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"Typen halt" 553802
Eine meiner besten Freundinnen wurde von ihrem Freund betrogen. Überhaupt liefen viele Dinge zwischen den beiden unglücklich und jetzt sind sie seit einigen Monaten getrennt. Wir sitzen mit einem Bier in einer Hollywoodschaukel und reden zum wiederholten Male darüber. Obwohl der erste große Schmerz und die erste große Wut vorüber ist, hört meine Freundin nicht auf, immer wieder Sätze wie: „So sind Männer nämlich wirklich" und andere Pauschalaussagen einzuflechten, die nicht klingen, als stammen sie von meiner sonst so klugen, emanzipierten, differenzierten Freundin, sondern von einer frustrierten Protagonistin aus einem Midlife-Single-Schundroman.
Ich bin immer dafür, Menschen in Rage einfach reden zu lassen, denn ich bin selbst sehr groß darin, viele politisch unkorrekte Dinge von mir zu geben, wenn ich so richtig verletzt und wütend bin. Nur bin ich auch der Meinung, dass man das dann spätestens zum Abschluss der losgelassenen Hasstirade auch als nicht ganz ernstgemeint kennzeichnen muss, sei es nur durch ein kleinlautes „Ja, na gut, du weißt schon" oder einen selbstironischen Zerknirschtheitsblick.
Ich verstehe, dass es, wenn gar nichts mehr hilft, tröstlich sein kann, die Schuld pauschal einer Menge anderer Leuten in die Schuhe zu schieben. Eigene Probleme mal eben auf eine Gruppe von Menschen oder eine angebliche Allgemeinwahrheit zu schieben, ist wie Fast-Food: Man kann das hin und wieder machen, um sich schnelle Linderung von Heißhunger zu verschaffen. Aber satt macht es halt nicht. Um das begriffen zu haben, muss man wirklich kein Gender-Spezialist oder hochstudierter Mensch sein. Man muss nicht einmal politisch engagiert sein. Man muss einfach nur die Augen aufmachen und zur Kenntnis nehmen, dass jeder Mensch anders ist, und dass ob jemand jemanden schlecht behandelt, betrügt, belügt, besonders prahlerisch auftritt oder besonders schüchtern und ob er respektvoll oder oberflächlich mit seinen Mitmenschen umgeht, nichts damit zu tun hat, welches Geschlecht dieser Mensch besitzt.
Ich dachte, ich könnte diesen Menschenverstand bei meinen Freunden voraussetzen. Aber mir fällt immer öfter auf, wie viele Frauen in meinem Bekanntenkreis tatsächlich völlig ernsthaft „Männer sind"-Floskeln anwenden, wenn sie von ihrem derzeit nicht vorhandenen Liebesglück erzählen. Und je mehr ich darauf achte, fällt mir auch auf, wie viele Männer meines Umfelds sich zur umgekehrten Geschlechterabschätzigkeit hinreißen lassen, wenn sie gerade verletzt wurden.
Das Absurde daran ist nicht einmal, dass es Menschen gibt, die mit solchen zweifelhaften Pauschalwahrheiten um sich werfen. Absurd ist, dass meine Freunde es tun, moderne und intelligente Menschen, die ich für reflektierter gehalten hätte. Es kommt mir völlig antiquiert vor, Sätze wie „Typisch Frau" oder „Typisch Mann" zu sagen, weil es so unpassend ist im Hinblick auf unsere Einstellung zum Leben, zur Welt und unserer Gesellschaft. Sind wir uns wirklich nicht einig darüber, dass Ausagen wie "Männer sind halt in dem Alter so, die müssen sich dann erstmal finden" oder "Typisch Mann, die vögeln ohne Rücksicht auf Verluste, weil sie es für ihr Ego brauchen" genauso dumm und altbacken und indiskutabel sind, wie wenn jemand sagt: "Typisch Frauen, alles was sie können ist putzen und kochen"?
Unser Hirn müsste solche Sätze doch gar nicht mehr einfach so bilden können, genau so, wie wir uns nicht einmal trauen würden zu denken, dass die DDR ein ganz gutes Systeme gewesen sein könnte, oder dass es sinnvoll war, Frauen nicht wählen und nicht arbeiten gehen zu lassen. Wir müssten es doch besser wissen, wir müssten uns doch längst nicht mehr mit so etwas abgeben und wir müssten doch diese ganze Einparken-können-oder-gut-zuhören-Sache genau so ungläubig belächeln wie Herrenschokolade im Supermarktregal.
Aufhören muss diese „Männer sind" oder „Frauen sind"-Sprache aber auch aus einem anderen Grund: Sie bringt jedes halbwegs lebenszufriedene Gegenüber in eine merkwürdige Rechtfertigungsbredouillle: Wenn meine Freundin A. mich mit ihrem „Männer sind"-Gerede erwartungsvoll ankumpelt, fühle ich mich in die Pflicht genommen, ihr ein bestätigendes Nicken und eine eigene„Männer sind alle unzurechnungsfähig"-Anekdote zu liefern. Ich will nicht die Spielverderberin sein, wenn sie einen Wir-Frauen-gegen-die-bösen-Männer-Pakt mit mir eingehen will.
Nur: Ich muss es doch sein, ich muss sie enttäuschen. Denn ich kann und will nicht in den Chor der Männerfrustrierten einsteigen. Ich bin in einer langjährigen, glücklichen Beziehung, in der ich mich zwar auch schon oft gestritten habe, aber noch nie aus einem Grund, der sich in irgendeine nur für Männer gültige Allgemeinwahrheit zusammenfassen ließe.
Diese pauschalen Männer-Theorien werten meine glückliche Beziehung von vorneherein ab, weil sie davon ausgehen, dass auch mein Mann ein Arsch ist und ich Dummerchen es nur leider noch nicht gemerkt habe. Natürlich ist die Geschichte von meinem Liebesglück keine, die eine Freundin mit gebrochenem Herzen hören will. Aber ist ihr geholfen, wenn ich sie darin bestätige, dass Männer Schweine sind? Ist es nicht im Gegenteil die langfristig wirksamste Methode, ihr davon zu erzählen, dass es auch anders gehen kann?
Wenn ich mir eine Lebensmittelvergiftung beim Inder hole, sage ich im ersten Moment vielleicht: Ich esse nie wieder beim Inder! Aber ich weiß doch, dass es Quatsch ist und versuche nicht, meine Umwelt fortan mit Pauschalwahrheiten über indische Restaurants zu behelligen, nur um darin Trost zu finden, dass man mir bestätigt: Stimmt, indische Restaurants sind das Letzte!
Ich möchte doch wieder Hoffnung finden. Ich möchte doch wissen, wo es einen anderen, guten Inder gibt, weil ich ja schließlich beim Inder war, weil ich indisches Essen gern mag. So, wie es unzählige gute Inder gibt, gibt es unzählige Restaurants aller Nationalitäten mit mangelhaften hygienischen Standards. Und genau so gibt es also auch unzählige tolle Männer und unzählige nicht-so-tolle Männer. Man kann sich nur vorher nie richtig sicher sein, bei wem man gelandet ist. Wenn es also eine Wahrheit gibt, dann ist es genau die: Dass es keine gibt. Auch wenn das nicht gerade einfach zu ertragen ist.