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Corona-Krise: Wie Studierende auf Intensivstationen helfen
Im Walkie-Talkie knackt es. „Hallo Außenbereich, bitte einen Infusionsständer und eine Portion Kartoffelsuppe!“ Lisa friemelt das Gerät aus der Vordertasche ihres dunkelgrünen Arbeitshemds, drückt auf den roten Knopf und antwortet: „Bring ich euch!“ Dann düst sie los, zuerst in die Küche, eine Kartoffelsuppe anrühren. Dann in den Vorratsraum, von da rollt sie ein Ding, das ein bisschen wie ein silberner Kleiderständer aussieht, auf den Flur.
Lisa ist 24 Jahre alt, sie studiert Medizin in München, gerade lernt sie für ihr zweites Staatsexamen. Und seit die Corona-Pandemie Deutschland im Griff hat, arbeitet sie mindestens zweimal pro Woche auch hier: Münchner Uni-Klinik Großhadern, sechster Stock, Intensivstation I3.
„Als damals die Mail vom Dekan kam, dass alle, die können, helfen sollen, war mir klar: Das mache ich“, erzählt Lisa. Das war im März 2020. Und dass sie nicht irgendwo in der Verwaltung helfen wird, sondern direkt am Patienten – das war auch gleich klar. Lisa studiert nicht nur Medizin, sie hat auch eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin. „Und ich hatte auch schon mal auf der Intensivstation hospitiert und wusste, ich kann mich da nützlich machen.“ Während die meisten sich zuhause isolierten und aus Angst vor einer Infektion nicht mal mehr ihre Freund:innen trafen, meldete sich Lisa freiwillig, um im Zentrum der Krise zu helfen.
Lisa steht jetzt auf dem Flur der Station vor einer gläsernen Schiebetür. Darauf steht in großen Buchstaben ein orangenes Schild: „INFEKTIÖS“. Daneben: „SCHLEUSE“. Denn diese Tür trennt den normalen Bereich der Intensivstation vom Covid-Bereich.
Dass eine Station in zwei Teile getrennt ist, die auch noch auf keinen Fall miteinander in Kontakt kommen dürfen – das gibt es hier auf der I3 erst seit Frühling 2020. Wegen der neuen Situation musste die Arbeit komplett neu organisiert werden. Die Lösung: Eine Schleuse, also ein Zwischenbereich, auf den beide Seiten Zugriff über jeweils eine Schiebetür haben. Hier kann man Schutzkleidung an- und ausziehen, sich desinfizieren und Material austauschen.
Lisa kennt beide Teile. Im normalen Bereich der Intensivstation tragen alle eine Maske, natürlich. Überall steht Sterilium herum, Lisa desinfiziert sich an diesem Tag alle paar Minuten gründlich Hände und Arme. Aber hier kann man die Maske auch mal kurz abnehmen, um einen Schluck zu trinken zum Beispiel.
Im Bereich, der sich hinter den zwei Schiebetüren verbirgt, geht das nicht. Denn hier liegen Menschen, die sich mit Corona infiziert haben. Wer hier reingeht, wechselt nicht nur die Maske – statt OP- oder normaler FFP2- zu einer FFP2-Maske mit extra Gummiabdichtung an der Nase. Wer hier reingeht, zieht auch eine Schutzbrille, einen Schutzkittel, zwei Paar extra dicke Handschuhe und eine OP-Haube an. Hier drin kann man weder mal eben einen Schluck trinken, noch kurz auf die Toilette gehen – denn wer wieder rausgeht, der muss sich in der Schleuse komplett aus- und dann wieder neu anziehen. Dieser Bereich und alles, was mit ihm in Berührung kommt, muss strikt vom anderen Teil der Station getrennt werden. Aber Lisa ist die Verbindung.
„Der Wagen steht in der Schleuse und wir bräuchten ein paar frische Sachen!“
Wie wichtig dieses System – und damit Lisa – ist, das bekommt man an diesem Tag ständig mit. Diese Verbindung bedeutet nämlich, dass Ärzt:innen und Pflegende, die einmal in den Isolationsbereich gegangen sind, dort bleiben können. Auch wenn dringend Medikamente oder frisches Bettzeug benötigt werden. Lisa kann alle diese Dinge in die Schleuse stellen, auch wenn es nur eine Kartoffelsuppe ist: Das hilft, die ausgebildeten Pflegenden zu entlasten. So haben sie mehr Zeit – Zeit, in der sie sich um die vielen anderen Patient:innen kümmern können. Denn Station I3 ist an diesem Dienstag Ende November voll, alle zehn Plätze sind belegt, sechs davon mit Covid-Patienten.
