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Corona-Pandemie: Studierende ziehen zurück zu ihren Eltern
Wegen der Corona-Pandemie geraten Studierende zunehmend unter Druck. Wenn der Nebenjob wegfällt und die Miete unbezahlbar wird, entsteht schnell eine finanzielle Notlage. Bis September haben rund 120 000 Studierende die staatliche Überbrückungshilfe erhalten. Wegen des Teil-Lockdowns kann die Nothilfe seit kurzem erneut beantragt werden. Zur finanziellen Not kommt bei vielen die Einsamkeit dazu. Wenn man neu in einer fremden Stadt ist und die Uni nur digital stattfindet, kann das psychisch belastend sein.
Nicht selten ist die Rückkehr ins Elternhaus derzeit der einzige Ausweg – vor der Pandemie für viele noch unvorstellbar. Drei Studentinnen haben uns erzählt, wie es für sie ist, wieder im Kinderzimmer zu wohnen.
„Manchmal fühlt man sich wie 16, wenn die Eltern jeden Schritt und jede Unternehmung hinterfragen“
Vera (23) studiert Grundschullehramt.
„Vor eineinhalb Jahren habe ich mein Studium in Frankfurt begonnen und hatte dort, bis vor kurzem, eine kleine Wohnung. Durch die Corona-Pandemie habe ich meinen Job in einer Agentur verloren und konnte mir die Wohnung nicht nicht mehr leisten. Ein WG-Zimmer habe ich auf die Schnelle nicht gefunden und so war ich gezwungen, wieder zu meinen Eltern aufs Land zu ziehen. Das Leben hier ist ein großer Kontrast zu meinem bisherigen Leben in Frankfurt. Hier wohne ich in einem 90-Einwohner-Dorf und musste wieder in mein altes Kinderzimmer ziehen. Deshalb musste ich mich von Klamotten und anderen Sachen trennen, weil mir hier der Platz dafür fehlt.
Die größte Umstellung war für mich, dank meiner Eltern auf einmal wieder feste Zeiten zu haben, zu denen man isst. Das war ich durch meinen eigenen Alltag in Frankfurt nicht mehr gewohnt. Da habe ich meinen Alltag eher an die Uni und meine Vorlesungszeiten angepasst. Zuhause zu wohnen hat natürlich einen großen Pluspunkt: Wenn man einen stressigen Uni-Tag hinter sich hat, ist der Kühlschrank in der Regel trotzdem voll, das war in meiner eigenen Wohnung nicht der Fall.
Das Studieren an sich gefällt mir zuhause sogar besser als in der Uni. Es fällt mir hier leichter, mich zu konzentrieren, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze. Im Hörsaal war ich mit den Gedanken häufig woanders. Dennoch fehlt es mir sehr, mich mit meinen Kommiliton*innen auszutauschen. Auch wenn die Situation zu Beginn sehr neu und ungewohnt war, habe ich mittlerweile eine Routine gefunden: Frühstück, Mails, Sport, Vorlesungen, Nacharbeiten, Abendessen, mit Freund*innen zoomen oder telefonieren. Diese Regelmäßigkeit hatte ich nicht, als ich alleine gewohnt habe. Außerdem hat das Landleben noch einen sehr großen Vorteil: Man ist superschnell in der Natur. Ich kann im Wald gut abschalten und den Uni-Alltag vergessen. Durch meinen vorübergehenden Umzug hat sich meine Einstellung zum Leben in der Stadt und auf dem Land verändert. Mittlerweile wäre ich mit beidem fein. Das hätte ich mir vor zwei Jahren noch nicht vorstellen können.
Meine Eltern freuen sich natürlich, dass sie mich wieder um sich haben, aber auch für sie ist es eine große Umstellung. Manchmal fühlt man sich wie 16, wenn die Eltern jeden Schritt und jede Unternehmung hinterfragen. Wenn ich zum Beispiel abends spontan zu einer Freundin gehe, fragen mich meine Eltern, wo ich war. Das fühlt sich wie ein Rückschritt an und nervt. Aber ich denke, das ist wie in einer Beziehung: Wenn sich beide Seiten anstrengen und Kompromisse eingehen, funktioniert es auch. Außerdem kann ich darüber auch mit meinen Eltern reden und ich weiß, dass sie es nicht böse meinen.“
„Immer wenn ich bei meinen Eltern bin, falle ich in die Rolle des Kindes zurück“
Annika (24) studiert im Master Molekularbiologie.
„Anfang Oktober bin ich für mein Masterstudium nach Wien gezogen. Ich dachte, dass ich zumindest ein paar Präsenzveranstaltungen haben würde. Auf der Website der Universität war das auch so angekündigt. Ein paar Tage nachdem ich umgezogen war, wurden die Veranstaltungen nach und nach auf Online-Lehre umgestellt. Am Ende hatte ich gar keine Präsenzveranstaltungen mehr. Dass sich die Situation in Wien so entwickelt hat, hat mich überrascht. Ich bin natürlich auch etwas naiv dort hingegangen, weil ich den Angaben auf der Uni-Website blind vertraut habe.
