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Vergesst den Mythos vom vaginalen Orgasmus!

Illustration: Daniela Rudolf

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Wir sind die aufgeklärteste Generation, die es je gab. Unser Wissen über weibliche Sexualität wird jedoch noch immer von Gerüchten, Mythen und Klischees bestimmt. Es wird Zeit aufzuräumen, findet unsere Autorin. Und schreibt deshalb die „Untenrum“-Kolumne. 

„Was, du kannst das nicht?“ Der Typ war enttäuscht. Ich war inzwischen zig Mal gekommen, aber nicht ein einziges Mal während der Penetration. „Alle, mit denen ich bisher was hatte, kamen beim Sex“, setzte er hinzu.

Was für ein schizophrener Moment: Einerseits wollte ich lachen, denn mir selbst waren in meinem ganzen Leben vielleicht drei, vier Frauen begegnet, die vaginale Orgasmen hatten. Außerdem waren mir zahlreiche Studien bekannt, die nachgewiesen haben, dass nur 25 bis 30 Prozent aller Frauen allein durch Rein-Raus zum Höhepunkt kommen. Empirisch betrachtet konnte es also gar nicht möglich sein, was er sagte. Andererseits stellte ich mich augenblicklich selbst in Frage: Was, wenn tatsächlich mit mir irgendetwas nicht stimmte?

Ich bin nicht allein mit meinem (zumindest zeitweiligen) Unbehagen, was meine sexuellen Fähigkeiten angeht. Ganze Bücher handeln davon, man kann Workshops buchen und natürlich auch das Internet konsultieren: Wie bekomme ich endlich diesen verdammten vaginalen Orgasmus? Die Experten überschlagen sich vor lauter Tipps: Da werden Stellungen empfohlen und regelmäßige Beckenbodengymnastik, Klitorisstimulation verboten oder zumindest rationiert und natürlich: üben, üben, üben! Wenn man sich das alles so durchliest, könnte man glatt vergessen, dass Sex ursprünglich mal eine Sache war, die Spaß machen sollte.

Die Mehrheit aller Frauen wird den Penetrations-Orgasmus nie erreichen

Klar lässt sich das Ganze mit viel gutem Willen unter „sexueller Selbstentwicklung“ verbuchen, und Beckenbodenübungen sind an sich eine super Sache. Doch der eigentliche Haken bei dieser Geschichte: Die Mehrheit aller Frauen wird den Penetrations-Orgasmus nie erreichen. Denn Studien haben gezeigt, dass es dafür vor allem besondere anatomische Voraussetzungen braucht – eine größere Klitorisperle und einen kürzeren Abstand zwischen Klitoris und Vaginaleingang. Steckt der Penis nun in einem so gearteten Genital, kann er besonders leicht die Klitoris stimulieren, und Peng, die Frau kommt ganz ohne helping hands. Damit haben Wissenschaftler aber nur nachgewiesen, was schon lange vermutet wurde. Die französische Psychoanalytikerin Marie Bonaparte (1882 – 1962) legte sich zum Beispiel schon vor einer ganzen Weile unter's Messer, um ihre Perle nach hinten versetzen zu lassen. Leider konnte sie das nicht von ihrer „Frigidität“ kurieren. Oder vielleicht zum Glück. Schließlich wird auch so schon im Namen der Lust genug an weiblichen Genitalien herumgeschnippelt.

Moment, die Klitoris? Was ist denn mit der Vagina? Tja, die ist an sich relativ unempfindlich. Auch während der Penetration ist es wieder die Klitoris, die mit ihren rund 8000 Nervenenden (mehr als jede andere Stelle unseres Körpers), für Spaß sorgt. In Wirklichkeit ist sie nämlich weit mehr als dieses kleine Knöpfchen zwischen unseren Beinen, als das sie uns in den meisten Aufklärungsbüchern verkauft wird. Wie ein umgekehrtes Ypsilon ragt sie mit ihren beiden bis zu zwölf Zentimeter langen Schenkeln in die Vagina hinein, wo sie bei Erregung anschwillt (manchmal sogar bis auf ihre doppelte Größe!) und für Lustempfinden sorgt. Auch der sagenumwitterte G-Punkt, eine rauhe Stelle auf der Vorderseite der Vaginalwand, wird übrigens teilweise von den Klitorisschenkeln durchlaufen.

Wo kämen wir denn da hin, wenn wir zugeben würden, dass der Penis nicht ausreicht?

Wenn man aber eh schon ahnt, dass das mit dem Penetrations-Orgasmus bei manchen Frauen geht und bei anderen eben nicht, und ein Orgasmus genau so gut ist wie der andere – warum dann dieses ganze Gewese? Tja, kollektive Mythen halten sich eben hartnäckig. Erst recht, wenn es um Penisse und Vaginas geht. Es war Sigmund Freud, der den vaginalen Orgasmus für „in“ und den klitoralen für „out“ erklärte. Hatten die Ärzte vorher noch klitorale Stimulation während des Geschlechtsakts empfohlen, weil sie der Meinung waren, der Höhepunkt der Frau begünstige eine Schwangerschaft, entschied Freud, der klitorale Orgasmus sei der Orgasmus der Unreife. Einer echten, reifen Frau hingegen reiche ein Penis völlig zu ihrem Glück. Wen der nicht beglückte, galt als frigide – was übrigens noch heute ein 1-A-Schimpfwort darstellt.

Wir halten an diesem Märchen nicht nur fest, weil Freud bis heute als angesehener Wissenschaftler gilt. Es zementiert auch ein für eine gewisse Seite bequemes Rollenverständnis: Wenn die Frau beim Sex nicht kommt, liegt es halt an ihr. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir zugeben würden, dass der Penis nicht ausreicht? Und so fühlen sich Frauen bis heute einfach selbst nicht ausreichend.

Und weil ich darauf keinen Bock mehr hatte, habe ich dem Typ schließlich vorgerechnet, dass seine Quote nicht aufgehen kann. Mindestens zwei Drittel seiner Sexpartnerinnen mussten nicht gewusst haben, was ein Orgasmus ist, oder ihn vorgetäuscht haben. Da war er dann ganz still. Endlich.

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