Ebru Köksal sieht nicht aus, wie die meisten Leute sich Fußball-Manager vorstellen: Erstens ist sie eindeutig eine Frau. Zweitens hat sie keine Lust, sich für das Fußball-Business zu verkleiden: Köksal ist eine Lady, die elegante Kleider und Pumps biederen Hosenanzügen oder Sneakers vorzieht. Die heute 51-jährige Türkin blickt auf eine beeindruckende Karriere in der Finanz- und Fußballbranche zurück.
Sie macht kein Geheimnis daraus, dass der Weg in diese Männerdomänen schwer war. Aber sie will anderen – vor allem Frauen – auch Hoffnung machen mit ihrer Geschichte. Sie beginnt mit dem Gefühl, etwas leisten zu müssen, um geliebt zu werden. Bei Ebru Köksal setzte diese Überzeugung im Wartezimmer eines Arztes ein. Damals war sie acht Jahre alt. Der Arzt gab ihr die Diagnose Skoliose: Ihre Wirbelsäule war so stark zur Seite gekrümmt, dass sie wohl nie ohne Schmerzen Sport treiben oder Kinder bekommen könnte.
„Ich sah den Gesichtsausdruck meines Vaters und die Tränen in den Augen meiner Mutter und wusste, dass etwas nicht stimmte”, erinnert sie sich. „Das perfekte kleine Mädchen meiner Eltern war doch nicht perfekt.“ Sie habe sich gefühlt, als hätte jemand einen Stöpsel aus ihrem Körper gezogen und all die bedingungslose Liebe, die sie bis dahin in ihrem Körper gesammelt hatte, sei hinausgeflossen. „Zuerst war ich verärgert”, sagt sie. „Dann kam ich auf die Idee, dass ich einfach in etwas sehr erfolgreich sein müsste, damit meine Eltern und alle anderen mich wieder lieben würden.“
Intensive Karriere
Sie setzte sich ehrgeizige Ziele – und erreichte sie. Ebru ging an eine amerikanische High School in der Türkei, studierte an einer privaten Universität in den USA, machte dort ihren Abschluss mit „Magna cum laude“ und bekam einen Job bei einer der führenden Investmentbanken an der Wall Street. Auch das reichte ihr nicht: Sie wollte an der US-Eliteuniversität Harvard studieren und hatte sich bereits beworben. Dann kam das Privatleben dazwischen: Sie heiratete ihren Freund und ging mit ihm zurück in die Türkei. Der Traum von Harvard schien ausgeträumt – dafür ist Ebru seit 26 Jahren glücklich verheiratet und entgegen der Prognosen der Ärzte Mutter zweier Kinder.
Ihre Karriere trieb sie jedoch auch immer weiter ehrgeizig voran: Ebrus Weg führte sie vom Investmentbanking bis ins männerdominierte Fußball-Business. Um die Jahrtausendwende leitete sie für einige Jahre als Geschäftsführerin – und erste Frau in dieser Position – Galatasaray Istanbul, den erfolgreichsten Fußballverein in der Türkei.
Heute arbeitet sie wieder in der Finanzbranche: Sie ist Senior Advisor bei dem privaten Investmentbüro J.Stern & Co. und Inhaberin eines Lehrstuhls für Frauen im Fußball. Das klingt nach einer glatten Erfolgsgeschichte, aber Ebru musste kämpfen.
Ihr größter Karrieresprung begann vor 20 Jahren mit einem absoluten Tiefschlag: Ebru arbeitete bei einem Private-Equity-Unternehmen, das damals gerade Anteile am Fußballclub Galatasaray Istanbul kaufte, als ihr plötzlich gekündigt wurde. „Mein Chef dort feuerte mich, weil er glaubte, dass ich mit zwei kleinen Kindern nicht mehr mithalten könne”, erzählt Ebru. „Ich spreche vom Jahr 2000, da war es in der Türkei noch völlig normal, so diskriminiert zu werden.“
„…also verließ ich meine Komfortzone“
Ebru stand mit zwei kleinen Kindern und ohne Job da, als das Angebot des damaligen Galatasaray-Präsidenten Adnan Polat kam: Sie sollte als Chief Financial Officer für den Fußballclub arbeiten. „Also verließ ich meine Komfortzone und fand für die nächsten 17 Jahre Magie in der Welt des Fußballs, einer sehr männerdominierten Industrie“, sagt Ebru. Der damalige Präsident Polat habe sie gegen Vorurteile und unberechtigte Kritik verteidigt.
In den folgenden Jahren arbeitete Ebru mit sechs verschiedenen Präsidenten zusammen, der Verein gewann mehrere Ligatitel und in einem Jahr sogar den UEFA- Pokal und den UEFA- Superpokal. „Ich war dabei immer die einzige einsame Frau an der Spitze, deren Leistung stets in Frage gestellt wurde – einfach, weil sie eine Frau war.“ Sie bekam trotzdem immer mehr Verantwortung übertragen, zum Beispiel für den Bau eines neuen Stadions für den Verein – mitten in der Wirtschaftskrise. Ein Riesenprojekt, das Ebru nach vielen schlaflosen Nächten stemmte. 2011 wurde sie als „Geschäftsführerin des Jahres“ der Stadion-Business-Awards ausgezeichnet. Und es gab direkt die nächste Herausforderung: Sie sollte Generalsekretärin des türkischen Fußballverbands werden, als erste Frau in dieser Position. Aber Ebru zögerte. Denn zu der Zeit wurde gegen mehrere Vereine ermittelt wegen des Verdachts, Spiele manipuliert zu haben.
