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Hebammen müssen seit Januar studieren
„Aber was bist du dann? Theoretische Hebamme?“ – Das ist eine Frage, die Sophia oft beantworten muss. Sie studiert im allerersten Jahrgang Hebammenwissenschaft an der Universität Tübingen. Das bedeutet, dass sie anders als Auszubildende mehr Theorie behandeln soll und wissenschaftliche Arbeiten verfassen und lesen muss. Gleichzeitig hat sie blockweise Einsatz im Kreißsaal. Sophia hat aber vor allem das Gefühl, dass sie und ihre 29 Kommiliton*innen oft als Versuchskaninchen herhalten müssen. „Es ist sehr viel nicht zu Ende geplant und daher relativ chaotisch“, erzählt sie.
Der Tübinger Pilotstudiengang ist einer der ersten, der eine neue EU-Richtlinie erfüllt. Demnach müssen seit dem 18. Januar 2020 alle Menschen, die Hebamme und Entbindungspfleger*innen werden wollen, das Bachelor-Studium Hebammenkunde absolvieren. „Eigentlich hätten wir bis jetzt fertig sein müssen, anstatt erst anzufangen“, kritisiert Yvonne Bovermann, Beirätin für den Bildungsbereich und Mitglied des Präsidiums des Deutschen Hebammenverbands (DHV). Denn die Richtlinie habe bis zum 18. Januar die Umsetzung eines neuen Systems gefordert, nicht den Beginn der Reformierung des alten Systems. Vorerst gibt es deshalb noch zwei Systeme parallel: Bis 2022 dürfen die Hebammenschulen noch Kurse anbieten, die wiederum bis 2027 beendet sein müssen. Den Studiengang gibt es bereits an rund 20 Universitäten und Hochschulen in ganz Deutschland.
Viel Zeit, um etwas erklärt zu bekommen, gibt es nicht
Aber welche Auswirkungen hat die Akademisierung des Berufes nun auf den Alltag in der Berufsschule oder an der Universität? Wie schwierig Hebammen es heute haben, ist bekannt. Das Gehalt ist schlecht, die Kreißsäle sind überlastet, die Arbeitsbedingungen erschöpfend. Kann die Reform helfen diese Probleme zu lösen?
„Bei mir in der Klinik sind es pro Schicht vier Hebammen im Kreißsaal. Im Extremfall betreuen wir aber sechs bis sieben Frauen, die gerade ein Kind bekommen oder bereits entbunden haben. Das heißt: Eine Hebamme muss sich um zwei bis drei Frauen gleichzeitig kümmern. In so einer Schicht sind wir dann ungefähr neun Schülerinnen und alle neun wollen was lernen. Viel Zeit, um etwas erklärt zu bekommen, ist da nicht“, erzählt Sophia aus ihrem Studienalltag. Wer wie Sophia vor dem 18. Januar mit dem Studium der Hebammenwissenschaft begonnen hat, für die greift noch das Ausbildungsgesetz (HebAPrV), laut dem sie während der sechs Semester Regelstudienzeit 3000 Stunden Praxis (ungefähr 83 Stunden im Monat) absolvieren müssen – und das im Gegensatz zur Ausbildung ohne Vergütung.
Hebammenschüler*innen hingegen verdienen im ersten Lehrjahr ungefähr 980 Euro im Monat, im dritten sind es rund 1140 Euro brutto. Eine Hebamme mit Berufserfahrung verdient bis zu 2800 Euro brutto. Die Studierenden, die jetzt anfangen, bekommen ein „Studiengehalt“ von der Krankenkasse. Das ist neu für die zukünftigen Studierenden. Die deutschlandweite Empfehlung des Bundesinnenministeriums liegt bei einer Summe von 1400 Euro. Am Ende ist das aber Ländersache, so will zum Beispiel Bayern laut Bovermann weitaus weniger bezahlen.
