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Nackte Penisse in der Öffentlichkeit: Erlebnisse aus der Redaktion
Trigger-Warnung: In diesem Text geht es um nackte Penisse in der Öffentlichkeit und damit verbunden auch um sexualisierte Belästigung.
Mit fremden Penissen müssen sich Frauen nicht nur in Form von Dick-Pics auseinandersetzen. Auch in der ganz realen Öffentlichkeit werden viele Frauen – und auch junge Mädchen – immer wieder mit männlichen Geschlechtsteilen konfrontiert, die sie nicht sehen möchten. Dabei geht es nicht um die Sauna, den FKK-Strand oder jemanden, der sich im Schwimmbad mal schnell umzieht und sich dabei nicht kompliziert in ein Handtuch einwickelt. Sondern um Situationen, in denen Macht missbraucht wird – oder jemand einfach nicht nachdenkt: im Park, in der U-Bahn, auf dem Spielplatz.
Wir haben redaktionsintern ein paar Erlebnisse gesammelt, die uns – teils auch nach vielen Jahren – in Erinnerung geblieben sind. Wie wir die Situationen erlebt haben und wie wir damit umgegangen sind.
Erigiert im Auto
„Ich spazierte am Abend durch München und telefonierte dabei mit einer Freundin. Nichtsahnend schaute ich in ein Auto, das an der Straße parkte, die Fensterscheiben runtergelassen, man hatte also einen guten Blick ins Innere. Darin saß ein junger Mann und hatte sehr gut sichtbar seinen nackten, erigierten Penis in der rechten Hand. Auf dem Smartphone, das er in der linken Hand hielt, lief ein Porno. Der Typ hat einfach seelenruhig im Auto mitten auf der Straße masturbiert. Ich bin einfach nur geschockt weitergelaufen – und hoffe immer noch, dass das keine Kinder gesehen haben. Wie dreist kann man sein?“
Nackt in der Bar
„Ich habe einen Bekannten, dessen Penis ich nicht sehen wollte, der mir seinen Penis aber gezeigt hat. Und das auf nicht besonders diskrete Weise: Wir waren zu sechst in einer belebten Bar, meine vier Freundinnen, mein Bekannter und ich. Wir waren alle schon betrunken, hatten vorher bei mir Zuhause vorgeglüht und Spiele gespielt. In der Bar spielte mein Bekannter dann im Sitzen an seiner Hose herum, stand unvermittelt auf – und legte einfach so, ganz leger, seinen nackten Penis auf dem Tisch ab. Meine Freundinnen und ich waren schockiert und forderten ihn auf, bitte seinen Penis wieder einzupacken. Er hörte nicht auf uns, sondern setzte sich einfach wieder, die Hose noch immer heruntergezogen. Ich stand auf und ging. Ich war entsetzt von diesem Verhalten, gleichzeitig tat er mir irgendwie leid. Denn ich wusste ja: Am nächsten Tag würde er diese Aktion bestimmt bereuen. Ich war seither aber nie wieder mit ihm in einer Bar und habe ihn auch nicht mehr darauf angesprochen. Irgendwie hoffe ich, dass wir alle diesen Moment einfach verdrängen können.“
Masturbierend am Bahnhof
„Mit 21 war ich für mehrere Monate für ein Praktikum in Australien. Eines Abends fuhr ich nach einem beruflichen Termin spät mit der Bahn nach Hause in den Vorort, in dem ich dort lebte. Der Arbeitgeber hatte trotz der späten Stunde das Zahlen eines Taxis für unnötig befunden. Auf dem Weg von der Bahnstation nach Hause sah ich im Halbdunklen einen Mann auf dem Bordstein sitzen. Als ich genauer hinschaute, sah ich im Mondlicht etwas Helles aus seiner Hose ragen – seinen Penis, den er gerade eifrig rubbelte und mich dabei angrinste. Weit und breit war außer mir niemand auf der Straße. Ich bekam Panik und rannte sofort los nach Hause, ich traute mich nicht einmal, mich umzusehen, ob er mir überhaupt folgte.
