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Die Solidarität gibt Hoffnung, kann aber zur Falle werden

Ein Porträt, das zu Ehren des Fußballers Marcus Rashford in dessen Heimatstadt Withington an einer Hauswand prangt, wurde nach dem EM-Finale verunstaltet. Inzwischen ist das Gemälde restauriert, Anwohner*innen haben unterstützende Botschaften angebracht.
Foto: Peter Powell / REUTERS

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Es war leider eine absehbare Abfolge von Ereignissen: EM-Finale, England gegen Italien, Elfmeterschießen. Vor 60 000 Zuschauer*innen im Londoner Wembley-Stadion vergeben die Schwarzen Engländer Marcus Rashford und Jadon Sancho ihre Versuche. Und als der 19-jährige Bukayo Saka zum entscheidenden Elfer antritt, ahnen viele Schwarze Menschen Böses. Bitte, bitte, triff, denke auch ich in diesem Moment. Saka verschießt. England verliert. Der Shitstorm beginnt.

Das N-Wort trendete auf Twitter, zusammen mit dem Hashtag #SayYesToRacism. Affen-Emojis, Mittelfinger, Kommentare wie „Geh zurück nach Afrika!“ und noch wesentlich schlimmere Beleidigungen überrollten die Instagram-Kanäle der Spieler. Dieses hässliche Bild des Fußballs bestimmte die ersten Stunden nach dem Endspiel, doch mittlerweile dominiert die Solidarität. Das wiederum ist ein starkes Zeichen, wobei „gut gemeint“ nicht immer „gut gemacht“ bedeutet.

Die Welle der Unterstützung mag selbstverständlich erscheinen, aber das ist sie nicht

Support-Botschaften kamen und kommen aus allen Ecken, viele aufrichtige, aber eben auch viele obligatorische PR-Statements. Etwa von Premierminister Boris Johnson, der den englischen Spielern im Juni noch die Unterstützung dafür versagt hatte, dass sie vor jedem Spiel auf die Knie gehen – als Zeichen gegen Rassismus. „Dieses England-Team hat es verdient, als Helden gefeiert zu werden und nicht rassistisch beschimpft zu werden“, ließ Johnson verlautbaren und machte Rassismus damit zu etwas Verhandelbarem, das sich Menschen entweder verdient oder nicht verdient haben.

Viele bedienten (in bestem Glauben) dasselbe Muster. Schrieben einerseits, wie falsch es sei, wenn die Anerkennung von migrantischen Menschen an ihre Leistung geknüpft werde – und heroisierten die englischen Nationalspieler gleichzeitig wegen ihrer sportlichen und sozialen Leistungen. Vor allem das Engagement Rashfords wurde zahlreich erwähnt. Viel zu selten folgte der Hinweis, dass das in diesem Kontext komplett irrelevant ist. Selbst wenn Rashford, Sancho und Saka die unsympathischsten Fußballer in der Geschichte des Sports wären, wären ihre Rassismuserfahrungen keinen Deut weniger schlimm. Schließlich verdienen sie Solidarität nicht, weil sie toll sind. Sie verdienen Solidarität, weil sie Menschen sind. 

Die aktuelle Welle der Unterstützung mag selbstverständlich erscheinen. Aber das ist sie leider nicht. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Lange Tradition hat diese Unterstützung nicht. Im Gegenteil. 

Boateng musste sich 2013 noch anhören, er habe überreagiert

1990 wandten sich die Schwarzen Bundesliga-Profis Tony Yeboah, Anthony Baffoe und Souleymane Sané in der Bild-Zeitung erfolglos an die Öffentlichkeit, weil sie Woche für Woche von kompletten Fankurven rassistisch beleidigt wurden. Fast zeitgleich outete sich der Schwarze englische Fußballprofi Justin Fashanu als homosexuell, was seine Erfahrungen mit rassistischer und homofeindlicher Diskriminierung nur noch verstärkte.

