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Die Sexkritik. Heute: Laue Lippenbekenntnisse
Liebe Jungs, nichts gegen Komplimente, im Gegenteil! Nur gegen dieses eine würden wir gerne Einspruch erheben. Denn das Heirats-Kompliment ist unter den zweischneidigen Komplimenten vielleicht das am schärfsten geschliffene. Da gibt es zum Beispiel die langjährigen männlichen Freunde, die – wenn sie gerade mal seit zwei Minuten wieder Single sind – vor der Wohnungstür stehen, ganz traurig aus ihren Augen rausschauen und, sobald man die Türe hinter ihnen geschlossen und ihnen warme Socken angeboten hat, ihre Herzscheiße abladen (Jungs wissen ja ganz allgemein und so rein instinktiv sehr gut, wo sie ihre halbjährlich benötigten Emo-Momente veranstalten können), um dann mit den epischen Worten zu enden: „Und überhaupt – wenn ich überhaupt irgendwann mal heirate, dann sowieso nur dich.“ Ja, danke.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Beim ersten Mal wird man da als Kompliments-Empfängerin vielleicht noch hübsch jungfräulich rot an den Wangen und denkt ganz verwirrt, dass sich gerade eben die Freundschafts-Matrix gefährlich in Richtung „kompliziert“ verschoben hätte. Aber mit der Zeit – und dieses Kompliment taucht im Leben jedes Mädchens mehrmals auf – kommt man auf den Trichter, dass es kein zwischengeschlechtliches Kompliment gibt, das beziehungsmäßig weniger bedeutet, als dieses.
Und spätestens nach dem dritten Mal reagiert man als Mädchen nur noch leicht gereizt, wenn wieder mal ein Junge ankommt und meint, einem damit eine Nettigkeit mitgeteilt zu haben.
Denn ganz offensichtlich handelt es sich dabei nicht um einen ernstgemeinten Heiratsantrag. Ja, noch nicht einmal um einen unernst gemeinten. Vielleicht wollen die langjährigen Jungs-Freunde damit signalisieren, dass sie die Zeit und den Aufwand, die man aufbringt, um sie mental und körperlich aufzupäppeln, durchaus zu schätzen wissen. Und weil sie es nicht über sich bringen, einfach nur „danke“ zu sagen, flapsen sie eben den Satz raus.
„Zum Heiraten sein“, das heißt für sie offensichtlich, dass man als Mädchen in dem Moment gerade sehr viele stereotype weibliche Eigenschaften auf sich vereint – mütterlich sein, geduldig, weich, nicht anstrengend, verständnisvoll, nett… und erotisch komplett uninteressant. Dabei hat man mitunter das Gefühl, wie auf einem Viehmarkt inspiziert, für prinzipiell gut genug gefunden worden zu sein, um am Strick nach Hause geführt zu werden – möglicherweise, in ein paar Jahren, sollte es zu einer Dürreperiode kommen.
Ebenso schwierig ist das Heirats-Kompliment auch dann, wenn es aus dem Mund eines Jungen kommt, den man gerade erst zwei Drinks lang kennt. Der Satz fällt meist dann, wenn man gerade erzählt hat, dass man im vergangenen Herbst alle Achttausender bestiegen hat, oder sämtliche Singles des Labels Stax besitzt. In diesem Fall soll der Satz „Dich würde ich vom Fleck weg heiraten“ leicht linkische Bewunderung ausdrücken, aber durchaus auch signalisieren: „du und ich – wir passen sehr gut aufgrund unserer jeweiligen Großartigkeit zusammen.“
Und dann gibt es noch die ganz seltenen Fälle, in denen das Heiratskompliment etwas ganz anderes bedeuten soll. Da wird der Satz zum Platzhalter für Ungesagtes, wenn das direkte Kompliment fehl am Platze wäre, weil man in einer festen Beziehung ist und der oder die andere auch. Und man trotzdem gerade gerne sagen würde, wie toll man den anderen findet, ohne gleich unter Betrugsverdacht zu stehen. Dann sagt man ein bisschen uninspiriert "Dich würde ich auch heiraten!" und hat das dann auch erledigt.
P.S.: Und was ist mit all den Mädchen, die den doofen Satz sagen? Für die gilt ebenso: besser bleiben lassen. Genauso, wie die jährlich erneuerten weinseligen Versprechen, die wir alle heiligen Zeiten mit unserer besten Freundin erneuern "Wenn wir bis zu unserem 35. Geburtstag niemanden gefunden haben, dann heiraten wir uns halt gegenseitig, kann man ja jetzt."
Text: penni-dreyer - Foto: photocase/misterQM