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Mut zum Bett 534265
„Gibt es etwas Deprimierenderes als Sex unter der Dusche oder stimmt irgendetwas nicht mit mir?“, fragte Rebecca mit skeptischem Blick in die Runde. Wir waren fünf gute Freundinnen, hatten gerade unser Abitur gemacht und hockten einander an irgendeinem weinseligen Samstagabend gegenüber. Wir hatten seit einigen Jahren Sex, waren alle in unserer ersten oder zweiten Beziehung und tauschten uns gelegentlich darüber aus. Ohne besondere Draufgängermädchen zu sein, schien zeitgleich mit unserem ersten Sex die Vorstellung in uns erwacht zu sein, wir müssten alles ausprobieren, was die Palette sexueller Möglichkeiten mit sich brachte. Wir glaubten, es sei irgendwie wichtig, eine Art innere „Sex an ungewöhnlichen Orten“-Sammlung zu erstellen. Sex im Bett war okay, aber Sex an Orten, an denen man es nicht erwartet, war weitaus bedeutender. Nämlich rebellisch, mutig, heiß und hemmungslos. Wie im Film, wie in verruchten Songtexten, wie im Porno. Was wir uns bei all unserer vermeintlichen Ungeniertheit bisher nicht eingestanden hatten, war, dass die ganze Sache in echt weit weniger aufregend war, als wir uns versprochen hatten.
Rebeccas plumpe Wahrheit über Sex in der Dusche brachte auf den Punkt, was wir uns nicht getraut hatten, auszusprechen. Wir fürchteten zu sehr, dass es nicht an der Sache, sondern an uns lag.
Das Badezimmer war der gemeinsame Nenner unseres Sex-Scheiterns. Wir alle hatten geglaubt, es sei die ungezwungenste Möglichkeit, woanders Sex zu haben: Dort war man es relativ gewohnt, nackt zu sein und dort konnte man absperren. Außerdem war Wasser da und Wasser hatte das Potential, filmreif über ineinander verschlungenen Körper zu perlen. Wir hatten uns vorgestellt, wie unser Rumgemache hin und wieder im Schminkspiegel aufblitzte und sich alles in allem vielleicht ein bisschen nach Lust anfühlte. Die traurige Wahrheit war ein hilfloses Herumglitschen an den Wandkacheln und einige missglückte Versuche des Jungen, uns auf die richtige Höhe zu hieven und gleichzeitig auch noch, naja, zu treffen. In den Spiegel trauten wir uns gar nicht erst zu sehen. Nach einem kleinlauten „Ähm, wollen wir vielleicht doch ins Bett gehen?“ folgte der Walk of Demütigung: ein zähes, nacktes Hinüberwackeln ins Bett, wo man sich nach einem kurzen gutgemeinten, ergebnislosen Rumgefummel irgendwie nutzlos vorkam und es bleiben ließ.
Auf der Liste des hoffnungslos überromantisierten Nicht-Bett-Sex lagern traurig und allein auch die Badewanne, der Strand, das Auto und abertausende andere Sehnsuchtsorte. Sex am Strand, der, wenn man nicht viele Hektar Strand vorsorglich mit Folie und Decken abgedeckt hat, nach spätestens zehn Sekunden zu einer sehr scheurigen Untenrumangelegenheit wird – komische Pieksedünen, die aus dem Boden in den Rücken stechen noch nicht einmal mit eingerechnet. Oder Autosex. Man denkt: „Komm, wir fahren einfach los, so weit wir wollen, irgendwohin, in den Wald, auf eine Klippe oder einen verwilderten Wegesrand und fallen übereinander her“. Wenn man aber nicht gerade einen ausgebauten Kombi mit Matratze hinten drin hat, ist nicht einmal Rummachen drin. Die Mittelkonsole, die schlecht klappbaren Sitze - es gibt keine Fläche, keine Möglichkeit, sich bequem übereinander herzumachen. Und wenn man Pech hat, fährt man sich in irgendeiner blöden Offroad-Schlickkuhle auch noch die Reifen fest.
Nach dieser Erkenntnis waren wir uns sicher, dass es erst Recht niemanden geben konnte, der im Taxi Sex gehabt hatte. Und wir fragten uns, wo diese Leuten waren, die angeblich auf Flugzeugtoiletten Sex hatten. Oder auf Zugtoiletten.
Hoffnungslos romantisiert werden auch die Spuren von Sex, stellten wir fest. Die blauen Flecken, die Schrammen, die aufgescheuerten Knie, Schulterblätter, die Blasenentzündungen. Man ist geneigt, von ihnen zu sprechen wie von Heldennarben nach einem Abenteuertrip. Solchen, wo der Held dann sagt: „Boah, ich muss so vollgepumpt gewesen sein von den ganzen Endorphinen, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie mir die sibirische Kletterdornranke den halben Unterarm aufgerissen hat.“ In Wahrheit, dachten wir, waren Sexwunden meistens Blessuren einer eher enttäuschenden Angelegenheit. Und an den hart-scheuernden Badvorleger erinnert man sich auch besser, als einem lieb ist.
Sex ist nicht automatisch guter Sex, nur weil er außerhalb des Bettes praktiziert wird. Und Sex ist auch nicht automatisch gut, nur weil er besonders oft und in kurzen Abständen stattfindet und besonders viele Wunden hinterlässt. Sex ist gut, wenn er für beide bequem ist, wenn beiden warm ist und sie sich über dem, was sie tun, völlig vergessen können. Manchmal, ganz manchmal, wenn man es überhaupt nicht erzwingt und es ganz ehrlich einfach so passiert, dann kann das auch auf dem Küchentisch, dem Sofa oder der Fensterbank, meinetwegen auf dem Balkongeländer sein. Dann können blauen Flecken oder kleine Kratzer am Rücken auch ausnahmsweise zu heimlichen Spuren einer hübschen Leidenschaft werden.
Die schnöde Wahrheit ist, dass all das trotzdem eher selten passiert. Am besten, am gemütlichsten und am heißesten geht Sex eben immer noch im Bett - und nicht in einer abnormal verrenkten Position mit der Wange auf einer kalten Kachel und dem Blick auf dem verchromten Wasserzulauf einer Badewanne.