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„Gegen Schwule verlieren, das geht für viele gar nicht“

„Wir schimpfen nicht. Nicht gegen den Schiedsrichter, nicht gegen die Gegner, nicht gegen Mitspieler. So schaffen wir es vielleicht, dass die Aggressionen gar nicht erst aufkommen.“
Foto: Raphael Weiss; Bearbeitung: jetzt

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Es ist ein Sonntag im Oktober. C-Klasse München. Unterste Spielklasse Deutschlands. Der „SK Srbija III“ ist zu Gast bei „Team München“. Von außen wirkt das Fußballspiel ruhig, zumindest soweit man das über ein C-Klasse-Spiel sagen kann. Versteckte Unsportlichkeiten sind in diesen Ligen ein ähnlich fester Bestandteil wie das Bier nach dem Abpfiff. Doch auf dem Platz erleben die Spieler von „Team München“ etwas anderes. „Das kriegt man draußen gar nicht mit. Aber wenn man mir sagt, beschwer dich nicht, ihr mögt es ja, wenn man von hinten reingeht, dann ist das eben eine ganz klare Beleidigung aufgrund unserer Sexualität“, sagt Christoph, 31, Spieler und Vorstandsmitglied bei „Team München“. Solche Sprüche ignoriere er inzwischen einfach. „Man muss immer abwägen, wann es sich lohnt zu kämpfen und wann man die Dinge besser einfach aushält.“

Eigentlich ist „Team München“ ein C-Klasse-Verein wie jeder andere. Mehr und weniger talentierte Männer treffen sich zweimal pro Woche, um miteinander zu trainieren. Jeden Sonntag treten sie gegen andere Teams an, zum Punktspiel. „Wir haben primär das gleiche Ziel wie jede andere Mannschaft auch: Gewinnen“, sagt Marco, Spieler und Vorstandsvorsitzender von „Team München“. „Aber wir haben natürlich einen speziellen Auftrag, weil fast alle Spieler bei uns homosexuell sind.“ „Team München“ ist die einzige schwule Fußballmannschaft in Deutschland, die am offiziellen Ligabetrieb teilnimmt. Seit 20 Jahren. „Anfangs waren die Beleidigungen und Aggressionen uns gegenüber noch heftiger. Wenn man mit den Leuten von früher spricht, dann hört man Geschichten von gebrochenen Nasenbeinen und richtig heftigen Angriffen“, sagt Christoph.

„Das erste Training waren anderthalb Stunden pures Glück“

Christoph ist vor vier Jahren zu „Team München“ gewechselt, obwohl er damals im 80 Kilometer entfernten Augsburg lebte. „Ich habe in meiner Heimatstadt lange Fußball gespielt, bin mit den Jungs dort aufgewachsen und als ich mich geoutet habe, war das gar kein Problem. Als ich dann umgezogen bin, war es echt schwer, wieder mit dem Fußballspielen anzufangen“, erzählt Christoph. Als offen schwuler Mann in eine neue Mannschaft zu kommen, sei fast unmöglich. Da es in Augsburg weder eine große Schwulenszene gab, noch eine schwule Fußballmannschaft, tippte er bei Google die Worte „München“, „schwul“ und „Fußball“ ein und fand seine künftige Mannschaft. „Das erste Training waren anderthalb Stunden pures Glück. Ich habe die zwei Wochen danach nur gestrahlt, weil ich mich so gefreut habe, endlich wieder Fußball zu spielen.“ Drei Jahre lang pendelte Christoph von Augsburg nach München. Dreimal pro Woche, 160 Kilometer hin und zurück, nur um den Sport zu spielen, den er liebt. Seit einem Jahr lebt er in München. Die Mannschaft, so sagt er, sei einer der Hauptgründe für seinen Umzug gewesen.

Fußball ist noch immer ein Refugium für viele Dinge, die in unserer Gesellschaft falsch laufen. Machogehabe in Umkleidekabinen, geifernder Sexismus, wenn eine Frau ein Fußballspiel kommentiert, Rassismus und Homophobie in Fanblöcken und auf den Spielfeldern. Wie stigmatisiert Homosexualität im Fußball noch immer ist, zeigt auch die Tatsache, dass es nur zwei aktive Profifußballer gibt, die offen schwul sind. Weltweit. Collin Martins spielt in der amerikanischen Major League Soccer (MLS), Andy Brennan in der australischen zweiten Liga. Der 26-Jährige hat im Mai 2019 seine Homosexualität in einem Instagram-Post öffentlich gemacht. „Es war für mich ein sehr langer Prozess. Ich musste erst selbst erkennen, dass ich schwul war und mich dann damit wohlfühlen“, sagt er am Telefon und berichtet, dass gerade im Jugendbereich homophobe Sprüche und Witze nichts Ungewöhnliches seien.

„Für junge, schwule Menschen ist es wichtig, dass es Sportler gibt, zu denen sie aufschauen können“

„Es war schwierig, in so einer Umgebung aufzuwachsen und gleichzeitig diese verwirrenden Gefühle und Gedanken zu haben. Ich wollte ihnen nicht nachgeben, weil ich dachte, es würde niemals akzeptiert werden. Und ich wollte unbedingt Profifußballer werden“, erzählt Andy Brennan. Vor seinem Instagram-Post habe er sich auch darüber Gedanken gemacht, dass dieser Schritt seine Karriere beenden könnte. „Ich habe dieses Risiko in Kauf genommen. Es war mir wichtiger, das Leben, das ich leben wollte, zu führen und glücklich zu sein.“ Den Schritt an die Öffentlichkeit bereue er kein bisschen. „Es braucht einfach Vorbilder im Sport. Für junge, schwule Menschen ist es wichtig, dass es Sportler gibt, zu denen sie aufschauen können.“

