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„Wir brauchen kein neues Verschuldungsprogramm für Studierende“

Collage: Daniela Rudolf-Lübke / Fotos: Omid Armin, Unsplash / drobotdean, Freepik

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Der Einzelhandel hat großteils wieder geöffnet und Restaurants werden wohl schon bald wieder Gäste empfangen können. Das ist auch wichtig für viele Studierende – denn sie arbeiten nebenher oft in der Gastronomie, laut der Bundesregierung haben viele von ihnen durch die Corona-Krise ihren Job verloren.  Am 30. April hat Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) daher einen Sofortkredit vorgestellt, der Studierenden helfen soll. Der Kredit wird durch die  Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ausbezahlt. Wir haben mit Matthias Neis, dem Bildungsbeauftragten der Gewerkschaft Verdi, darüber gesprochen, ob der Kredit Studierenden hilft, was die Alternativen sind und was wir durch die Corona-Krise über die finanzielle Situation von Studierenden in Deutschland lernen können.

jetzt: Herr Neis, finanzielle Hilfen für Studierende – das ist doch erstmal gut, oder? 

Matthias Neis: Ganz ehrlich, ich halte nicht viel von diesem Kredit. Zinsfrei ist er nur bis Ende März 2021. Ab dann werden die ganz normalen KfW-Zinsen fällig und die Rückzahlung beginnt spätestens 23 Monate nach der letzten Auszahlung. Sehr gut möglich, dass Leute, die jetzt noch am Anfang ihres Studiums stehen, noch vor dem Ende mit der Rückzahlung anfangen müssen. Wie soll das funktionieren? Wir brauchen kein neues Verschuldungsprogramm für Studierende. 

matthias neis verdi galerie

Matthias Neis, Bildungsexperte bei Verdi.

Foto: Privat

Was wünschen Sie sich stattdessen?

Eine Soforthilfe in Form eines finanziellen Zuschusses.

Und wo könnte der auf die Schnelle herkommen? 

Zum Beispiel vom BAföG, das Geld ist da. Da sind in den vergangenen Jahren viele Millionen übrig geblieben.

Wie meinen Sie das – vom BAföG ist Geld „übrig geblieben“?

Nur 13 Prozent der Studierenden in Deutschland kriegen BAföG. Das zeigt der alternative BAföG-Bericht des deutschen Gewerkschaftsbundes. Das sind so wenige Studierende, dass die geplanten Mittel gar nicht ausgegeben werden können. 

„Sich einen Kredit aufzuladen, ist eine enorme Belastung“

Woran liegt es, dass nur 13 Prozent der Studierenden BAföG beziehen?

Dafür gibt es viele Gründe. Viele Leute sind per se vom BAföG ausgeschlossen: Sie gelten als zu alt, studieren schon über die Regelstudienzeit hinaus, haben zu spät die Fachrichtung gewechselt und so weiter. Da Fördersätze im Vergleich zu den allgemeinen Lebenskosten nicht angemessen gestiegen sind, kriegen auch viele nichts, die keine reichen Eltern haben. Und Studierende, die tatsächlich aus finanziell schwachen Haushalten kommen, scheuen verständlicherweise oft die Schulden, wie wir zum Beispiel aus der Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks wissen. Denn auch die Hälfte des BAföG ist ein Darlehen. Da halten sich viele lieber mit einem Mini-Job über Wasser. Sich einen Kredit aufzuladen, ist eine enorme Belastung. Psychisch wie finanziell. Deshalb halte ich auch den KfW-Kredit für falsch.

Wie viel ist denn konkret vorhanden und wie weit kommt man damit, wenn man Hunderttausenden Studierenden in Deutschland helfen möchte?

Allein im Jahr 2019 blieben knapp 920 Millionen Euro BAföG-Mittel übrig, weil zu wenige Leute BAföG genehmigt bekommen haben. Das kann man am Haushalt des Bildungsministeriums von 2019 sehen. Ein Teil davon wurde für Tilgungen und Darlehensausfälle eingesetzt. 617 Millionen Euro sind aber Anfang des Jahres einfach ans Bundesfinanzministerium zurücküberwiesen worden. 

