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Schluss mit der To-Go-Kultur
Ich rede zu schnell, ich gehe zu schnell, ich esse zu schnell. Das ist anstrengend. Deshalb habe ich etwas dagegen unternommen. Und das war gar nicht anstrengend. Ich habe mit der Unart der To-Go-Kultur Schluss gemacht und kultiviere jetzt die Alltagspraxis der Pause neu. Zugegebenermaßen ändert das wenig an meinem Sprech- oder Spaziertempo, dafür senkt es meinen Stresspegel enorm.
Ich mochte schon immer die Barkultur der Italiener. Diese engen kleinen, holzvertäfelten Räume, die sich zur Straße hin jedem Passanten als immerwährende Zwischendurch-Einladung öffnen. Kleine Espresso-Tankstellen, lebensnotwendig und stets zu Diensten. Die lokalisierte Pause. Ein Gläschen Wasser dazu, ein Keks oder ein Cornetto, im Hintergrund fauchen die Kaffeemaschinen, die Espresso-Tassen sind aus dickem, stets gut vorgewärmten Porzellan, die Kellner in anständig gestärkte Kellnermontur gekleidet. Funkelnd warten die Gläser und Flaschen der Thekenregale im Hintergrund auf ihren routinierten Einsatz und irgendwo klimpern Eiswürfel zwischen Zitronenscheiben. Egal was draußen ist, hier drinnen ist Eleganz und Pause für alle, und Zeit für Pause ist immer.
Ich möchte behaupten, wer keine Zeit hat, sich für einen Kaffee oder Drink oder Snack an dem Ort seiner Ausgabe aufzuhalten, der sollte es ganz bleiben lassen mit dem Kaffee oder dem Snack und stattdessen über sein Leben nachdenken. Alles andere wäre nicht nur unhöflich dem Produkt und seinem Erzeuger, sondern auch sich selbst gegenüber.
Das sollte vielleicht mal eine Art Gradmesser für die Burn Out-Gefahr werden: Wenn man an einem ganz normalen Tag keine Zeit mehr findet, sich für einen kurzen Kaffee oder Drink 8 komma 5 Minuten in ein Café zu setzen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass einem der Nervenzusammenbruch schon zur Hintertür reinspaziert.
Abgesehen davon finde ich, gebietet es allein der Anstand, einem Laden, der einem die Koffein- oder Zuckerration beschert, ein wenig Respekt zu zollen in dem man sich dort ein Weilchen aufhält. Indem man das dortige Geschirr und Ambiente gebührend in Anspruch nimmt, das schließlich nur zu diesem Zwecke dort ist und nur zu diesem Zwecke tagtäglich in Stand gehalten wird. Indem man ein paar Worte mit dem Kellner tauscht oder auch nur ein stilles Lächeln und ein wenig mit dem Zuckerlöffel klimpert.
Meine Beziehung mit der To-Go-Kultur war nicht schön. Sie wollte sich einfach nie festlegen, sie war ganz und gar beziehungsunfähig.
Denn auch das ist ja das Wesen der Pause: kurz Abstand nehmen von dem, was einen gerade so einnimmt und möglicherweise den Kopf verdreht. Sich kurz darüber klar werden, dass nichts so wichtig ist, wie es scheint. Dass auch andere Leute sich in diesem seltsamen Leben befinden und glauben, es drehe sich ganz und gar um sie selbst. Sich kurz von all diesen Illusionen entfernen, paar Mal durchatmen und in aller Ruhe einige Merkwürdigkeiten auf der Straße oder am Nebentisch beobachten. Zum Beispiel zwei alte Männer am Rande der Verwahrlosung, die sich gegenseitig top engagiert und äußerst ernsthaft Kontaktanzeigen vorlesen oder dergleichen interessante Dinge, die jeden Tag überall passieren.
Außerdem ist das Trinken aus To-Go-Bechern natürlich Umweltverschmutzung und eine Beleidigung für jeden Drink. Nichts schmeckt aus Papp- oder Plastikbechern so gut wie aus Glas oder Porzellan. Und wer während des Trinkens geht oder Straßenbahn fährt, hat nicht einmal die Muße, sich dem Genuss voll hinzugeben, weil er zeitgleich auf die wankende Oma an der Ampel achten muss oder dem schwitzenden Gedränge und beißenden Atemstößen der Mitfahrer des öffentlichen Nahverkehrs ausgeliefert ist.
Deshalb setze ich mich neuerdings hin, wenn ich etwas konsumieren möchte. Oder stehe in Ruhe an der Bar. Es tut sehr gut und macht Spaß. Ich verbrenne mir die Zunge seltener, kippe mir und anderen seltener Kaffee auf die Klamotten, verschlucke mich kaum noch und erinnere mich seit neuestem jeden Tag an ein paar irre schöne Momente der Muße, umgeben von hübschem Porzellan, für das ich nach Gebrauch keinen Mülleimer suchen gehen muss. Und konzentrierter und zufriedener bin ich irgendwie auch.
Nein, meine Beziehung mit der To-Go-Kultur war nicht schön. Sie wollte sich einfach nie festlegen, sie war ganz und gar beziehungsunfähig, gehetzt, getrieben, Opfer ihrer Zeit. Anstrengend war das. Nichts für mich. Ich liebe jetzt die Pause, sie hat einfach einen besseren Vibe.
Dieser Text von Blanca ist zuerst im Splendido-Magazin erschienen, einem der Blogs, mit denen wir kooperieren. Splendido ist ein Blog über Esskultur, Kochen und die Suche nach guten Lebensmitteln. In München und überall anders.