Das Spiel auf dem Platz im Süden Münchens fängt verspätet an. Der Schiedsrichter hat seine Uhr in der Kabine vergessen. Trotzdem stehen nur 20 Männer auf dem Platz, denn „SK Srbija III“ hat nicht genügend Spieler zusammen bekommen. Alltag in der untersten Spielklasse. Als das Spiel schon angepfiffen ist, kommen nach und nach die Fans der Mannschaft an. Männer zwischen Mitte zwanzig und Ende siebzig umarmen sich, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, fragen nach dem aktuellen Spielstand. Es wirkt wie ein Familientreffen. Während „Team München“ früh in Führung geht, Angriff um Angriff startet, wird auf den Zuschauerbänken über den letzten Kneipenabend, das bevorstehende Benefizturnier und Homophobie in den Weltreligionen diskutiert. Es steht 2:0. Zur Halbzeit kommen doch noch drei weitere Spieler von „SK Srbija III“. Die Mannschaften spielen nun elf gegen elf, trotzdem fällt das 3:0. Alles sieht nach einem sicheren Sieg aus, doch nach einer Stunde trifft Srbija gleich zweimal kurz hintereinander und das Spiel wird hässlich. Harte Fouls, Schubsereien, Unsportlichkeiten auf beiden Seiten.

„Wir warten lieber noch ein bisschen mit dem Duschen“

Marco, 36, ist der einzige Heterosexuelle in der Mannschaft und gemeinsam mit Christoph im Vorstand. Er ist durch einen schwulen Freund zu der Mannschaft gekommen. „Mein Kumpel hat mich einmal zum Training mitgenommen und ich fand es total geil. Die Atmosphäre ist einfach lustig und immer locker.“ Die Mannschaft war auf seiner Hochzeit eingeladen und ist bei jeder seiner Geburtstagsfeiern dabei. Doch aus seinem engeren Freundeskreis kommen immer wieder verwirrte Nachfragen. „Ich höre häufiger: ‚Gehst du auch mit denen duschen?‘ Ich sage dann immer: Ja, ich geh mit denen duschen und es ist auch nie etwas vorgefallen“, sagt Marco und spricht dabei, als würde er versuchen, einem kleinen Kind etwas zu erklären.

Dass diese Frage keine Ausnahme ist, zeigt sich nach dem Spiel, als die Gastmannschaft auffällig lange vor den Umkleidekabinen herumsteht. „Wir warten lieber noch ein bisschen mit dem Duschen“, sagt ein Spieler. Ein anderer sagt: „Na los, ein paar von uns sind schon drinnen, denen müssen wir beistehen.“ Die Spieler von „Team München“ sind solche Berührungsängste gewohnt. Als Christoph davon erfährt, schüttelt er trotzdem genervt den Kopf. „Wir teilen uns ja mit denen nicht mal die Dusche“, sagt er und Marco zuckt mit den Schultern: „Mir ist so etwas lieber, als wenn die Gegner uns auf dem Platz als dumme Schwuchteln bezeichnen“, sagt er und fügt an: „Es ist absolut in Ordnung, wenn jemand Vorurteile hat. Das wird es immer geben. Wir arbeiten seit vielen Jahren daran, dass diese Vorurteile weniger werden.“

„Am schlimmsten ist es, wenn wir gewinnen“

Für den nächsten Spieltag steht für das „Team München“ eine Partie gegen „Internationale Taufkirchen“ an. Ein Beispiel dafür, dass solche Vorurteile auch drastischere Konsequenzen haben können. „Als wir das letzte Mal gegen die gespielt haben, war es heftig. Da mussten wir danach zum Sportsgerichtshof. Nicht nur wir wurden attackiert, sondern selbst der Schiedsrichter-Beobachter, der extra für das Spiel hergekommen war“, sagt Marco. Als Konsequenz wurden beide Mannschaften fortan in unterschiedliche Ligen gesteckt. In dieser Saison spielen sie zum ersten Mal wieder gegeneinander. Das Spiel gilt beim Bayerischen Fußballverband als Risikospiel und steht unter besonderer Beobachtung. Marco ist eine gewisse Anspannung anzumerken, als er über die Vorbereitungen zum Spiel spricht: „Es gab eine klare Absprache innerhalb der Mannschaft. Wir bleiben ruhig, wir lassen uns auf die Provokationen nicht ein. Wir schimpfen nicht. Nicht gegen den Schiedsrichter, nicht gegen die Gegner, nicht gegen Mitspieler. So schaffen wir es vielleicht, dass die Aggressionen gar nicht erst aufkommen.“

So angespannte Begegnungen wie diese seien mittlerweile die Ausnahme. Doch trotzdem gebe es in vielen Spielen kritische Situationen, sagt Christoph: „Die schreien jetzt nicht mehr Schwuchtel und hacken dich um. Es ist unterschwelliger. Am schlimmsten ist es, wenn wir gewinnen. Gegen Schwule verlieren, das geht für viele gar nicht.“ Marco, der seit 2008 in der Mannschaft spielt, sagt, dass eine positive Veränderung im Umgang mit ihnen zu spüren sei. Auch die Anfragen für Freundschaftsspiele häuften sich. „Aber solange sich im Profifußball nichts ändert, solange es undenkbar ist, dass zum Beispiel Manuel Neuer und Jerome Boateng heiraten, solange müssen wir eben in die Bresche springen“, sagt Marco. Doch bis das geschieht, dürfte noch viel Zeit vergehen. Bis dahin werden Menschen wie Christoph und Marco weiterkämpfen, weiterspielen und Partie für Partie den Sport ein klein wenig zum Besseren verändern.

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