Das ist aber nicht alles, was Lisa dort macht. Gerade sitzt sie in einem Nebenraum am Computer. Von hier aus kann sie durch eine Scheibe den Nicht-Corona-Bereich der Station überblicken. Ständig piepst es irgendwo, manchmal tutet es auch minutenlang. Lisa checkt dann kurz den Monitor, der die Patient:innendaten anzeigt – muss sie aktiv werden, ist es etwas Dringendes? Wenn das nicht der Fall ist, arbeitet sie ruhig weiter. Eine ihrer Aufgaben hier: Sie bereitet die Blutabnahmen und Labortests für den nächsten Morgen vor. Dafür gibt sie ins System ein, welche Werte die Ärzt:innen für welche:n Patient:in erheben wollen. Dann beschriftet sie die Blutentnahmeröhrchen für einen Patienten. Da knackst es wieder im Walkie-Talkie. „Der Wagen steht in der Schleuse und wir bräuchten ein paar frische Sachen!“ Und Lisa ist schon auf dem Weg Richtung Schleuse.
Auf dem Wagen in der Schleuse stehen volle Urinbehälter, Nachtschüsseln, benutzte Schutzbrillen und eine leere Sauerstoffflasche. Bevor Lisa das alles wegräumt, zieht sie sich Schutzkleidung an – Einwegkittel, Brille, FFP2-Maske mit Gummischutz, besonders dicke Handschuhe. Sie muss sich so schützen, denn alles, was aus dem Covid-Bereich kommt, kann kontaminiert sein. Dann desinfiziert und reinigt sie alles. Alltag für Lisa.
Als Lisa im März 2020 hier angefangen hat zu arbeiten, da war aber alles noch ganz anders
Aber Lisa ist nicht nur die Verbindung zwischen Covid und Nicht-Covid auf der I3. Lisa ist auch die Lückenfüllerin, im besten Sinne. „Brauchst du was?“ ist wahrscheinlich der Satz, den sie am häufigsten sagt an diesem Tag. Und das Personal auf der Intensivstation, das braucht so viel. Wenn ein schwerer, sedierter Patient am Rücken gewaschen werden muss, eine Arbeit, die man nur zu zweit machen kann. Wenn das Stationstelefon klingelt, wenn Medikamente geordnet und aufgeräumt werden müssen, wenn Betten neu bezogen werden, ein:e Patient:in einen Pudding will oder wenn Masken und Schutzkleidung aufgefüllt werden müssen. Lisa ist da. Freundlich, konzentriert und routiniert.
Als Lisa damals, im März 2020 hier angefangen hat zu arbeiten, da war aber alles noch ganz anders. Das Virus war damals noch eine große Unbekannte. Wahrscheinlich hat sich Lisa auch deswegen angesteckt – bei einer Kollegin, die sie anlernen sollte. „Die hatte nur Kopfschmerzen. Und damals dachte man ja noch, Corona sei eine reine Lungenkrankheit“, erzählt sie. Nach ihrer ersten Schicht musste Lisa also erstmal zwei Wochen in Quarantäne. „Mir ging es gut, leichter Verlauf, ich habe nichts gespürt.“ Aber sie hat damals gemerkt, wie schnell man sich anstecken kann. Wenn sie jetzt in den Covid-Bereich geht, zum Beispiel um dabei zu helfen, eine:n Patient:in auf den Bauch zu drehen, dann checkt sie doppelt, dass ihre Schutzkleidung richtig sitzt. Trotzdem, sagt Lisa, hat sie sich auf der I3 nie unwohl gefühlt: „Ich fühle mich hier sogar sicherer als draußen. Ich weiß ja, wie gut wir alle aufpassen.“ Und natürlich ist Lisa auch geimpft und geboostert.
Für sie ist das selbstverständlich. Im Gegensatz zu den Patient:innen im Covid-Bereich der Station. „Die Rate bei uns ist aktuell fünf zu eins“, sagt Claudia Joneit, die Stationsleiterin auf der I3 und damit Lisas Chefin. Also: Von sechs Patient:innen sind fünf nicht vollständig oder gar nicht geimpft. „Die Leute, die sich nicht impfen lassen, weil sie auf ihre Freiheit pochen, die schränken unser Leben ja ein. Wegen denen müssen wir hier auf der Station das alles zum vierten Mal leisten – obwohl es ein Mittel gäbe, das zu vermeiden“, sagt sie. Auf der I3 sind sie vor allem resigniert und müde in dieser vierten Welle. Das merkt auch Lisa: „Die Stimmung wird immer angespannter.“ Zwei Kolleg:innen haben in den letzten eineinhalb Jahren gekündigt. Auch deshalb ist Lisa so wichtig. Denn alles, was Lisa macht, müssten sonst die anderen Kolleg:innen aus der Pflege übernehmen. Außer ihr arbeiten noch zwei andere Studierende hier. Und es werden noch mehr gesucht: Erst vor ein paar Wochen hat die LMU wieder eine Rundmail an alle Studierenden geschickt. Stationsleitung Claudia Joneit sagt: „Ich würde mir wünschen, dass auch über Corona hinaus etwas bleibt. Die Studierenden sind eine große Entlastung für uns.“
Lisa bleibt trotzdem, auch wenn es besser bezahlte Nebenjobs gäbe
In der ersten Coronawelle hatten sich über 160 Studierende zum Helfen in den LMU-Kliniken gemeldet, in dieser vierten Welle sind es bislang 74. Das liegt auch daran, dass zu Beginn der Pandemie fast alle Präsenzveranstaltungen abgesagt waren – und die Studierenden deshalb auch mehr Zeit hatten. Jetzt, wo viele Kurse wieder normal stattfinden, ist das für Studierende schwieriger. Auf dem Papier ist es ein normaler Werkstudi-Job, den Lisa hier macht, meistens arbeitet sie zweimal pro Woche, immer in verschiedenen Schichten, manchmal auch nachts. Etwas weniger als zwölf Euro bekommt sie pro Stunde. Sie bleibt trotzdem, auch wenn es besser bezahlte Nebenjobs gäbe. Einerseits, weil sie weiß, wie wichtig sie für die Station ist. Und wie belastet die Pflegenden und Ärzt:innen sowieso schon sind. Die Kolleg:innen auf der I3, die sind Lisa mittlerweile ans Herz gewachsen. Und sie ihnen erst Recht: „Wir können uns auf Lisa verlassen. Sie weiß was zu tun ist und arbeitet selbstständig. Das ist eine wahnsinnige Erleichterung“, sagt Claudia Joneit.