Drei Jahrzehnte später buhte in Münster ein ganzes Stadion einen einzelnen rassistischen Fan aus der Arena. Und das Magazin 11 Freunde sammelte erst in diesem Jahr Unterschriften von 800 Profispieler*innen in Deutschland, die homosexuelle Fußballer*innen beim Coming-Out unterstützen wollen.

2013 verließ Prince Boateng als erster Fußballer wegen rassistischer Beleidigungen während eines Freundschaftsspiels den Rasen. Anschließend musste er sich teilweise anhören, er habe überreagiert und falsch gehandelt. 2020 verließen dann zwei ganze Teams in der Champions League (!) den Platz – und weigerten sich selbst unter Druck der UEFA, weiterzuspielen. 

Eine verkürzte Darstellung, doch es gibt etliche solche Beispiele, die ich als Zeichen eines viel zu langsamen, aber dennoch vorhandenen Wandels sehe. Zwar ist es traurig, breite Solidarität und das schlichte Anerkennen von Menschlichkeit als Fortschritt zu bezeichnen, aber trotzdem: Der Weg führt (von einem sehr niedrigen Ausgangspunkt) nach oben. Deshalb habe ich wenig Verständnis für die Pauschalkritik, die ich nach jeder Empörungswelle im Sport aus Interviewfragen an mich heraushöre. Aktuell zum Beispiel: „Kommen Bewegungen wie Black Lives Matter überhaupt wirklich im Sport an?“ Oder noch knackiger: „Fühlt man sich da nicht komplett verarscht?“

Den vernichtenden Urteilen über „den Fußball“ kann ich mich trotz allem nicht anschließen

Ich kann die Gefühle hinter diesen Fragen nachvollziehen, vor allem bei Schwarzen Menschen. Ich teile ihren Frust. Den vielen vernichtenden Urteilen über „den Fußball“, „die Fans“ und „das Rassismus-Problem“ kann ich mich allerdings nicht anschließen. 

Denn ich fühle mich nicht verarscht. 

Ich fühle mich nicht verarscht von einer englischen Mannschaft, die gegen den Widerstand der eigenen Fans seit einem Jahr vor jedem Spiel auf ein Knie geht. Ich fühle mich nicht verarscht von einem Leon Goretzka, der nach einem seiner wichtigsten Tore überhaupt ein spontanes Herz der Nächstenliebe formt. Ich fühle mich nicht verarscht von etlichen Fanszenen, die ernsthaften, konkreten Anti-Rassismus betreiben. Ich fühle mich auch nicht verarscht von Sportmedien, die dem Thema mehr Raum geben denn je – wenn auch längst nicht immer sensibel und reflektiert genug. 

Eines der stärksten Bilder, die der politische Fußball produziert hat

Natürlich gibt es daneben Verbände wie die UEFA, die abseits von opportunen No-To-Racism-Plakaten bislang kaum Sensibilität für Rassismus bewiesen hat und Regenbogenfarben für einen politischen Affront hält. Oder den DFB, der Regenbogenbinden ganz cool findet, aber gleichzeitig mit Qatar Airways über Sponsoring-Verträge verhandelt. Und der trotz eines Präsidiums, das fast ausschließlich aus weißen Männern besteht, felsenfest überzeugt ist, kein Rassismus- oder Sexismus-Problem zu haben. Das ist schwer zu ertragen, und doch sollte es unser Bild und Urteil nicht komplett dominieren – auch nicht nach dem EM-Finale. 

Passenderweise kommen all diese Eindrücke, dieses Nebeneinander von Fortschritt und Rückschritt, in Withington, dem Heimatort von Marcus Rashford, zusammen. Dort befindet sich eine XXL-Zeichnung von ihm an der Rückwand eines Hauses. Zunächst wurde es von Rassisten beschmiert und verschandelt. Dann avancierte es zur Pilgerstätte des Supports: Die rassistischen Schmierereien wurden überzeichnet. Fotos zeigen das Kunstwerk, beklebt mit dutzenden Solidaritätsbotschaften, hinter einer großen demonstrierenden Menschenmenge. Für mich ist es eines der stärksten Bilder, die der politische Fußball produziert hat. Und eines der schmerzhaftesten.

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