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Partnerwahl im Jahre 2005

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Illustration: karen-ernst Wenn ich das Wort Heiratsmarkt höre, muss ich immer an Doris Day, pastellfarbene Kostümchen mit passendem Hut und Melitta-Kaffeefilter denken. An Frauen und Männer im Jahr 2005 möchte ich dabei nicht denken. Genau dieses Wort verwendet allerdings Stephanie Brown von der University of Michigan in ihrer Studie zum Verhalten von Frauen und Männern bei der Partnerwahl. Die Ergebnisse der Studie kommen ebenso altbacken daher: Männer treffen „dominanz-abhängige“ Entscheidungen bei der Wahl des Partners. Das heißt, sie bevorzugen Frauen, die beruflich schlechter gestellt sind als sie und somit auch weniger verdienen. Schon wieder muss ich an Doris Day denken. Wer, frage ich mich, hat an dieser Studie teilgenommen? Meine Eltern? Großeltern? Meine Generation, möchte ich ausrufen, hat sich doch zumindest ein bisschen weiterentwickelt und von solch anachronistischen Rollenmustern befreit! Die Angst vor der fremden Brut Doch ich liege falsch: Die Studie wurde an College-Studenten durchgeführt. Und beinahe alle männlichen Befragten würden zwar eine Beziehung mit ihrer Assistenten, nicht jedoch mit ihrer Kollegin, geschweige denn ihrer Chefin, eingehen. Die Erklärung dafür liefert Frau Brown gleich mit. Die Überlegung der Männer sei folgende: Wenn sie schon viel in eine Beziehung investiert haben, dann wollen sie auch sicher sein, dass es sich lohnt und Nachkommen dabei rausspringen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Frauen fremdgehen und fremde Brut in die Ehe bringen sinkt, je schlechter die Partnerinnen beruflich und finanziell gestellt sind. Von der Generation im Stich gelassen Wenn ich mich in dieser Frage nicht auf meine Generation verlassen kann, muss ich mich eben auf mein Geschlecht verlassen, und da schaut es schon positiver aus. Frauen nämlich träfen keine dominanz-abhängigen Entscheidungen, ihnen ist der Assistent genauso lieb wie der Chef. An dieser Stelle jetzt wäre es Zeit, die Moralkeule über den Köpfen aller Männer da draußen zu schwingen: dass dieses fortpflanzungsorientierte Verhalten nicht mehr nötig ist und die Entwicklungsphase des Steinzeitmenschen überwunden; wie viele verschiedene Facetten, die eine Beziehung haben kann, den Männern durch ihr Benehmen entgehen; dass eine Beziehung kein Nullsummenspiel ist, bei dem man Einsatz und Gewinn möglichst effektiv kalkulieren sollte. Nur bin ich leider nicht diejenige, die all das sagen kann. Tausche Schülersprecher gegen DJ Zwar bin ich weder ein Mann noch ein Amerikaner, die in Beziehungsfragen ja oft als etwas altmodisch gelten, darauf ausruhen kann ich mich aber nicht. Denn die Studie hat nicht ganz Recht. Sie hat nicht Recht, wenn sie sagt, Frauen würden keine dominanz-abhängigen Maßstäbe bei der Partnerwahl ansetzen. Ich bin der Beweis dafür und fast alle meine Freundinnen und Bekannten auch. Meinen ersten richtigen Freund hatte ich, als ich in der Mittelstufe des Gymnasiums war und gerade Klassensprecherin geworden bin. Er hieß Robert und ich fand ihn sehr toll. Ich fand ihn toll, weil er älter war als ich, schon in der Kollegstufe, Schülersprecher und obendrein noch im Basketballteam der Schule, in dem nur die Allercoolsten waren. Mein zweiter Freund, inzwischen war ich selbst in der Kollegstufe, wohnte schon nicht mehr zu Hause, studierte und legte am Wochenende als DJ auf. Und bei meinen Freundinnen war und ist es nicht anders. Natürlich war es nicht die Position des Jungen an sich, die uns verliebt gemacht hat, ich hätte ja nicht jeden Schülersprecher genommen, aber trotzdem: Wir hatten von Anfang an fast immer Beziehungen mit Männern (oder Jungs), die zu dem Zeitpunkt, als wir mit ihnen zusammen waren, weiter waren als wir. Je mehr ich darüber nachdenke, desto erschreckender finde ich das. Bin das wirklich ich, sind das wirklich wir? Wir, die wir es eigentlich selbstverständlich finden, uns auf einer Ebene mit den Männern zu sehen? Offensichtlich sind wir in unseren Vorstellungen sehr viel weiter als in unseren Taten, unser Geist ist uns voraus geeilt. Aber immerhin sind wir uns innerlich schamvoll unserer Präferenz für den Chef bewusst und behaupten zumindest, der Assistent sei uns genauso lieb. Ich meine, das ist immerhin ein Anfang, oder?

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