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Apple und das Hosentaschen-Video
Der iPod Nano, den Steve Jobs gestern bei seiner Wiederauferstehung präsentierte, ist eigentlich keine typische Apple-Nachricht. Design- und Pionierpotenzial der neuen Funktionen ist gering: Radio kann das Gerät jetzt und vor allem Video. Dass ein Produkt - Stift, Telefon oder Kaffeetasse - Video kann, lässt aber den durchschnittlichen Saturn-Einkäufer heute kalt wie kalte Suppe. Das ahnte Jobs offenbar und sagte deswegen auch gleich, warum der iPod Nano jetzt trotzdem noch mit Linse und größerem Display bestückt wurde. Der Grund heißt Flip. Eine Flip ist ein Produkt, mit dem die Industrie in Gestalt der Firma Pure Digital Inc. vor drei Jahren den Anforderungen der YouTube-Welt entgegen kam. Eine Videokamera, groß wie eine Zigarettenschachtel mit einem Schwanz, der ein USB Stecker ist. Einzige Aufgabe einer Flip ist das Aufnehmen von wackligen Filmchen und deren baldiges Hineinspeichern ins Web – dafür ist eine eigene Software dabei. Das Gerät ist simpel, die Auflösung entspricht grundausgestattet einer etwas besseren VHS-Video-Qualität, der Flash-Speicher reicht für eine knappe Stunde Film. Es kostet in der einfachsten Version um die hundert Euro, knallige Farbvarianten inbegriffen. Soweit nichts Besonderes - wenn dieses Film-Spielzeug nicht in USA über zwei Millionen mal verkauft worden wäre und das obwohl der Markt für digitale Videokameras als gesättigt eingeschätzt wurde.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ein Überraschungserfolg, der zunächst dazu führte, dass sich der Cisco-Konzern die kleine Flip-Firma unter den Nagel riss und auch die Konkurrenz fleißig Low-Fi-Filmkameras auf den Markt bracht. Kodak hat eine Zi6, Sony eine „Webbie“ und jetzt eben auch Apple seinen aufgebohrten Nano. Weder Flip noch Webbie waren bisher auf dem deutschen Markt zu haben, was sich in den nächsten Wochen ändern soll. Sony benennt übrigens für die hiesige Markteinführung den Webbie in „Fun-Camera“ um, denn der Deutsche möchte schon gleich wissen, was er da kaufen soll. Es steht jedenfalls, rechtzeitig vor Weihnachten, eine Invasion von Wackelkameras an und damit weitere Wartezeiten bei fototauglichen Events wie Klassenausflügen und Hochzeiten. Wo heute schon zehn Menschen auf die Fotodisplays schielen, werden in einem halben Jahr noch mal zehn hypnotisch ihre Videokamera schwenken. Steht zu hoffen, dass es bald kleine Filmlinsen gibt, die man sich um den Kopf binden oder gleich implantieren lassen kann. Dann sendet einfach jeder live und auf Schritt und Tritt seine alltägliche Aussicht ins Web und das Kameragefummel hört wieder auf. Das wäre dann auch wenigstens wieder so eine typische Apple-Nachricht.