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Über das Märchen von der ausgeleierten Vagina

Illustration: Daniela Rudolf

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Meine erste Schwangerschaft verlebte ich in völliger Euphorie angesichts der Dinge, die da aus mir rauskommen sollten. Bis ein Freund, der kürzlich selbst Vater geworden war, mit mir ein ernstes Wörtchen über die zu erwartenden Veränderungen redete: „Dass du deinen alten Körper zurückbekommst, eine totale Illusion. Die Brüste werden nie wieder so fest wie früher, und untenrum bist du dann auch nicht mehr so eng.” Ich weiß noch genau, wie mich das verwunderte. Genau genommen war es seine Enttäuschung angesichts all dessen, was dem Körper seiner Freundin widerfahren war, die ich nicht recht begreifen konnte. Dabei hingen ihre Brüste ja wohl kaum bis zum Bauchnabel, und zwischen ihren Beinen wird sich auch kein Loch von der Größe eines Fußballstadions aufgetan haben. Sie hatte halt ein Kind bekommen, meine Güte. Klar war sie nicht mehr so eng wie vorher. Nun aber fragte ich mich ernsthaft: War ich zu unbedarft an die Sache rangegangen? Würde mein Freund in Kürze auch so von mir sprechen? Würde ich ihm bald zu weit, zu ausgeleiert sein?

„Für befriedigenden Sex muss die Vagina einer Frau möglichst eng sein”, das sagen immerhin 45 Prozent der Männer und 32 Prozent der Frauen, so die 2017 vom Meinungsforschungsinstitut YouGov veröffentlichte Publikation „Wir Deutschen und die Liebe”. Umgekehrt finden 25 Prozent der Männer und 22 Prozent der Frauen, dass ein Penis zu diesem Zweck möglichst groß sein sollte. Wenn es also zu wenig Reibung zwischen den Geschlechtern gibt, verorten mehr Menschen das Problem bei der Frau als beim Mann. Und tatsächlich: Mir ist noch nie eine Frau untergekommen, die eine geringe Penisgröße als wirklich problematisch erachtet hätte. Im Gegenzug aber immer wieder Männer, die sich abschätzig über ausgeleierte Vaginen äußern – übrigens vor allem im Kontext mit der Anzahl der Sexualpartner, die besagte Frauen angeblich gehabt hätten. Und im Porno weichen die Typen auf der Suche nach Enge eh gern auf Analsex aus.

Dabei ist die Idee, eine Vagina würde von zu viel Sex zum berühmten Senfglas mutieren, in dem der Penis sich dann wie ein Würstchen verhält (ich sage nur „Lost-Penis-Syndrom”), völliger Blödsinn. Ganz im Gegenteil: Sex und die dazugehörigen Orgasmen trainieren die Beckenbodenmuskulatur, so dass die Vagina der überaktiven Frau im Zweifel sogar enger ist als die der keuschen. Letztendlich sind es nämlich die Beckenbodenmuskeln, die zusammen mit dem individuellen Körperbau über Enge und Weite bestimmen.

Ist man ohnehin schmal gebaut und sind die Muskeln fit, fühlt sich die Vagina enger an als wenn die Natur einen untenrum etwas weiter gebaut hat und die Muskeln außerdem erschlafft sind – was im Übrigen völlig normal ist, wenn eine Frau ein Kind zur Welt gebracht hat. Wenn die Muskeln sich nicht weiten würden, bliebe die Fracht auf halbem Wege stecken. Deswegen verordnet einem schließlich selbst die knauserigste Krankenkasse postpartale Rückbildungsgymnastik. Aber nicht, damit sich alles wieder jungfräulich anfühlt, sondern aus medizinischen Gründen: Ein geschwächter Beckenboden lässt nicht nur oft die Blase tröpfeln, sondern hält auch irgendwann die inneren Organe nicht mehr an ihrem Platz. Genau so eng wie früher bekommt man seine Vagina aber in den seltensten Fällen wieder trainiert, denn das Becken weitet sich naturgemäß nun mal mit.

Weil es aber offenbar bestimmte Kriterien gibt, die eine „gute” Vagina erfüllen muss, haben sich die Mediziner ein paar Tricks ausgedacht. Da gibt es zum Beispiel den sogenannten „Husband-Stitch”: Reißt das Dammgewebe einer Frau bei der Geburt ein oder wird es eingeschnitten, muss es hinterher wieder vernäht werden. Ärzte, die es besonders gut mit dem Gatten meinen, machen dann gern ein, zwei Stiche mehr, als medizinisch notwendig wäre, damit der Vaginaleingang sich wieder schön eng anfühlt. Was erstens völliger Quatsch ist, weil die Vagina insgesamt davon ja nicht enger wird. Und zweitens ein körperlicher Übergriff, weil die betroffene Frau in den allermeisten Fällen nicht mal gefragt wird, ob sie das überhaupt will – ganz zu schweigen von den Folgen wie beispielsweise Schmerzen beim Sex. Wie oft Papa tatsächlich dieses „Geschenk” gemacht bekommt, ist bislang nicht dokumentiert. Betroffene Frauen erzählen aber immer in Mütter-Foren wieder davon.

Andere Möglichkeiten, (wieder) schön straff zu werden, bietet die plastische Chirurgie. Hyaluron zum Beispiel kann man nicht nur fürs Gesicht benutzen. In die Vaginalwände gespritzt, polstert es auch hier auf. Das allerdings muss regelmäßig wiederholt werden. Wer hingegen einen bleibenden Effekt will, bucht gleich die operative Vaginalstraffung (oder -verjüngung). Laut der International Society of Plastic Surgery machten das im Jahr 2016 weltweit über 55.000 Frauen, davon mehr als 1000 deutsche. Sicher, es gibt medizinische Indikationen für solche Operationen. Wenn sich Gebärmutter oder Blase gesenkt haben, zum Beispiel. Bei Operationen aus „ästhetischen” Gründen hingegen geht es darum, dass der Partner beim Sex mehr spürt – auch wenn Frauen solche Entscheidungen (auch sich selbst gegenüber) gern als freiwillige verkaufen. Sie sind zu weit, also müssen sie das Problem auch lösen.

Aber was für ein Problem eigentlich? Als ob guter Sex nur aus genitaler Reibung beim Rein-Raus-Spiel bestehen würde. Dabei gibt es daneben doch immer noch Oralsex und Streicheln und weiß der Teufel was alles noch. Intensive Gefühle bei der Penetration sind schön und gut, aber sie sind nicht das Alpha und das Omega einer erfüllten Sexualität. Sonst würde lesbischen Frauen zum Beispiel eindeutig etwas fehlen – doch ganz im Gegenteil haben die sogar mehr Orgasmen als ihre Hetero-Geschlechtsgenossinnen. Und letztendlich sind gegenseitige Anziehung und Geilheit sowieso das Wichtigste für eine gelungene Kopulation. Da kann man noch so einen kleinen Penis und noch so eine große Vagina haben: Wenn's passt, dann passt's halt.

Inzwischen habe ich übrigens noch zwei weitere Kinder bekommen, und natürlich hat das meine Vagina verändert. Genau so wie es meinen Bauch und meine Brüste verändert hat – und überhaupt mein ganzes Leben. Wer mit mir schläft, schläft mit einer Mutter, und nicht mit einer Sechzehnjährigen. Und das ist gut so.

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