Als ich völlig aufgelöst bei meiner damaligen Gastmutter ankam, riet diese mir, am kommenden Tag Anzeige zu erstatten, einfach für das Gefühl, etwas getan zu haben. Prinzipiell hatte sie natürlich damit recht, allerdings war der Prozess des Anzeigens nicht gerade empowernd. Zunächst musste ich dem Polizeibeamten in einer Art Wartesaal vor allen dort wartenden Leuten erzählen, was mir widerfahren war. Schnell hörte ich die Leute hinter mir tuscheln, „the German girl got raped“, was ja nicht stimmte. Ich erklärte also mehrfach nein, nein, keine Vergewaltigung, der Typ habe „einfach nur gewichst“. Erleichterung im Warteraum. Gleichzeitig dann aber die Frage des Polizisten: Wo denn dann das Problem sei? Er habe mich ja nicht einmal berührt, gefolgt sei er mir auch nicht, was ich denn jetzt wolle? Rückblickend bin ich sehr stolz, dass ich trotzdem darauf beharrt habe, Anzeige zu erstatten – weil es eben einfach nicht okay sein sollte, dass Männer vor jungen Frauen masturbieren und das alle unproblematisch finden, solange man nicht vergewaltigt wurde. Gefunden haben sie den Typen natürlich nie – insofern sie überhaupt nach ihm gesucht haben.“
Loch in der Hose
„Meine Schwester und ich fuhren vor zwei Jahren mit der U-Bahn durch Berlin, uns gegenüber saß ein älterer Typ. Wir beachteten ihn gar nicht, bis ich bemerkte, dass er uns komisch grinsend anschaute. Und checkte: Im Schritt seiner Jeans war ein Loch, Unterwäsche trug er keine, dafür spielte er mitten in der U-Bahn an seinem Penis rum. Bis heute kann ich mir dieses Bild genau vor Augen führen. Ich war so geschockt, dass ich meine Schwester nur wegziehen konnte und irgendwas gesagt hab, das aber niemand weiter beachtet hat – der Typ schon gar nicht. Bis heute ärgere ich mich, dass ich nicht lauter war oder die Polizei gerufen habe. Es ist richtig übel, wie hilflos ich mich in dem Moment gefühlt habe, obwohl wir ja von Menschen umgeben waren.“
Der Dödel-Express
„Ski-Fahrt, 7. Klasse. Mein Mitschüler, nennen wir ihn Marius, hatte eine neue Lieblingsbeschäftigung. In den skifreien Stunden hielt er sich im Aufzug der Jugendherberge auf. Seine Mission: Jedes Mal, wenn jemand den Aufzug betrat (abgesehen von Lehrer*innen) und die Tür sich schloss, rief Marius ganz laut und voller Begeisterung: ,Dödel-Express’! Zack. Hose runter, Penis raus, ein bisschen damit rumwedeln, großes Gelächter. Marius war geradezu penisfixiert und einer der Initiatoren des sogenannten ,Penis-Spiels‘ in unserer Klasse: Eine Art Mutprobe, bei der es darum ging, wer sich traute, am lautesten „Penis“ zu rufen (ja, wirklich). Er malte sie einfach überall hin, auf Tische, Wände, in Hausaufgabenhefte. Marius hat, soweit ich mich erinnere, für seinen ,Dödel-Express‘ auch keine Probleme bekommen. Es wurde von den meisten belächelt. Von der Ski-Fahrt geflogen ist er dann, weil er sich mit irgendeinem anderen Typen geprügelt hat. What a man.“
Entblößung im Busch
„Wer in München seine Teenagerjahre verbracht hat, weiß, dass es im Sommer eigentlich wenig Schöneres und Lustigeres gibt, als mit Freund*innen in der Nähe vom Flaucher an der Isar zu grillen und, während aus der Boombox Scooter ballert, ein bisschen Wodka-Cola zu süffeln. Einziges Problem: Am etwa vier Kilometer langen, für diese Aktivitäten präferierten Isar-Ufer-Abschnitt stehen genau zwei Dixie-Klos, und die sind ziemlich eklig. Das Party-willige Münchner Kindl verzieht sich darum mit dem Einbruch der Dämmerung in die bewaldeten Grünflächen zurück, um sein Geschäft zu verrichten.
