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Der Kacheltisch
Ein Großteil des aktuell dargebotenen Fernsehprogramms zieht seinen Reiz aus dem Eindringen einer Kamera in nicht aufgeräumte Privathaushalte. Ob Frauentausch, Heimwerker, Supernanny – die eigentliche Handlung ist der voyeuristische Schwenk über Kühlschränke und Sofagarnituren und die resultierende Erkenntnis daraus ist nicht: „Was die für einen schlimmen Bengel haben!“, sondern: „Was die für ein schlimmes Kakteenfensterbrett haben!“ So verschieden die gefilmten Bewohner und unterschiedlich ihre Anliegen, so konstant ist dabei ein Einrichtungsgegenstand: Der Kacheltisch.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
In seiner weitaus häufigsten Verbreitung ist der deutsche Kacheltisch kniehoch, hat eine Auflage aus dezent bräunlich (Farbton: „Autobahntoilette“) gefärbten Kacheln, und sieht sich eingefasst von einem achteckigen massivem Rahmen aus Eiche. Je fragwürdiger die Haushaltsverhältnisse, desto wahrscheinlicher ist mindestens ein solches Exemplar. Wenn das Fernsehen da ist, werden Mahnungen oder Kataloge mit vietnamesischen Frauen auf dem Kacheltisch ausgebreitet, sonst besteht der Standardbelag aus einer sorgfältig aufgeschlagenen Fernsehzeitung (die vor dem zu Bett gehen schon auf den nächsten Tag umgeblättert wird!), einer Fernbedienung und einem geflochtenen Zieruntersetzer, der versucht, der sterilen Wucht des Tisches etwas häusliche Wärme abzuringen. Seiner Hässlichkeit muss man sich von mehreren Seiten nähern, zunächst von der offensichtlichen: Schwerfällig verleimtes Holz, belegt mit einem kalten Werkstoff, getragen von einer unüberschaubaren Streben/Sockel-Konstruktion und das in einer Höhe, in der ein Tisch nur gewinnen könnte, wenn er elegant und leichtfüßig ist. Nichts gegen einen massiven Esstisch, der mit seiner Form für Behaglichkeit und Sicherheit steht. Ein gefliester Rammbock in Dackelhöhe steht für nichts anders, als für blaue Flecken an ungewaschenen Beinen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Zur Funktion: Das Geräusch, das der Boden eines Trinkglases macht, wenn man es auf eine der Tischkacheln absetzt, entbehrt schon jeglichen Produktwohlklangs. Regelrecht quälend müssen aber die Töne sein, die Tellerböden von Steingutgeschirr oder der leicht abgestoßene Boden einer Bierflasche darauf kratzen. Für die Kacheln als Unterlage führt der Erfinder vermutlich den Nutzwert einer wischbaren Oberfläche an, das sei ihm erlaubt. Allerdings uns auch die Frage, warum die Innenausstatter dann noch davor zurückschrecken, gleich die ganze Sozialwohnung zu kacheln, inklusive Fernbedienung mit Miniaturkacheln und gekacheltem Sofa? Und ob nicht jenseits der OP-erbrobten Fliesen auch andere wischbare Materialien denkbar wären? Überhaupt besteht Unklarheit über die Funktion eines Couchtisches - die bereits erwähnte Ablage für Fernsehzubehör und Getränke rechtfertigt noch kein eigenes Möbel, schon gar nicht eines mit einem halben Zentner Lebendgewicht. Wer einen Couchtisch zum Esstisch macht, freut sich beim unweigerlich erfolgenden Verkleckern zwar vielleicht über die pflegefreundlichen Fliesen, verweist aber gleichzeitig jeden humanistischen Ansatz aus seinem Leben. Denn der beginnt mit dem Wertschätzen der Nahrungsaufnahme.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Angesichts der einwandfreien Scheußlichkeit wirft die Beliebtheit der Kacheltische Fragen auf. Weder günstig noch handlich, erscheint das Möbel dem Käufer doch bis heute als kaufenswert oder zumindest, wie die relativ geringe Anzahl der feilgebotenen Kacheltische bei ebay belegt, als behaltenswert. Warum? Vereint der Tisch mit Zuverlässigkeit (28kg Eiche!), Sauberkeit (Kacheln!) und schlechtem Geschmack (Formgebung!) alle drei deutschen Kardinalstugenden in sich? Steht er als Fels in der Breitkordcouch-Brandung gleichsam für das Letzte, was im turbulenten Weltenlauf noch Bestand hat? Ist er durch seine Platzierung eine Kachel gewordene Barriere zwischen Fernseher und Fernsehzuschauer und mit seinem unverwüstlichen Belag auf ewig gegen den Verfall gepanzert? Soziologen, bitte übernehmen! Absolut perfekt verschleiert der Kacheltisch auch seine zeitliche Herkunft und macht sich damit auch ideologisch nahezu unantastbar. Könnte man ihn einwandfrei als Erbe einer vergangenen Epoche klassifizieren und damit breitenwirksam der Lächerlichkeit preisgeben, wie das mit Schulterpolstern und Lavalampen geschehen ist? Nein - der Kacheltisch in hier abgebildeter Form ist als Nachkriegswerk genauso denkbar, wie als Möbelhaus-Erfindung der Neunziger Jahre, er ist frei von zeitlichem Makel und nicht zuletzt dadurch eine uneinnehmbare Festung in der deutschen Wohnzimmerkultur.