„Das ist ein richtig toller Beruf, den man nicht an jeder Straßenecke findet“
„Das ist ziemlich wenig Geld für die schwere physische und psychische (Schicht-)Arbeit und ich vermute, dass der Mangel an Hebammen auch genau daher kommt“, sagt die Hebammenschülerin Rahel. Sie hat sich noch für eine Ausbildung entschieden, ist im zweiten Lehrjahr an einer Hebammenschule in Stuttgart und man merkt daran, wie schwärmerisch sie spricht, dass sie ihren Beruf trotz der harten Bedingungen liebt: „Ich find die Ausbildung schön. Ich erlebe sehr viel, kriege viel mit, es ist immer aufregend. Das ist ein richtig toller Beruf, den man nicht an jeder Straßenecke findet. Natürlich ist es aber auch sehr anstrengend. Aber jede Art von Arbeit ist irgendwie anstrengend.“
Anstrengend werde der Beruf laut Rahel immer bleiben, ob Studium oder nicht. Sie glaubt nicht daran, dass die Akademisierung mehr bringt, als ein aufgehübschtes Image von Hebammen. „Der Stellenwert in der Gesellschaft wird jetzt vielleicht höher“, sagt sie, „aber bis jetzt hat es noch keine Folge. Die Hebamme verdient noch dasselbe. Sie hat noch dieselben Arbeitszeiten und dieselben Bedingungen wie vor der Akademisierung.“
Yvonne Bovermann zufolge besteht mit dem neuen Studienabschluss die Hoffnung, dass Hebammen so über höhere Gehälter und Personalschlüssel verhandeln können. Das wiederum zöge mehr arbeitswillige Menschen an. Konkurrenz zwischen Abgänger*innen des Studiums und der Ausbildung besteht aus ihrer Sicht dabei vorerst nicht, weil es immer noch mehr Arbeitsplätze als Hebammen gibt.
Eine stärkere Stimme für die Frauen
„Wir werden natürlich weiterhin das Problem haben, dass Schichtdienst nicht das ist, wonach junge Menschen suchen. Und da müssen wir starke Dinge dagegen halten“, sagt Bovermann. Aus ihrer Sicht ein weiterer Grund für die Akademisierung: Hebammen bekämen so die Wissenschaft als neues Standbein. Sie bräuchten mehr als Fachwissen, sie müssen auch in der Lage sein, wissenschaftlich denken und reflektieren zu können, so Bovermann. Bisher war Forschung in der Geburtshilfe ein Teilbereich der Medizin, es ging dabei eher um biochemische, medizinische Prozesse als um die Zufriedenheit von Gebärenden. „Wir können mit Hebammenforschung den Frauen eine stärkere Stimme geben“, sagt Bovermann. Forschung also für Schwangere, anstatt über Schwangere.
Solange es weiterhin zu wenig Hebammen gibt, ist die praktische Umsetzung der gut gemeinten Reformen allerdings schwierig: „In den Kreißsälen brennt die Hütte und die allerschwächsten, die Schüler*innen und Student*innen, trifft es am meisten.“ klagt Bovermann. Und: „Aktuell werden sie häufig genommen, um fehlendes Personal zu ersetzen. Das bedeutet nicht nur eine völlige Überforderung, sondern ist auch gefährlich. Eigentlich müsste man die Anleiterinnen als reguläres Personal abziehen, damit sie sich ganz den Lernenden widmen können – aber dann würde der Kreißsaal zusammenbrechen.“
Darüber, ob die Akademisierung der Ausbildung das Hebammen-Dasein wirklich attraktiver macht, sind sich nicht alle einig. Schülerin Rahel ist skeptisch: „Ich sehe nicht, dass sich dadurch irgendetwas ändern wird. Ich vermute, dass in vielen Köpfen mit dem Studium eine bessere Karriere einhergeht, aber das bietet der Beruf aktuell einfach nicht.“ Aktuell gibt es Überlegungen, dass nicht-studierte Hebammen den Titel später noch nachholen können, auch um eventuelle Gehaltsunterschiede auszugleichen – aber das kostet Zeit.
Auch Bovermann weiß, dass die neuen Studiengänge nicht alle Probleme lösen werden. Weitere sinnvolle Maßnahmen gegen den Hebammenmangel wären aus ihrer Sicht eine bessere Bezahlung und ein neuer Personalschlüssel. Die ärztliche Fachgesellschaft fordert einen Betreuungsschlüssel von einer Hebamme zu einer Patientin, anstatt eins zu drei. Mit der Akademisierung der Hebammenausbildung soll es leichter werden, diese Gegebenheiten zu erstreiten.