So auch ich, jahrelang, zig Male, nie habe ich mich dabei auch nur im Ansatz unwohl gefühlt. Bis zu diesem einen Moment: Mit etwa 19 Jahren hockte ich dort so gemütlich zwischen Farnen – und checkte plötzlich, dass links hinter mir, etwa zehn Meter entfernt, ein mittelalter Typ stand und mich beobachtete. Und dabei masturbierte. Wir haben uns ungefähr zwei Sekunden in die Augen geschaut, bis es in meinem Kopf klickte, ich aufsprang, mir im Rennen versuchte, die Hose hochzuziehen, und durch die Böschung Richtung Ufer preschte. Vielleicht hatte ich den Typen erschreckt, weil ich ihn entdeckt hatte, vielleicht wollte er sich nur einen miesen Scherz erlauben, vielleicht hatte er Schlimmeres vor. Auf jeden Fall rannte er ein paar Meter lang hinter mir her. Ich hatte eine tierische Angst. Erst, als ich zufällig auf einen Weg und damit andere Menschen stieß, verschwand der Typ plötzlich wieder in den dunklen Büschen. Gemacht habe ich danach nichts. Ich dachte: Wie soll die Polizei irgendeinen Typ finden, den ich nicht richtig gesehen hatte? Und war ich vielleicht sogar selbst schuld, weil ich in der ,Öffentlichkeit‘ aufs Klo gegangen war? Natürlich ist das Quatsch. Gedacht habe ich das trotzdem.“
Auf dem Kinderspielplatz
„Ich war noch in der Grundschule, als ich das erste Mal einen Penis in der Öffentlichkeit sehen musste. Meine Familie war gemeinsam mit Freund*innen und deren Kindern in einem Restaurant um die Ecke. Es war Sommer und wir Kinder hatten keine Lust, geduldig am Tisch auf Currywurst und Pommes zu warten. Deshalb durften wir draußen vor der Tür spielen. Dort saß dann ein Typ auf dem Boden, der uns beobachtete. Er trug einen langen Mantel. Irgendwann machte er den Mantel auf und holte etwas aus seiner Hose, um es uns zu zeigen – seinen Penis. Wir alle haben sofort verstanden, dass das nicht normal ist, sind reingelaufen und haben den Erwachsenen davon erzählt. Als sie zu der Stelle kamen, war der Typ aber schon weg. In den nächsten Wochen haben unsere Eltern uns sehr genau aufgeklärt über Ex-hi-bi-ti-o-nis-mus. Ein schwieriges Wort, ich konnte es mir zu Anfang kaum merken.
Meine Eltern und die andere Familie haben Anzeige erstattet. Ich weiß noch, wie anstrengend es für mich war, mich zu erinnern, als ich zu dem Vorfall befragt wurde und das Phantom-Bild gezeichnet werden sollte. War das wirklich ein Penis gewesen? Hatte der Typ wirklich einen Mantel an? Waren die Augen braun oder blau? Es war alles so schnell gegangen. Aber die anderen hatten es ja auch gesehen, es musste also stimmen. Heute glaube ich, dass mir das Anzeige-Erstatten dabei geholfen hat, das Erlebnis zu verarbeiten. Ich bekam das Gefühl, dass man mir glaubt, obwohl ich mir zwischenzeitlich sogar unsicher war und schon mit der Verdrängung begonnen hatte. Weniger schwer als das Erinnern fiel es mir, darüber zu sprechen. In der Grundschule habe ich zum Verwundern meiner Lehrerin scheinbar leichtfertig von dem Vorfall erzählt. Und den anderen Kindern erklärt, was ,Ex-hi-bi-ti-o-nis-mus‘ bedeutet.“
Hinweis der Redaktion:
Betroffene können gegen sexuelle Belästigung vorgehen, zum Beispiel durch eine Anzeige bei der zuständigen Polizeidienststelle. Für Betroffene sexualisierter Gewalt gibt es zudem Beratungsstellen. Immer erreichbar ist zum Beispiel das bundesweite Hilfetelefon. Das Hilfetelefon ist rund um die Uhr unter der Nummer 08000 116 016 kostenlos, auf Wunsch anonym und über die Internetseite auch mit Gebärdendolmetschung erreichbar.