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„Sich selbst erkunden – ich weiß, das klingt so stulle“

Foto: Marco Christian Krenn

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Theresa Lachner, 30, Journalistin und Gründerin des größten deutschsprachigen Sexblogs Lvstprinzip, befindet sich gerade in der Ausbildung zur Sexualberaterin. Sie hat für uns die Protokolle der drei jungen Frauen gelesen, die von ihren sexuellen Problemen erzählen, und jeweils Möglichkeiten und Wege beschrieben, mit denen sich diese weit verbreiteten sexuellen Probleme behandeln lassen.

jetzt.de: Theresa, du betreibst mit Lvstprinzip einen der erfolgreichsten deutschsprachigen Blogs zum Thema Sexualität – warum hast du den gestartet?

Theresa Lachner: Angefangen hat alles mit einem Praktikum während meines Publizistik-Studiums in Wien. Ich wollte unbedingt nach Berlin und habe einen Praktikumsplatz bei einem erotischen Kulturmagazin bekommen. Kaum war ich da, habe ich schon Pornos geschaut und darüber geschrieben – und dabei gemerkt, dass ich damit kein Problem habe. Viele Journalisten haben da Hemmungen, denen geht das Thema irgendwie zu nahe. Nach dem Praktikum habe ich dann ein paar Jahren den Blog des Magazins betreut und wurde irgendwie zur Sex-Journalistin in den deutschsprachigen Medien. Aber als Journalistin bist du schon immer eingeschränkt – viele Themen können nicht gemacht werden, weil das die Zielgruppe angeblich nicht will oder die Anzeigenkunden. Gleichzeitig ist mir kein Blog zu dem Thema eingefallen, den ich gerne gelesen hätte und dann dachte ich mir: Okay, dann muss ich das jetzt machen. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich mit dem Blog solche offenen Türen einlaufen würde!

Was sind die immer wiederkehrenden Fragen deiner Leser? Gibt es so etwas wie die typisch deutschen Sex-Probleme?

Eigentlich ist es immer die eine Frage und die lautet: „Bin ich normal?“ Um es gleich zu sagen: Meist lautet die Antwort „Ja“!

Von Männern kommen tendenziell eher technische Detail-Fragen. Ich habe das Gefühl, viele Männer denken, sie bräuchten nur den einen, geilen Ninja-Move – und wenn sie den dann im Bett hinlegen, liegt die Frau stöhnend unter ihnen. Frauen dagegen suchen oft nach einem Weg, sich in der eigenen Lust wieder zurecht zu finden.

Hattest du selbst in deiner sexuellen Biografie eine Art Erweckungserlebnis?

Der wichtigste Moment war wahrscheinlich, als ich zum ersten Mal mit jemandem Sex hatte und es einfach nur Sex war. Da war die Erkenntnis schon groß: Ach krass, das geht ja auch! Das war damals enorm wichtig für mich.

Du hast unsere Protokolle gelesen, in denen drei junge Frauen über ihre Probleme mit ihrer Sexualität gesprochen haben. Was war deine erste Reaktion?

Ich habe mich wirklich gefragt, ob da echte Menschen dahinterstecken oder ob das dramatisiert wurde. Wenn ich in meiner kleinen Sex-positiven Bubble arbeite, sind alle so aufgeklärt. Die Realität ist genau das Gegenteil dessen, was uns medial so vermittelt wird, wo alles immer nur höher-schnellergeiler ist und in der jeder 92 coole Stellungen kennt, dazu gibt es genug Studien. Und ich glaube auch, dass alle irgendwelche Probleme haben. Dass es bei jemandem nur super läuft, ist extrem selten. Am liebsten würde ich den drei Frauen ein gutes Toy schenken, sie in den Arm nehmen und ihnen sagen: Das wird schon und es kann noch viel besser werden.

 

Du betonst immer wieder, wie wichtig es für Frauen ist, zu masturbieren. Warum?

Ich glaube wirklich, der Schlüssel zu einer erfüllten Sexualität besteht darin, dass man wirklich bei sich selbst anfängt. Was gefällt mir? Wie fühlt es sich an, wenn ich erregt bin? Was passiert mit meinem Körper? Wie kann ich das kommunizieren? Nur wenn man weiß, was sich gut anfühlt, kann man das auch in eine Situation mit dem Partner übersetzen.

 

Gehen Männer mit dem Thema anders um?

Ich glaube, für die ist das eher eine Selbstverständlichkeit. Die holen sich erst einen runter und dann putzen sie sich die Zähne – beides ist für sie eine Art persönliche Hygienemaßnahme. Laut einer Umfrage von YouGov masturbieren 86 Prozent aller Männer, aber nur 70 Prozent aller Frauen regelmäßig, und Männer tun es auch wesentlich häufiger als Frauen – nämlich beinahe jeden zweiten Tag, Frauen häufig nur einmal pro Woche. 

