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Ein Selbstversuch beim Poledance
„Määädels, macht die Umkleide zu! Hier ist ein Mann!“ Der Mann bin ich, die Warnung kommt von Carol. Sie will mir heute in ihrem Studio beweisen, dass Poledance nicht gleich Tabledance ist – sondern es sich dabei vor allem um einen extrem schweißtreibenden Muskelkater-Sport handelt.
Es ist mein Debüt an der Stange. Klar, das wird bestimmt ein bisschen anstrengend. Aber eigentlich ist es doch auch nur aufreizendes Turnen, oder? Und vielleicht noch so ein „typisches Frauending“: endlich mal sexy bewegen, ohne gleich dumme Sprüche hören zu müssen. Ein bisschen Tanzen bekomme ich auch irgendwie hin, schließlich war ich vor über 15 Jahren ein paar Mal beim Ballett. Die aufreizenden Drehungen mache ich dann einfach ironisch nach. Wird schon nicht so schwer sein. Mit diesen Gedanken starte ich in die Trainingsstunde. Und werde sehr bald schmerzhaft lernen müssen, dass ich falsch lag.
Meine Puddingarme könnten zum Problem werden
Carol, eine athletische 30-Jährige, hat ihr Poledance-Studio erst im Februar eröffnet und dafür ihren Job als Ingenieurin gekündigt. Jetzt gibt sie bis zu 20 Stunden in der Woche Unterricht an der Stange. Dazu kommt viel Papierkram – das Studio ist ihr neuer Vollzeitjob. Dabei hat Carol selbst erst vor vier Jahren mit Poledance angefangen. „Ich habe vorher nie Sport gemacht“, sagt sie. Ich schöpfe ein wenig Hoffnung.
Gleich fängt „Power-Pole“ an, mein Schnupperkurs. Die „Määädels“ vom „Tricks & Technique“-Kurs davor verschwinden eine nach der anderen. „Es ist so heiß heute, da rutschst du an der Stange schnell nach unten“, erklärt Carol. „Darum machen die Mädels momentan lieber alles, wo sie nicht so viel Kraft brauchen.“ Power-Pole ist die anstrengendste Art von Poledance, verrät Carol. „Das ist nur für den starken Mann oder das starke Mädel geeignet.“ Ich betrachte meine Puddingarme. Das erste Mal an diesem Tag steigt ein wenig Zweifel in mir auf, ob das Ganze hier wirklich nur „aufreizendes Turnen“ ist.
Das Studio ist ein großer weißer Raum mit Parkettboden, an den Fenstern klebt Milchglasfolie. An der einen Wand ist ein riesiger Spiegel befestigt, auf der anderen Seite stehen Regale, vollgestopft mit Yoga-Matten und glitzernden High Heels. Dazwischen sind zwölf Feuerwehrstangen in Decke und Boden gedübelt. Zum Power-Pole sind wir nur noch zu dritt: Lehrerin Carol und zwei Männer, nämlich Shuai und ich. Shuai ist 27 und mein fleischgewordenes Bodyshaming: geschätzte null Prozent Körperfett, dafür fette Muskelpakete überall. Ich habe immerhin einen Vorteil, denke ich. Wo keine Muskeln sind, gibt's später keinen Muskelkater.
Ich sehe mich im Spiegel mit tomatigem Gesicht und fuchtelnden Beinen
Zum Aufwärmen holt sich jeder von uns eine Yoga-Matte. Carol legt Ed Sheeran auf. Es ist das letzte Mal, dass ich was von der Musik mitbekomme. Was Carol „Aufwärmen“ nennt, bringt mich schon an meine Grenzen. Es geht harmlos los, Schultern lockern, Handgelenke lösen. Mein Nacken knackt, als ich ihn kreisen lasse. Ich soll die Pole im Stehen zwischen meine Arschbacken klemmen und ein Hohlkreuz machen. Schaffe ich – einer meiner wenigen Erfolgsmomente an diesem Abend.
Ich glaube, jeder hat mindestens ein Trauma aus dem Schulsport. Meins ist der Handstand. Und den soll ich jetzt bitte an der Stange machen. Kopfüber sehe ich mich in der Spiegelwand mit tomatigem Gesicht und fuchtelnden Beinen die Stange suchen. Aufreizendes Turnen sieht sicher anders aus.