Das ist viel Geld. Was sollte man ihrer Meinung nach damit machen?

Man könnte das BAföG auch Menschen zugänglich machen, die gerade nichts bekommen, weil der Staat meint, dass die Eltern zu viel verdienen, die Studierenden schon  zu alt seien oder schon zu lange studiert hätten. Das Geld war schließlich von Anfang an für Studierende vorgesehen und jetzt sollen sie keinen Cent davon bekommen. Das BAföG ist eigentlich als Instrument gedacht gewesen, um Chancengleichheit in der Bildung herzustellen. Das ist es meiner Meinung nach heute aber nicht.

Warum?

Weil laut des Deutschen Studentenwerkes knapp 70 Prozent der Studierenden in Deutschland arbeiten müssen, um sich ein Studium finanzieren zu können. Wenn es aber eine Krise gibt und diese Jobs wegfallen, dann kommen wir in eine Situation, in der die Studierenden nicht abgesichert sind. Und das führt dazu, dass junge Menschen ihr Studium unterbrechen oder sogar abbrechen müssen und das kann in einem so reichen Land wie Deutschland nicht angehen.

„Studierende fallen in Deutschland durch ein Loch der sozialen Sicherungsnetze“

Der Kredit wurde recht spät von der Bundesregierung vorgestellt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ich wüsste auch gerne, warum das so lange gebraucht hat. Es war ja zu Beginn der Krise sehr schnell abzusehen, dass Hunderttausende Menschen in Deutschland ihren Job verlieren werden. Vor allem Studierende, die ja oft in Bereichen wie der Gastronomie arbeiten. Ich kann mir diese Hängepartie nur durch die Uneinigkeit der Regierungsbeteiligten und den Widerstand von Ministerin Karliczek gegen jeden anderen Lösungsvorschlag erklären.

Welche Alternativen gibt es für Studierende zum KfW-Kredit?

Wenn man kein BAföG bekommt, dann gibt es kaum eine finanzielle Hilfe für Studierende, zumindest von Seiten des Staates. Studierende fallen in Deutschland durch ein Loch der sozialen Sicherungsnetze. Deshalb haben wir ja gefordert, dass die Bedingungen für das BAföG während der Krise gelockert werden und es auf einen Vollzuschuss umgestellt wird. Damit wäre schon viel getan. Das ist aber leider bisher nicht passiert. 

Können Studierende denn kein Arbeitslosengeld beantragen?

Der Weg ins Arbeitslosengeld II ist auch weitgehend versperrt. Das können Studierende nur in ganz bestimmten Sonderfällen beantragen, zum Beispiel bei einer Unterbrechung des Studiums durch Schwangerschaft oder Krankheit. Wohngeld gibt es nur, wenn man schon genug verdient. Die Studierenden fallen gerade ins Nichts und das ist eine Unverantwortlichkeit sondergleichen.

Was können Studierende dagegen tun?

Sie sollten sich organisieren und gemeinsam laut auf diesen Missstand aufmerksam machen. Es gibt studentische Verbände und Initiativen, es gibt Petitionen und es gibt uns Gewerkschaften. Es würde sicher auch nicht schaden, wenn viele Studierende sich mal an die Abgeordneten in ihrem Wahlkreis wenden und sagen würden: „Hier läuft was falsch! Was macht ihr dagegen?“ Die müssen die Not spüren. Was jetzt auf dem Tisch liegt, kann nicht das letzte Wort sein. Manche Studierende kriegen vielleicht Hilfe von den Eltern, aber auch bei denen gibt es ja aktuell viele Engpässe. Einzelne werden vielleicht ein Urlaubssemester nehmen und dann arbeiten. Aber das ist keine Lösung für das strukturelle Problem.

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