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„Ich fühle mich sehr allein gelassen“

Wie soll es an den Unis  in der Pandemie weitergehen? Zwei Studierende erzählen, was sie sich wünschen.
Fotos: Elena Rabkina / Dom Fou / Unsplash / Collage: jetzt

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Die Unis sind zu und das studentische Leben drastisch eingeschränkt. Im Gegensatz zu den Schulen wurden die Unis auch  zwischenzeitlich nicht wieder geöffnet. Und auch in dem neuen Stufen-Plan, der das gesellschaftliche Leben Deutschlands in Zukunft festlegt, findet sich nichts darüber, wie es für die fast drei Millionen Studierenden weitergehen soll. Für die heißt es aber seit einem Jahr: vor dem Laptop hocken, finanziell abhängig sein und keine Präsenzlehre genießen. Klar gibt es auch Vorteile, vom längeren Schlafen bis zum Aufteilen der Lernzeiten. Aber viele Studierende leiden auch unter dieser Situation. Viele haben ihre Jobs verloren und werden zusätzlich mit erhöhten Semesterbeiträgen belastet. Erstsemester*innen fällt es wegen der sozialen Isolation schwer, überhaupt Freunde und Kommiliton*innen kennenzulernen.

Kann das fair sein? Können die Unis mehr tun, wo liegen Möglichkeiten?  Sind diese Nachteile einschneidend genug, um angesichts der Pandemie und den Mutationen die Vorlesungssäle aufzuschließen? Wir haben mit den zwei Studierenden Elena und Maike gesprochen, die eine ist für, die andere gegen die Online-Lehre. 

Es kommt mir so vor, als würden die Unis von der Politik komplett außer Acht gelassen werden

Maike, 20, studiert im ersten Semester Biologie und Mathematik auf Lehramt für Gymnasien und Gesamtschulen.

„Ich kenne nur die Online-Lehre. Mein gesamtes Studium spielt sich vor dem Laptop ab, das ist sehr monoton und einsam. Da verschwindet auch die Konzentration sehr schnell. Zwar spare ich Zeit, weil ich nicht zur Uni fahren muss. Die Zeitersparnis gleicht aber die fehlenden Kontakte und Erfahrung nicht aus.

Das soziale Leben ist sehr stark eingeschränkt. Ich habe keinen Vergleich, wie es normalerweise ist, ich war bisher auf keiner Party oder ähnlichem. Das brauche ich auch nicht, aber wenigstens ein Treffen, bei dem man ein paar Kommilitonen kennenlernen kann, würde mir helfen. Die sieht man nur über Zoom, wenn sie überhaupt die Kamera anhaben. Es gibt auch einige Erstis, die zum Beispiel über Online-Lerngruppen andere kennengelernt und jetzt ein paar neue Freunde gefunden haben. Aber wie gut kann man sich anfreunden, wenn man sich noch nie richtig getroffen hat?

Dadurch fällt es mir wirklich schwer, mich zu motivieren. Jeder Tag ist gleich und zuhause lernen bringt viel Ablenkungen mit sich. Eine studentische Lernatmosphäre kann ich mir nicht schaffen, hier fehlt die Umgebung der Uni. Ich fühle mich da sehr allein gelassen.

Soweit ich das beurteilen kann, geht inhaltlich in der Online-Lehre nicht viel verloren. Dafür fehlen Praxiserfahrungen enorm. Beispielsweise Arbeiten im Labor bei naturwissenschaftlichen Studiengängen. Ich wünsche mir, dass die Unis im Sommersemester zumindest teilweise öffnen und wir die Chance auf ein Hybrid-Semester bekommen, bei dem zum Beispiel Laborpraktika und Studierendentreffen unter Hygienekonzepten stattfinden können. Wir brauchen die Praxiserfahrung, den Kontakt untereinander und Abwechslung im Alltag. Wenigstens ein Ausblick auf Präsenzveranstaltungen würde helfen.

Insgesamt kommt es mir so vor, als würden die Unis von der Politik komplett außer Acht gelassen werden. Die Online-Lehre kann die Präsenz-Uni einfach nicht ersetzen. Dauerhaft kann ich mir das nicht als Lernmodell vorstellen. Online-Lehre funktioniert nur zwangsläufig, und ist nur begrenzt zukunftsträchtig. Bei mir ist es auch so, dass ich den selben Semesterbeitrag zahle wie sonst. Ich nutze die Öffis und die Bib kaum und in der Mensa war ich noch nie, weshalb sich für mich der Nutzen dieses Semesterbeitrags in Grenzen hält. Es ist unfair, dass alle diesen Beitrag zahlen müssen, obwohl man nicht davon profitiert. Gleichzeitig verstehe ich aber auch, dass zum Beispiel langfristige Verträge mit der Deutschen Bahn nicht einfach so gekündigt werden können. Einige Studierende nutzen die Öffis ja auch weiterhin regelmäßig.“ 

„Man trifft an einem normalen Vorlesungstag zwischen 500 und 800 Menschen“

Elena, 21, studiert in Köln Lehramt für Gymnasien und Gesamtschulen in den Fächern Italienisch, Geschichte und Bildungswissenschaften im dritten Semester.