Lisa bleibt aber auch, weil sie auch selbst von diesem Job profitiert. „Ich lerne hier Dinge, die die meisten meiner Kommilitonen noch nie gesehen haben. Ich darf zuschauen und kann mithelfen“, sagt Lisa. Zum Beispiel Medikamente aufziehen oder eine BGA, eine Blutgasanalyse, abnehmen. Das hat sie hier gelernt. Sie hat auch schon dabei zugeschaut, wie ein:e Patient:in an die ECMO, eine Art künstliche Lunge, genommen wird. In den eineinhalb Jahren auf der Intensivstation war Lisa auch bei einer Geburt unter Coronabedingungen dabei, weil die werdende Mutter mit Covid-19 auf der Intensivstation behandelt werden musste. Als ihr Zustand und der des Babys kritisch wurde, entschlossen sich die Ärzt:innen, das Baby mit Kaiserschnitt zu holen. Für Lisa hieß das: Gynäkolog:innen und Kinderärzt:innen für die Covid-Station vorbereiten, durch die Schleuse bringen und natürlich: ganz viel lernen. „Das war wahrscheinlich das krasseste Erlebnis in der ganzen Zeit“, sagt Lisa heute. Aber, das ist ihr wichtig: Alles, was direkt mit Patient:innen zu tun hat, macht sie nur, wenn ihre Kolleg:innen konkrete Anweisungen und Anleitung geben. Schließlich ist sie weder Ärztin noch Pflegerin. Trotzdem, am Ende ist Lisas Job eine Bereicherung für die Station und auch für sie selbst. „Eine Win-Win-Situation in einer blöden Lage“, so nennt sie es.
Und vielleicht hat sie auch deswegen noch nicht die Hoffnung verloren. „Ich glaube wir wurschteln uns da schon durch – auch wenn ich natürlich die Probleme im System sehe“, sagt Lisa. Aber manchmal gibt es Fälle, die auch die sonst so pragmatische Lisa besonders berühren. „Besonders jüngere Patienten gehen mir nah“, erzählt sie. Einmal hat sie einer jungen Patientin geholfen, per Whatsapp mit ihrem Partner im Kontakt zu bleiben – für sie Nachrichten eingetippt und aufgesprochen. Wegen Covid waren und sind ja immer noch kaum Besuche möglich, auch im normalen Bereich der Station. Und Lisa sagt auch, besonders der Umgang mit Angehörigen mache sie traurig. „Bei den Patient:innen weiß ich, dass sie hier die beste Versorgung bekommen. Und wenn sie dann trotzdem sterben, dann ist es oft eher eine Erleichterung für die Patient:innen selbst. Aber die Angehörigen bleiben ja zurück. Und das berührt mich schon sehr.“ Wie geht sie mit diesen Erfahrungen um? „Drüber reden hilft immer“, sagt Lisa. Mit ihrer Mitbewohnerin, die auch Medizin studiert zum Beispiel, oder auch mit den Kolleg:innen auf der Station.
Aber auch Lisa merkt man die Müdigkeit an, nach eineinhalb Jahren Pandemie. Nächsten Frühling schreibt sie ihr zweites Staatsexamen. Dafür lernt sie gerade. „Und wenn es dann draußen wieder so trist ist und vieles zugemacht wird, dann fehlt mir ein bisschen der Ausgleich.“ Lisa geht zum Beispiel gerne in die Berge – oder zumindest zum Bouldern in die Halle. Das geht aktuell noch, zumindest mit 2G+. Wenn sie fertig studiert hat, will sie ihre Facharztausbildung anfangen. Lisa sagt: „Ich kann mir auf jeden Fall vorstellen, später mal auf einer Intensivstation zu arbeiten!“ Sie weiß jetzt auf jeden Fall, dass sie dort gebraucht wird.