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Dürfen Studierende nach ihrem Abschluss noch eingeschrieben sein?
„Man kann es auch Betrug nennen“, sagt Alex. Während eines sechsmonatigen Praktikums bei der UNO in der Schweiz hat sich der 25-Jährige an der Uni Kiel für das Fach Physik eingeschrieben. Obwohl er natürlich nicht wirklich gleichzeitig studieren wollte. Aber Student-Sein hatte für ihn einen Vorteil: „Ansonsten hätte ich jeden Monat hunderte Euro an die Krankenkasse zahlen müssen.“
So wie Alex machen es einige. Egal ob Physik, evangelische Theologie oder Germanistik: Fake-Studierende sind an einer Universität eingeschrieben – aber nicht, um ernsthaft zu studieren, sondern um finanzielle Vorteile zu genießen. Günstig mit Bus und Bahn fahren, bei den Eltern mitversichert bleiben und Kindergeld bekommen. Das klingt erstmal ziemlich schmarotzerhaft, wenn nicht sogar illegal. Aber wie weit verbreitet ist das Scheinstudium – und wie schlimm ist es?
Peter-André Alt ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, dem Zusammenschluss der deutschen Hochschulen. Er kennt das Problem der Scheinstudierenden. Den Unis ist das Thema nicht egal: „Die Hochschulen stehen möglichen missbräuchlichen Einschreibungen keinesfalls gleichgültig gegenüber und haben vielmehr ein Interesse daran, dass ihre Studierenden aktiv und erfolgreich studieren”, schreibt er auf Anfrage von jetzt. Wie viele junge Menschen genau zum Schein studieren, weiß aber wohl niemand: „Naturgemäß gibt es keine Zahlen oder seriöse Schätzungen.“
„Der Studiengang war zulassungsfrei – ich habe also niemanden einen Platz weggenommen“
Alex, der vermeintliche Physikstudent, hat eigentlich Volkswirtschaftslehre in Mannheim studiert. Nach seinem Bachelorabschluss exmatrikulierte er sich – vorschnell, wie sich zeigte. „Ich hätte meine Exmatrikulation hinauszögern können“, erklärt er. Die Möglichkeit habe er übersehen. Stattdessen habe er sich dann eben in Kiel für Physik immatrikuliert. Gewissensbisse hat er nicht: „Der Studiengang war zulassungsfrei – ich habe also niemanden einen Platz weggenommen.“ Sein Praktikum konnte er mit einem Stipendium finanzieren. „Aber wenn ich noch die Krankenkasse gezahlt hätte, wäre mir kaum noch was übrig geblieben.“ Nach dem Praktikum nahm sich Alex eine Auszeit, da er sich neben dem Praktikum noch in einem Verein engagiert hatte – und auch währenddessen blieb er weiter eingeschrieben. Seine Studienleistungen wurden nicht kontrolliert.
Auch Sophie, 31, blieb lange an der Uni – zumindest auf dem Papier: Nach dem Lehramtsstudium in München hat sie zwei Jahre lang als Referendarin gearbeitet: „Währenddessen war ich in München für Archäologie eingeschrieben.“ Als Referendarin verdiene man nicht viel, etwa 1200 Euro Netto im Monat. Damit komme sie gerade so über die Runden. Das Semesterticket hat sie genutzt, um zu den Schulen zu fahren: “Ich habe eine Stange Geld gespart.“ Ein Semesterticket in München kostet maximal 200 Euro. Im Jahr zahlen Studierende also höchstens 400 Euro, um mit den Münchner Bussen und Bahnen zu fahren. Eine normale Monatskarte kostet in der Stadt mehr als 200 Euro – das sind im Jahr etwa 2400 Euro.
Blickt man auf die finanzielle Situation junger Menschen ist es nicht verwunderlich, dass sie versuchen, die Vorteile einer Immatrikulation zu nutzen: Laut der Bundeszentrale für politische Bildung sind 25,8 Prozent der 18- bis 25-Jährigen armutsgefährdet, haben also weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland zur Verfügung. In den Medien finden sich viele Beispiele für Scheinstudierende und alle zeichnen ein ähnliches Bild: Die meisten von ihnen finanzieren sich eher kurzfristig über ein Fake-Studium.
„Eigentlich macht es jeder. Warum soll das schlimm sein?”
Genauso war es auch bei Jana, 23 Jahre alt. Nach ihrem Bachelor in Karlsruhe hat sie sich für Archäologie in Köln immatrikuliert. „Ich habe mich am Anfang schlecht gefühlt, aber dann gedacht: Eigentlich macht es jeder. Warum soll das schlimm sein?” Sie hat sich eingeschrieben, um weiter Kindergeld zu bekommen und um bei ihren Eltern mitversichert zu bleiben. Bis zum 25. Lebensjahr kann man sich noch bei den Eltern mitversichern lassen, wenn man eingeschrieben ist. „Für mich war es auch einfach zu viel Papierkram,” sagt Jana.
Dabei scheint es ziemlich einfach zu sein, nur vorgeblich zu studieren. Weder Alex, noch Sophie oder Jana wurden kontrolliert. Peter-André Alt meint allerdings, dass die Hürden inzwischen höher seien als früher: „Die heutige Studienstruktur, die regelmäßige Leistungsnachweise fordert, macht ein Einschreiben ohne wirkliches Studium erheblich schwieriger, als es vielleicht in manchen Fächern vor der Studienreform war.“ Von den Scheinstudierenden profitieren die Unis auch nicht direkt. Zwar hänge es auch von der Zahl der Studierenden ab, wie viel öffentliche Gelder die Hochschulen erhalten. „Aber durch den neuen Zukunftsvertrag Studium und Lehre sind andere Kriterien wie Abschlussquoten oder Einhaltung der Regelstudienzeit deutlich wichtiger für die Mittelzuweisung geworden,” sagt Alt. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz meint auch: Mehrere Semester lang als Scheinstudierende:r immatrikuliert zu bleiben könnte schwierig werden. „Viele Hochschulen hatten bereits vor dem Zukunftsvertrag Monitoringsysteme eingeführt, um die Fortschritte ihrer Studierenden zu erfassen und gegebenenfalls bei der Studienganggestaltung nachzubessern, wenn etwa zeitliche Überschneidungen von Lehrveranstaltungen Probleme bereiten," sagt Alt.
Aber, ganz abseits von etwaigen moralischen Bedenken und finanziellen Notsituationen: Ist es gesetzlich verboten, sich zu immatrikulieren und dann nicht wirklich zu studieren? Und was kann schlimmstenfalls passieren? Die Rechtsanwältin Mirjam Rose erklärt: „Das Scheinstudium befindet sich in einem rechtlichen Graubereich.” Ganz ohne Konsequenzen bleibt es allerdings laut der Expertin nicht: „Es kann eine Exmatrikulation nach sich ziehen. Allenfalls könnte ein Betrugstatbestand in Betracht kommen, wenn BAföG bezogen oder das Semesterticket genutzt wird, denn dann liegen Vermögensverschiebungen vor.”
Allerdings bleibe es schwierig, Missbrauchsfälle ausfindig zu machen – vor allem weil man nur sehr schwer nachweisen könne, dass in den einzelnen Fällen mit Vorsatz betrogen wurde. „Studierende, die wegen eines Scheinstudiums verurteilt wurden, sind mir nicht bekannt,” sagt Rose. Gute Nachrichten für die Überbrücker:innen - schlechte Nachrichten für die Universitäten.
*Die Namen der Protagonist:innen und ihre Studienorte wurden geändert.