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Ein Fest für Liebeskummer

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Weihnachten ist grausam, wenn man verliebt ist. 1. Weil du alle familiären Peinlichkeiten plötzlich mit doppelter Scham ertragen musst. Dieses animalische Schlingen, mit dem deine Schwester die Suppe löffelt, die fragwürdigen Witze, die dein Vater nach dem Essen macht und die sorgende Strenge, mit der deine Mutter dich ausfragt, erscheinen noch unerträglicher, wenn die Gedanken nicht von der einen Personen weichen. Von dieser einen, dieser wunderbaren Person, die eben nicht dabei ist. 2. Sie ist nicht dabei, wenn du in der Kirche sitzt, wenn du die Großeltern besuchst, wenn du dich aufs Klo schleichst um durchzuatmen, wenn du die Geschenke auspackst, dich mit deinen Freunden verabredest. Und sie ist auch nicht dabei, wenn du ermattet ins Bett steigst. 3. Was aber immer dabei ist, ist die Angst, dass diese eine, diese wunderbare Person es besser hat: wenn sie in der Kirche sitzt, die Großeltern besucht, sich nicht aufs Klo schleichen muss, super Geschenke auspackt, sich mit Freunden verabredet und gut gelaunt ins Bett steigt. Ohne dich. 4. Wenn dann am zweiten Weihnachtstag die ganze Familie zusammen kommt, also auch die entfernten Cousinen und der angeheiratete Schwager vom Land, bündelt sich der Liebesschmerz am späten Nachmittag bei einem Weinbrand, den der schnauzbärtige Onkel geschenkt und direkt zum gemeinsamen Verzehr ausgegeben hat. Während der angeheiterte Schwager vom Lande sich in Rage trinkt, kommst du in sein Schussfeld: „Und, was macht die Liebe?“ fragt er kumpelhaft. „Was meilenweit Besseres als ich hier“, denkst du und antwortest so kraftvoll es geht: „Muss ja.“ Dann denkst du wieder lange und qualvoll an diese eine, diese wunderbare Person. 5. Wertlos erscheint dir dein Leben ohne diese eine, diese wunderbare Person. Das ist schon an den normalen Tagen im Jahr schlimm. An den vermeintlich besonderen ist es unerträglich: Wenn das hier ein besonderes Datum sein soll, dann ist es lediglich besonders schlimm. Weihnachten ist ein wunderbares Fest, wenn man sich entliebt 1. Ja, es ist vorbei. Ihr habt euch getrennt. Aber was soll’s? Diese Leute hier bleiben dir erhalten. Und mal im Ernst: es ist doch ganz charmant, wie lässig deine Schwester ihre Suppe löffelt und dein Vater macht zwar doofe Witze, aber irgendwie magst du ihn doch dafür. Dass deine Mutter einfach nicht locker lässt, liegt eigentlich nur daran, dass sie dich mag, das merkst du plötzlich. Und zwar so wie du bist – und nicht so wie diese ehemals wunderbare Person es wollte. Und ja, natürlich nimmst du noch einen Teller Suppe. 2. Überhaupt, wie schön diese Kirche bei dir im Ort ist. Und Omi und Opi sind in diesem Jahr irgendwie so nett, dass dir sogar ihre Geschenke gefallen. Später triffst du deine Freunde und bist plötzlich glücklich, sie schon so lange zu kennen. So glücklich, dass du voller freundschaftlicher Geborgenheit, aber zum Glück allein, einschläfst. 3. Wäre ja noch schöner, wenn du dieses kleine familiäre Glück, das du dir jahrlang aufgebaut hast, mit einer fremden Person teilen müsstest. Gut, dass du deine Eltern und deine Schwester endlich mal ganz in Ruhe sehen kannst, ohne, dass du dauernd die SMS von dieser einen Personen beantworten oder ihr dringend versichern musst, wie sehr du sie liebst. 4. Wenn dann am zweiten Weihnachtstag die ganze Familie zusammenkommt, also auch die entfernten Cousinen und der angeheiratete Schwager vom Land, bündelt sich die Freude über die Trennung am späten Nachmittag bei einem Weinbrand, den der schnauzbärtige Onkel geschenkt und direkt zum gemeinsamen Verzehr ausgegeben hat. Während der angeheiterte Schwager vom Lande sich in Rage trinkt, kommt dein großer Auftritt: „Und, was macht die Liebe?“ fragt er kumpelhaft. „Was meilenweit Besseres als letztes Jahr“, sagst du und denkst so kraftvoll es geht: „Der blöde Sack“ oder „die doofe Kuh“. 5. Wertlos erschien dir dein Leben ohne diese eine, diese vormals wunderbare Person. Das war schlimm damals, so alleine. Heute bist du froh darum. Froh endlich bei den Leuten zu sein, die du tatsächlich magst. Prost Onkel! Illustration: dirk-schmidt

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