Ich habe dann Panik bekommen, dass ich überhaupt niemanden kennenlernen würde. Wien war zu dieser Zeit auch noch Risikogebiet. Dementsprechend gefangen fühlte ich mich in der Stadt. Ich kam mit der Erwartung nach Wien, trotz der Pandemie in die Uni gehen zu können und dort andere Leute kennenzulernen, die auch frisch nach Wien gezogen sind. Und ich hatte die Hoffnung, trotz aller Einschränkungen etwas vom Wiener Leben mitnehmen zu können, in Bars und ins Theater zu gehen und Kulturangebote nutzen zu können. Die ursprüngliche Motivation für den Umzug war eigentlich, dass ich mit dem Masterstudium nochmal etwas Neues kennenlernen wollte.
Nach einigen Tagen bin ich zurück zu meinen Eltern nach München gezogen. Wegen der Online-Lehre kann ich von überall aus studieren. Und dann bin ich lieber dort, wo ich schon Leute kenne und mich wohlfühle, als irgendwo alleine in einem Zimmer zu hocken, wo ich niemanden kennenlernen kann. Die größte Umstellung war es, wieder in das alte Setting des Elternhauses reinzufallen. Immer wenn ich bei meinen Eltern bin, falle ich in die Rolle des Kindes zurück und fühle mich nicht so erwachsen wie sonst, wenn ich woanders wohne. Ich bin zum Beispiel schnell genervt und werde trotzig. Das ist ein ähnliches Gefühl wie in der Pubertät. Ich bin einfach nicht so ausgeglichen wie sonst.
Meine Eltern freuen sich natürlich trotzdem, dass ich wieder da bin und wir mehr Zeit miteinander verbringen. Ich glaube aber nicht, dass diese Situation unsere Beziehung langfristig verändern wird. Es wird dabei bleiben, dass sie ständig meine Nähe wollen und ich dadurch umso mehr Abstand brauche. Das war schon immer so. Wieder im Elternhaus zu wohnen, hat natürlich auch Vorteile. Ich habe zum Beispiel mehr Platz und der Kühlschrank ist immer gefüllt. Obwohl ich den Komfort genieße und Kosten einspare, wohne ich lieber getrennt von meinen Eltern. Deshalb werde ich bald nach Mainz zurückziehen, wo ich meinen Bachelor gemacht habe.“
„Meine Familie geht davon aus, dass ich viel Zeit habe“
Sina (20) studiert Englisch und Geographie auf Lehramt.
„Vor einem Jahr bin ich für mein Studium nach Ludwigsburg gezogen. Dort habe ich in einem 12 Quadratmeter kleinen Wohnheimzimmer direkt neben der Uni gewohnt. Als die Corona-Pandemie ausgebrochen ist, war ich bei meinen Eltern und habe ein Praktikum in einer Schule in meinem Heimatort gemacht. Das musste ich aber abbrechen, als die Schulen schließen mussten. Ich habe dann erstmal beschlossen, daheim zu bleiben, weil auch meine Freund*innen nicht mehr in Ludwigsburg, sondern bei ihren Familien waren. Ein paar Mal bin ich noch hingefahren, aber das Wohnheim war wie ausgestorben, da hätte ich mich nicht mehr wohlgefühlt. Allerdings konnte ich mein Zimmer nicht so schnell kündigen und musste bis Oktober Miete bezahlen.
Meine Familie freut sich, dass ich zurück ins Kinderzimmer gezogen bin, aber wir müssen erst wieder unseren Alltag aneinander anpassen. Meine Eltern arbeiten und mein Bruder geht zur Schule. Da Semesterferien waren, hatte ich drei Monate nichts zu tun. Jetzt hat die Uni wieder begonnen, aber meine Familie geht trotzdem noch davon aus, dass ich viel Zeit habe, und möchte, dass ich mich zum Beispiel ums Essen kümmere. Aber ich kann um halb zwei kein Mittagessen auf den Tisch stellen, wenn ich kurz davor noch eine Vorlesung habe. Aber ich merke auch, dass sie das immer mehr verstehen und da auch Schritte auf mich zugehen. Es ist ja verständlich, dass das nicht von heute auf morgen geht.
Die aktuelle Situation nervt mich schon sehr, weil ein großer Teil vom Studentenleben verloren geht, das hatte ich ja erst ein Semester lang. Ein riesen Vorteil ist, dass mein Freund und ich keine Wochenendbeziehung mehr führen müssen, weil er hier in der Nähe wohnt. Schade finde ich, dass meine Freund*innen, die mit mir zur Schule gegangen sind, zum Studieren weiter weggezogen sind und ich sie nicht wie früher sehen kann.
Für mich war es eine große Umstellung, plötzlich digital und von zuhause aus zu studieren, weil das nur mit enormer Selbstorganisation funktioniert. Ich arbeite mittlerweile mit Wochenplanern und trage mir da alle meine To-Dos ein. In meinem Kinderzimmer habe ich mir meinen Home-Office-Platz eingerichtet. Sonst ist man in die Vorlesung gegangen, hat sich das angehört und ist dann heimgegangen. Jetzt habe ich meinen Arbeitsplatz die ganze Zeit vor der Nase und denke ständig, ich könnte ja noch was machen. Für mein Geographie-Studium hätten eigentlich viele Exkursionen angestanden. Die finden jetzt online statt. Letzte Woche hatten wir eine Exkursion über Google Maps, das war schräg. Wir sind durch Ludwigsburg ‚gelaufen‘ und unser Prof hat uns Sachen erzählt, die er uns sonst an den verschiedenen Standpunkten erzählt hätte.“