„Der Präsident konnte mich davon überzeugen, dass ich nichts mit den Untersuchungen zu tun haben würde, da ich zunächst nur an einem großen Umstrukturierungsprojekt arbeiten würde.“ Doch dieser Präsident trat kurz danach zurück und sein Nachfolger sah vieles anders. Sie wurde gekündigt. Und bald riefen Journalisten an: „Der Präsident des gegnerischen Clubs, der zuvor inhaftiert war, war aus dem Gefängnis gekommen und beschuldigte nun unter anderem mich, Beweise gefälscht zu haben.“
Das zu klären, sei sehr anstrengend gewesen, so Ebru. Viel schlimmer aber sei die Verleumdungskampagne gewesen, die per Social Media über sie hereinbrach: „Ich bekam teilweise Tausende Nachrichten am Tag, inklusive Morddrohungen.“ Sie ging in die Offensive. Und wurde in den Vorstand des damaligen Galatasaray-Clubpräsidenten Ünal Aysal aufgenommen.
„Ich fühlte mich, als sei ich in 1000 Stücke zerbrochen“
„Doch so funktioniert das echte Leben nicht“, sagt Ebru und meint, dass nie alles glatt läuft. Denn es bahnte sich eine Tragödie in ihrer Familie an: Ihre Schwägerin fiel kurz nach der Geburt ihres Babys ins Koma und starb wenig später. Ebrus Bruder war plötzlich Witwer und alleinerziehender Vater. „Ich fühlte mich, als sei ich in 1000 Stücke zerbrochen“, erinnert sich Ebru. Gemeinsam mit ihrem Mann beschloss sie, ihren Bruder und den kleinen Neffen bei sich aufzunehmen. „Unser Haushalt war nun sehr bunt gemischt: Er bestand aus drei Erwachsenen, zwei Teenagern, einem Baby und zwei Hunden. Aber das war der einzige Weg, der uns aus dieser Tragödie herausführen konnte.“
Der familiäre Schicksalsschlag warf Ebru nicht zurück, sondern brachte sie auf die Idee, anderen Frauen zu helfen: Für den Fußballverband FIFA entwickelte sie einen Leadership-Kurs für Frauen, der in mehr als 40 Ländern von Palästina bis Indien unterrichtet wurde. Und sie fing selbst, im Alter von 47 Jahren, mit dem Fußballspielen an: „Es ist nie zu spät, sich selbst in Verlegenheit zu bringen, etwas Neues zu starten.“
Ebru hatte damals schon eine erstaunliche Karriere hinter sich, aber mit einer Entscheidung haderte sie noch immer, mehr als 20 Jahre später: die zurückgezogene Harvard-Bewerbung. „Es gab seitdem keinen einzigen Tag, an dem ich nicht an Harvard gedacht habe“, erinnert sie sich. Die verpasste Chance hätte sie verbittern lassen können, aber das passt nicht zu Ebru. Sie setzte ihren Traum doch noch um und machte ihren Executive MBA an der berühmten Hochschule.
„Wenn es etwas gibt, das du in deiner Vergangenheit verlassen hast, gehe zurück, finde es und laufe hinterher“, rät Ebru. „Und auch wenn es schwierig sein mag, verletzlich zu sein und deine Geschichte so offen wie diese zu erzählen: Es gibt nichts Erfüllenderes als zu wissen, dass ich durch das Erzählen meiner Geschichte anderen Menschen bei ihren persönlichen Reisen helfen kann.“
Erfolg bedeutet Dankbarkeit, Empathie und Kreativität
Ebrus oft schmerzhafter Weg führte sie zu einer Erkenntnis: Liebe und Akzeptanz müssen nicht unbedingt an Erfolg geknüpft sein. Jedenfalls nicht an die Art von Erfolg, wie wir ihn aus der Wirtschaft kennen: Messbar durch Gehaltserhöhungen, klingende Job-Titel, Umsatzrekorde.
Ebrus Blick hat sich geändert. „Erfolg bedeutet, dass du dich nicht von Grenzen stoppen lässt, sondern das Genie in dir frei lässt”, sagt sie heute. „Erfolg bleibt immer neugierig – schließlich wird es unsere Kreativität sein, die uns in Zukunft von der Künstlichen Intelligenz unterscheidet. Erfolg macht den Unterschied im Leben der anderen aus.” Erfolg bedeute auch Einfühlungsvermögen, anderen zuhören und in ihren Augen lesen zu können. Und nicht zuletzt ist Erfolg für Ebru Köksal, „immer dankbar dafür zu bleiben, dass wir einfach lebendig sind”.
Dieser Artikel ist Teil einer Serie über Gedanken und Meinungen, die bei Hans & Marie zu hören waren. Hans & Marie ist das jährliche Business-Festival der Syzygy-Gruppe in Partnerschaft mit der Süddeutschen Zeitung.