Shuai hingegen macht einen tiefenentspannten Eindruck, schließlich geht er regelmäßig ins Fitnessstudio. „Davon habe ich langsam gar keinen Muskelkater mehr“, sagt Shuai. „Aber manche Muskeln kannst du im Fitness gar nicht trainieren, das geht nur hier beim Poledance.“ Eine Freundin aus Berlin hat ihn auf die Idee gebracht, seit drei Monaten ist er inzwischen im Studio von Carol. Wenn Shuai seinen Freunden vom neuen Hobby erzählt, finden die es immer cool. Nur mitkommen will dann doch keiner, wenn er fragt. „Sie denken, dass Pole-Fitness nur was für Frauen ist.“ Wahrscheinlich hat Shuai recht. Gerade Männer haben wohl wenig Peil, was Poledance angeht – und trotzdem starke Bilder im Kopf. Als ich meinem Bruder von meiner ungewöhnlichen Fitnessstunde erzähle, tauft er mich „Stripper-Chris“.
Shuai schlägt mir vor, einen schwebenden Schneidersitz an der Stange zu probieren
Endlich geht es richtig an die Stangen. Ich frage Shuai noch schnell, ob ich untenrum bei irgendwas an der Stange besonders aufpassen muss. Er lacht und schlägt vor, dass ich doch mal eine Art schwebenden Schneidersitz an der Stange probieren soll. Carol macht den vor, ihr gelingt er mühelos. Ich unternehme einen halbherzigen Versuch. Shuai macht diese Übung nie – ich weiß sofort, wieso. Bei anderen Posen zeigt mir Carol, wie ich es schaffe, dass ich ein bisschen mehr Abstand zur Stange habe.
Coach Carol macht die nächste Übung vor. Sie hat diese besondere Haltung, eine natürliche Körperspannung, wie ich sie nur von Tänzerinnen und Schwimmern kenne. Die Spiegelwand zeigt mir: Ich habe die Haltung nicht. Meine Haltung ist eher aus der Kategorie Schreibtischheld. Carol greift die Stange neben ihr, macht einen ballettspitzen Schritt nach vorne, holt mit dem äußeren Bein Schwung und umkurvt schwebend die Pole. Ganz einfach, jetzt ich. Volle Konzentration, kurzes Luft holen, Schwung und… mit der Grandezza eines Hängebauchschweins zieht es mich viel zu früh in Richtung Boden. Immerhin, nach ein paar Anläufen klappt es dann einigermaßen gut. Carol belohnt mich mit angemessenem Entzücken. „Du hast Talent“, sagt sie. Ich fühle mich verarscht.
Viele Poledancerinnen sind Feministinnen
Carol erzählt, dass viele Männer nur einmal kommen. Es sei wohl der Frust, wenn sie etwas nicht sofort können, das eine Frau ihnen zeigt. Frauen halten meist länger durch. „Viele Poledancerinnen sind Feministinnen“, erzählt sie. „Ich bin auch Feministin: Ich glaube, dass die Frau dem Mann gleich ist. Und dass Frauen können, was Männer können.“ Gilt also: An der Stange sind alle gleich?
Eher nicht. Carol und Shuai machen immer wieder Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wenn sie über Poledance sprechen. „Manche Posen sind halt für Frauen, das sind eher sexy Posen“, sagt Shuai. Viele Männer machen darum Power-Pole, das ist für sie ein Kraftsport und dadurch anscheinend ausreichend „männlich“. Zum feministischen Aktivisten macht mich das bloße Stangenrutschen also wohl kaum. Feministin Carol ist da auffallend pragmatisch: „Bei Frauen konzentriere ich mich halt auf Frauen-Pole. Das ist ein bisschen exotisch, ein bisschen sexy.“ Klar gebe es auch Frauen, die die Kraftsport-Variante lieber machen. Sie kenne ja auch Männer, die in High Heels tanzen. Aber das kommt eben nur selten vor.
Zum Schluss geht Carol noch mit Shuai und mir in den Nebenraum. In dem etwas kleineren, zweiten Studio hängen große Metallreifen an Seilen von der Decke, die „Hoops“. Ich ziehe mich hoch, der Reifen beginnt, sich zu drehen. Carol turnt vor, wirft die Beine gekonnt übers Metall. Sekunden später hänge auch ich mit dem Kopf in Richtung Erde, Erinnerungen ans Hangelgerüst auf dem Spielplatz werden wach. Zwar zittern meine Arme und Beine bei den Figuren. Doch anders als an der Pole wehre ich mich im Reifen erfolgreich gegen die Schwerkraft.
Von Carol angefeuert wage ich schließlich den fliegenden Seestern: Ich schwebe kopfüber im Hoop, die Hände auseinandergestreckt, mich halten nur die weit gespreizten Schienbeine und der Hintern im Ring.
Beseelt von meinem Erfolg will ich noch mal eine Drehung an der Stange versuchen, die eben nicht geklappt hat. Doch: Der Geist ist willig, der Muskel ist schwach. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich schon vor Trainingsende Muskelkater. Reicht wohl jetzt. Vielleicht war das heute nicht die Neuerfindung der Männlichkeit. Aber dafür weiß ich jetzt sicher: Poledance ist ein heftiger Sport. Egal für wen.