Ich finde, Frauen sollten anerkennen, dass Masturbieren guttut und entspannt. Es kann total Spaß machen, wenn man sich Zeit nimmt und zum Beispiel vornimmt: Heute zwischen 19 und 19:40 Uhr mach ich das Handy aus und dann schaue ich, was geht. Mit Anfang 20 hat man natürlich nicht so viel Geld, sich für 120 Euro ein super Toy zu kaufen. Aber es gibt schon für 40 Euro brauchbare Sachen. Ganz wichtig bei der Auswahl ist nur, dass man keines benutzt, das schädliche Stoffe wie Weichmacher enthält, die können nämlich krebserregend sein. Grundsätzlich sind glatte Materialien oft besser als Weiche, etwa Silikon, Holz oder Glas. Wenn das Toy wie ein Schlauchboot riecht, sollte man es gleich wegschmeißen.

 

Weitere Tipps?

Man sollte seine Masturbationstechnik auch mal ändern. Wenn ich mich immer nur klitoral befriedige – dann kann ich schauen was passiert, wenn ich es eine Weile mal nur vaginal mache. Oder wenn Frauen zum Beispiel keinerlei Empfindlichkeit in der Brust haben, dann können sie mal versuchen, drei Wochen lang täglich ihre Brust zu massieren. Dabei kann man auch Nervenbahnen ändern.

 

Die 21-jährige Johanna hat in ihrem Protokoll uns gegenüber beschrieben, wie sehr Selbstbefriedigung für sie mit Scham verbunden ist. Wo kommt das deiner Meinung nach her?

Natürlich kommt so eine Einstellung von den Eltern. Wir lernen alles, egal ob richtig oder falsch, von unseren Eltern. Sexualität ist ein Lebenstrieb. Es ist erwiesen, dass Jungs schon im Mutterleib eine Erektion haben können. Und der Trieb geht so lange weiter, bis wir tot umfallen. Wenn die Eltern das schon so igitt-ekelig finden, wie soll man dann als Kind eine andere Einstellung bekommen? Dass die junge Frau nicht weiß, wie sie mit ihrem Sexualtrieb umgehen soll, ist schlimm und traurig. Aber ich kann mir vorstellen, dass das gar nicht so selten ist. Diese Scham und dieser Ekel, den sie empfindet, das ist in unserer Kultur verhaftet. Das merkt man schon bei ganz neutralen Bezeichnungen: Frauen haben Schamlippen und einen Schambereich – Jungs dagegen haben ein Gemächt.

 

Was würdest du der jungen Frau empfehlen?

Sie sollte sich eine Frauenärztin suchen, bei der sie sich richtig gut beraten fühlt. Es kann sehr helfen, wenn man ein bisschen Verantwortung abgeben kann und seinen Körper und dessen Funktionen mit jemandem besprechen kann, der einem ganz nüchtern-medizinisch erklärt, dass man ganz normal ist. Sexualität ist nicht nur ein Menschenrecht, sondern auch wichtig und gesund. Was den Ekel vor ihrem eigenen Körper angeht, will ich mir hier keine Ferndiagnose erlauben. Sie sollte auf jeden Fall anfangen, zu hinterfragen, was genau sie an sich selbst so abstoßend findet und warum – vielleicht mit Hilfe eines Therapeuten oder einer Selbsthilfegruppe. Auch da kann die Frauenärztin ihr bestimmt einen Tipp geben. Für alle, die sich nicht trauen, sowas von Angesicht zu Angesicht zu besprechen, gibt's die Onlineberatung von ProFamilia.

 

Hast du einen ganz praktischen Einsteiger-Tipp?

Sich selbst erkunden – ich weiß, das klingt so stulle und steht in jedem bescheuerten Aufklärungsbuch. Aber das ist auch ein Tipp, der für wirklich alle Menschen dieser Welt gilt – und zwar sowohl, was den  eigenen Körper als auch die eigene Psyche angeht. 

 

Ida wiederum hat uns erzählt, dass sie mit 22 noch nie einen Orgasmus hatte. Woran könnte das liegen?

Das ist ein Thema unserer Gesellschaft, weil es da auch viel um Leistung geht. Ich weiß von ganz vielen Männern, die nicht kommen können, besonders, wenn sie mit anderen Menschen Sex haben. Das wäre so der erste Schritt der Anamnese: Bestehen die Orgasmusprobleme nur mit einem Partner oder auch bei der Selbstbefriedigung? Ida schreibt ja, dass sie noch nie zum Höhepunkt gekommen ist, egal ob allein oder mit Partner. Und da würde ich ihr auf jeden Fall raten, bei sich selbst anzufangen und die Verantwortung für ihren Orgasmus nicht an ihren Partner abzugeben. Woher soll er denn wissen, was ihr gefällt, wenn sie es selbst noch nicht herausgefunden hat? 