„Die Online-Lehre hat meine Lernsituation deutlich verbessert. Vor Corona haben wir jeden Tag einen ganzen Packen an Lernmaterial und Hausaufgaben für das Wochenende mitbekommen, wodurch jeden Tag mehr Stress dazukam. Jetzt wird alles montags hochgeladen. Dadurch habe ich einen besseren Überblick und kann mich so viel besser strukturieren. Und die Kommunikation ist dadurch auch viel besser geworden!

Unsere Lernplattform haben wir auch schon in der Präsenzzeit genutzt, daher kenne ich mich damit aus. Durch Corona laden die Dozierenden neben Lernmaterialien auch Podcasts hoch, was ziemlich praktisch ist. Bücher werden gescannt und online gestellt. 

Von Erstsemestern hingegen höre ich oft, dass diese gar nicht ins Studium eingeführt werden und sich total verloren fühlen. Das verstehe ich. In meinem ersten Semester hat mir kein Dozent jemals etwas Organisatorisches erklärt, und online muss die Verzweiflung noch größer sein. Dafür würde ich mir ein Online-Programm wünschen, das ganz einfach erklärt: ‚Da findest du das Modulhandbuch. So erstellst du deinen Stundenplan. Das brauchst du, um deine Prüfungen zu bestehen.‘ 

Rein rational betrachtet sollten die Unis noch mindestens ein Jahr geschlossen bleiben. Man trifft so viele Menschen an einem einzigen Vorlesungstag: In den Sälen sind es insgesamt 500 bis 800 Leute. Um dort überhaupt hinzukommen, müsste ich in überfüllte Bahnen steigen. Deswegen müssen die Unis zu bleiben. Das sind viel zu viele Kontakte, besonders angesichts der Mutationen. Dass Schulen und Kitas hingegen eine viel höhere Priorität für die Politik haben, verstehe ich absolut. Ich habe selber eine elfjährige Schwester, die von morgens bis abends nur vor ihrem Tablet sitzt. Die ist total unterfordert und muss gleichzeitig alles selbst erlernen. Das ist im Studium anders. Als Studierende müssen wir selbstständig arbeiten können, was durch unsere Lernplattform sowieso super klappt. Ob die Unis dann wieder öffnen, macht nicht so viel Unterschied. Die Prioritäten liegen da schon richtig. 

Die aktuelle Schließung halte ich für sinnvoll, aber statt einer dauerhaften Online-Lehre kann ich mir einen Mix aus Präsenz- und Online-Vorlesungen eher vorstellen. Online haben wir viele Vorteile. Mein Studium besteht aus Vorlesungen und Seminaren. Die Vorlesungen sind quasi wie Frontalunterricht, wo der*die Dozent*in die gesamte Zeit alleine spricht. Dabei kann ich von zu Hause mitarbeiten, wo ich meistens sogar stoppen und zurückspulen kann. Das hilft mir enorm. Seminare können dagegen, je nach praktischem Anteil, in Präsenz stattfinden. Im Studienfach Geschichte kann man sich die Seminare nach Themen aussuchen. Hier gehen wir normalerweise etwa auch ins Archiv, was online natürlich ausfällt und nicht ersetzt werden kann. 

Nachteile haben wir allerdings finanziell definitiv. Jedes Semester wurde der Semesterbeitrag bei mir erhöht. Das war nicht viel, ist aber trotzdem eine Frechheit. Das meiste davon geht für mein Bahnticket drauf, das ich seit fast einem Jahr nicht mehr nutze. Für Literatur und die Dienste der Bibliothek kann ich die Beiträge nachvollziehen. Außerdem braucht die Uni Köln Geld. Seit 2018 muss sie mit 17 Millionen Euro weniger auskommen  wodurch beispielsweise das Institut für Osteuropäische Geschichte schließen musste und manche Studierenden ihre Studiengänge wechseln müssen. Diese Finanzierung können wir uns als Studierende aber auch nicht leisten. Ich wohne zu Hause und habe meinen Job noch, für mich persönlich ist das kein Problem. Für viele andere aber schon.“

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