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Was alte Socken und Haare im Abfluss mit Liebe zu tun haben

Foto: Mr. Nico / photocase.de

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Ich sagte: „Du kannst da jetzt nicht rein.“ Sie fragte: „Warum nicht?“ „Weil das vollkommen unmöglich ist!“ „Wieso zum Teufel?“ „Weil ich gerade drinnen war!“ Sie sagte: „Das ist die Toilette! Ich habe ein Recht darauf, das Klo unserer Wohnung zu benutzen!“ Ich rief: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ Den letzten Satz habe ich so natürlich nicht gesagt, aber etwas in diese Richtung gedacht.

Wir sind seit zwei Jahren zusammen und haben in dieser Zeit herausgefunden, dass es sich bei keinem von uns um reine Geistwesen handelt; wir müssen beide kacken. Aber bis vor kurzem handelte sich dabei eher um ein theoretisches Wissen, welches wir nach Belieben aus unserem Bewusstsein entfernen konnten. Als wir beide zwei Monate im Ausland waren und dort zusammen wohnten, gelang das nicht mehr.

Plötzlich drängten sich all die Unappetitlichkeiten, Angewohnheiten und Alltäglichkeiten in unsere Beziehung rein, die wir vorher nie reingelassen hatten. Sie sagte: Schmeiß den Apfelbutzen weg, der da seit vorgestern liegt! Ich dachte: Verdammt, sie zieht den BH doch gerade schon zum dritten Mal an. Ich sagte: Häng halt auch mal die Wäsche auf. Sie sagte: Ich habe heute schon wieder den Müll runtergebracht. Im Abfluss hingen lange schwarze Haare, in der Ecke des Bades lag seit Tagen ein Socken von mir, der seinen Partner suchte. Sie wollte neues Geschirr kaufen, ich sagte, brauchen wir nicht, kostet nur Geld. Kurzum: Wir taten das, was alle Paare irgendwann tun, wenn sie nicht komisch sein wollen – wir wohnten zusammen.

Es ist, als sei eine Beziehung ein fahrender Zug, der an bestimmten Bahnhöfen hält: Beide steigen verliebt ein und fahren los. Nach drei Monaten hält der Zug nochmals, der Schaffner fragt: Wollen Sie sitzenbleiben? Beide nicken. Ein Jahr später taucht der Schaffner wieder auf und fragt: Wenn Sie weiterfahren wollen, dann müssen sie sich bitte eine Schlafkabine teilen. Ist ein bisschen eng da, und riecht schlecht, aber machen alle so. Wenn sie nicht möchten, sagt der Schaffner, dann setzten sie sich in den Wagon am Ende des Zugs, auf dem „Freaks“ geschrieben steht. Wahrscheinlich müssen wir den dann aber irgendwann abhängen. Von einem Paar, das ein Jahr plus x zusammen ist, wird erwartet, sich demnächst eine Behausung zu teilen. Wer nach zwei, drei Jahren immer noch getrennt wohnt, dessen Beziehungsmodell wirkt auf seine Umwelt ungefähr so unlogisch wie Sex ohne Orgasmus, eine Art Rohrkrepierer der Liebe.

Ich würde mir ja selbst eine gewissen Bindungsunwilligkeit- vielleicht auch -unfähigkeit attestieren, wenn ich nur glücklich zusammenlebende Paare kennen würde. Aber nahezu alle mir bekannten Frauen schimpfen über Krümel in der Küche und über die Schwierigkeit, einem männlichen Wesen beizubringen, im Sitzen zu pinkeln. Männer erzählen, was für eine Herausforderung es sei, das Zeitfenster abzupassen, in dem sie endlich in Ruhe im Internet surfen und onanieren können. Nach drei Jahren trennt sich das Paar wieder und muss dann in einer – wieder unwürdigen – Prozedur herausfieseln, wer damals den DVD-Spieler bezahlt hat, und nachweisen, dass der kleine Telefonschrank im Flur nicht von Ikea, sondern ein Erbstück der 2004 verstorbenen Oma ist.

Das Rezept für eine erfolgreiche Beziehung sind getrennte Wohnungen

 

Paare, die sich dem sozialen Druck nicht beugen und weiterhin in getrennten Wohnungen zusammen sind, heißen übrigens bei Soziologen „LATs“, von „Living Apart Together“. Laut einer Studie der Berliner Humboldt-Universität haben LAT-Partnerschaften zwischen 1992 und 2006 immerhin um mehr als 70 Prozent zugenommen. LAT ist übrigens ein Begriff, den ein Journalist namens Michel Berkiel schon 1978 geprägt hat. Das war ja bekanntlich eine Zeit, in der viel mehr in Frage gestellt wurde. LATs waren bzw. sind zum Beispiel Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, Helmut Dietl und Veronika Ferres und Woody Allen und Mia Farrow. Letzterer soll gesagt haben: Das Rezept für eine erfolgreiche Beziehung sind getrennte Wohnungen. So bleibt eine Spannung aufrechterhalten – das ist manchmal anstrengend, schützt aber vor dem ganzen Alltagsmüll.

In der Welt schrieb vor kurzem die Autorin Loraine Haist über das Thema und zitierte dabei eine weitere Studie der Universität Frankfurt, wonach getrennt wohnende Paare besseren Sex hätten. In seinen eigenen vier Wänden kann der Mensch seine Würde behalten, er kann einsam sein und sich dann umso mehr auf Gesellschaft freuen. Alleinewohner zelebrieren automatisch das Treffen mit dem Partner: Sie räumen vorher die Wohnung auf, beseitigen Schmutzwäsche, gebrauchte Taschentücher und bringen die Bierflaschen zurück. Sie überlegen sich, was sie mit der gemeinsamen Zeit anstellen wollen. Sie entscheiden sich – jedes Mal, wenn sie sich sehen ein kleines bisschen füreinander und können in der Nase bohren, wann immer sie wollen. Der Zusammenwohner dagegen ist durch die Omnipräsenz des Partners auf der Suche nach Rückzugsgebieten, in denen er endlich ein bisschen alleine sein kann. Er zelebriert nicht mehr das Zusammensein, sondern das Gegenteil; der Zusammenwohner geht endlich mal wieder mit seinen Kumpels trinken bzw. trifft sich mit seiner besten Freundin im Cafe, um sich über herumliegende Socken zu beschweren. Der Zusammenwohner trifft dann Entscheidungen, wenn es darum geht, nicht mit seinem Partner zusammenzusein. Er muss entweder heimlich Pickel ausdrücken, furzen und seinen Fußpilz kurieren oder komplett seine Würde verlieren.

Ist all das die Nähe und Vertrautheit des Zusammenwohnens wert? Müssen zum Teufel alle Paare automatisch nach ein bis zwei Jahren eine gemeinsame Wohnung beziehen, und dann auf den Grabstein ihrer gemeinsamen Zeit meißeln: Alltag fraß unsere Beziehung auf? Wahrscheinlich schon. Sie blieb länger als ich im Ausland. Wir telefonierten, sie sagte, sie vermisse sogar meine dreckigen Socken. Es klang gar nicht würdelos.

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