich nach zwei Jahren sehr zuhause fühle. Ich mag die Stadt mit all ihren Widersprüchen und ihrer Widerspenstigkeit. Mittlerweile habe ich auch das Umland zu schätzen gelernt, gerade in den letzten Monaten. Eigentlich wollte ich in diesem Jahr eine Forschungsreise nach Armenien und Georgien machen, weil der globale Wandel im Kaukasus das Forschungsthema meines Hiwi-Jobs ist. Es war geplant, dort Naturschutzgebiete zu besuchen und Workshops durchzuführen. Leider kam Corona dazwischen. Das war aber auch das einzige, was für mich durch die Pandemie nicht geklappt hat. Obwohl: Meine bildungspolitische Arbeit im Bereich Umwelt musste ich wegen Corona auch ruhen lassen. Und obwohl es jetzt langsam wieder damit losgehen würde, werde ich es nicht mehr machen. Der pädagogische Teil war sehr viel anstrengender, als ich gedacht hatte. Meinen Hiwi-Job konnte ich währenddessen die ganze Zeit weiter ausüben, teilweise in der völlig leeren Uni. Ich weiß mittlerweile, dass ich gerne wissenschaftlich arbeite und schreibe. Ich könnte mir also aktuell gut eine wissenschaftliche Karriere vorstellen, am besten an der Schnittstelle von kritischer naturwissenschaftlicher Forschung und Gesellschaft. Jetzt im Herbst fange ich erstmal meine Masterarbeit an. Dabei habe ich die Qual der Wahl, weil es so viele Themen gibt, die mich interessieren.