Ich finde es sehr wichtig, dass man der eigenen Lust eine Wichtigkeit einräumt und auch, dass man einen Partner hat, dem das wichtig ist. Aber es kann auch nicht immer nur um den Orgasmus gehen. Sonst artet es in ein ewiges Abrackern aus. Ideal ist es, wenn man einen Mittelweg findet und sagt: Es ist wichtig, dass es für beide gut ist und Spaß macht. Und dann muss man auch nicht jedes Mal kommen müssen. 

 

Was würdest du ihr empfehlen?

Sie soll es erst mal alleine probieren, dann ist er nicht frustriert und sie nicht enttäuscht. Ich finde es auf jeden Fall super, dass sie nichts vortäuscht. Nur, wenn man es ausspricht, kann es besser werden. Bei ihr kommt noch dazu, dass sie sich kaum entspannen kann, weil sie so auf den Orgasmus hinfiebert. Das merkt man oft körperlich daran, dass man die Luft anhält und dann wird es sicher nichts. Stattdessen sollte sie versuchen in dem Moment, in dem sie Lust spürt, tiefer zu atmen.

 

Nur ein Drittel der Frauen kommen von ausschließlich vaginaler Penetration zum Höhepunkt, das liegt an der Anatomie und hat mir geistiger Reife nichts zu tun. Auch bei diesem Thema hilft es extrem, sich mit der eigenen Lust auseinanderzusetzen: Was mag ich, was regt meine Fantasie an? Es gibt auch gute Pornos. Wenn ich ahne, was mich anmachen könnte, kann ich mich auf die Suche nach einem passenden Video machen. Weil ich die Frage "Kannst du mir einen Porno empfehlen, in dem alle gut aussehen und niemand erniedrigt wird?" schon so oft gehört habe, habe ich ein ganzes Buch dazu geschrieben. 

 

Im dritten Protokoll beschreibt Helen, wie sie sexuell missbraucht wurde. Ist dir das Thema aus deinem Blog bekannt?

Das Thema sexuelle Übergriffe ist so schockierend und triggernd, weil es keine Frau gibt, die noch keine Erfahrung damit gemacht hat. Wenn dir in der U-Bahn an den Hintern gefasst wird und du nichts sagst. Oder wenn jemand einen blöden Witz über dein Dekolletee macht. Oder wenn ich notgeile Leserbriefe bekomme. Ich glaube, es gibt keine Frau, deren Grenzen nicht schon überschritten wurden. Und es ist sehr wichtig zu wissen, wo die Grenze ist. Helen hatte extreme Erlebnisse, das muss man anerkennen. Sie schreibt ja, dass sie aus einem patriarchalischen Elternhaus kommt, vergewaltigt wurde und davor hatte sie einen manipulativen Freund und war schon in mehreren Situationen, in denen ihren Grenzen massiv überschritten wurden.

 

Was würdest du Helen raten?

Ich würde ihr ganz klar empfehlen, ihr Problem in einer Therapie zu besprechen, die Traumatisierungen afzuarbeiten und dort gemeinsam Maßnahen zum Stärken ihres Selbstwerts und zum Abstecken ihrer Grenzen zu entwickeln, damit ihr so etwas hoffentlich nie wieder passiert, sie ihre Sexualität, wie sie selbst schreibt, nicht mehr von Männern bestimmen lässt. Das kann fast nur ein Therapeut schaffen, der sie dahin bringen kann zu sagen: Die Übergriffe waren nicht meine Schuld, ich kann nur versuchen, in Zukunft noch mehr auf mich und meine Bedürfnisse zu achten. Dass sie anerkennt, dass der Täter ein böser Mensch gewesen ist und nicht sie. Es klingt vielleicht banal, aber es ist unheimlich wichtig, erst mal ganz einfach die Schuldfrage zu klären.

 

Es ist gerade nach so einem Erlebnis wichtig, zu lernen, dass dieser eine Mensch böse war, aber dass es nicht nur böse Menschen gibt. Aber ich glaube, um eine Sicherheit zu entwickeln und sehen zu können, wer ihr guttut und wer schlecht für sie ist, braucht sie einen Therapeuten. Wie soll diese junge Frau wissen, was richtig und was falsch ist, wenn ihre erste sexuelle Erfahrung so ausgesehen hat?

 

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