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Syrien: Sex ist in meiner Heimat ein Tabu
Ich finde es schön, wenn ich mein ganzes Gefühl und meinen Körper nur mit einem Mann teile. Ich möchte keine sein, die „leicht zu haben ist“ und will auch nicht nur aus Spaß mit irgendeinem Mann schlafen. Für ein 20-jähriges Mädchen in Deutschland klingt das seltsam. Für mich ist es normal.
Wenn man so wie ich in Syrien aufwächst, bedeutet das: Man weiß nicht viel über Sex. Man hat wenig frei zu entscheiden, vieles hängt stark von Traditionen und Gesellschaft ab. Dort spricht niemand mit Minderjährigen über Sex, niemand informiert sie. Als ich nach Deutschland kam, habe ich schnell gelernt: Hier werden alle schon in der Schule aufgeklärt oder ihre Eltern reden mit ihnen über Sex. Wenn ein Jugendlicher mit 18 Jahren noch keinen Sex gehabt hat, machen sich die Eltern hier Sorgen. In Syrien ist das normal.
Ich bin dafür, dass offen über das Thema Sex gesprochen wird. Und dass jeder für sich entscheiden kann, ob er, wie in Syrien die meisten, mit dem Sex bis zur Ehe warten will oder nicht. Ich sehe allerdings ein Problem für die vielen unbegleiteten Jugendlichen, die, wie ich im Sommer 2015, neu in ein so offenes Land kommen wie Deutschland.
Sie kommen hierher, es wurde weder in Schule noch im Elternhaus über Sex gesprochen – und nun sind auf einmal all diese Möglichkeiten da! Das wird schnell zur Überforderung und womöglich passieren Dinge, die sie hinterher bereuen. Manche wissen zum Beispiel nicht, wie sie sensibel genug auf das Gegenüber eingehen. Sie sehen oder verstehen bestimmte Signale für ein „Weiter will ich nicht gehen“ nicht, weil sie keine Erfahrung damit haben, sie zu deuten oder sie nicht ernstnehmen. Wissen sie genug über Verhütung und Geschlechtskrankeiten?
Ich finde es schade, wenn die Jugendlichen Sex haben, weil sie meinen, es sei wichtig, um dazuzugehören oder weil es cool ist, sie sich aber keine wirklichen Gedanken darüber machen. Ich denke, manchmal ist es für Minderjährige noch zu früh.
In Syrien ist Sexualität oft noch ein Tabu.
Man bekommt davon eher zufällig etwas mit, aber wenn man genauer nachfragt, wird einem gesagt: „Das darfst du noch nicht wissen.“ Oder: „Das wird dich erst später interessieren. Nun spiel erstmal mit Freunden und geh raus.“ Ich selber hatte sehr wenig Ahnung von dem Thema und habe auch nur selten darüber nachgedacht. Obwohl meine Familie sehr offen ist und mir vieles erlaubt hat, gab es Grenzen, die ich respektieren musste. Ich durfte viel rausgehen, Jungs als Freunde haben, kurze Kleidung tragen. Wenn ich mich in jemanden verliebt hätte, hätte ich es ihnen gesagt. Ich durfte schon alles und sie hatten das Vertrauen zu mir, dass ich die Grenzen einhalte und auf mich aufpasse. Meine Eltern wussten immer, wo ich mich mit wem und wann treffe.
Bei Mädchenabenden haben wir dann später ein bisschen über Sex gesprochen, aber nicht viel und nicht sehr genau. Vielleicht auch, weil wir uns bei dem Thema schämten. Ich vermute, bei Jungsabenden war es ähnlich.
Sex vor der Hochzeit ist in Syrien und weiten Teilen der arabischen Welt nicht erlaubt. Vor 30 Jahren lief es noch so, dass das Mädchen in der Nacht vor der Hochzeit von einer Tante oder Freundinnen, die schon verheiratet waren, darüber informiert wurde, was in der Hochzeitsnacht passieren würde. Es gab viele Mädchen, die dann Angst hatten.
Zum Glück sind die Frauen seitdem offener geworden, sie sprechen mehr und das Internet hat sicher zur Aufklärung beigetragen. Aber für manche Männer ist es immer noch wichtig, dass ihre Frau noch Jungfrau ist.
In Deutschland lebe ich nun in einer ganz anderen Gesellschaft mit anderen Grenzen. Mit meinen Freunden hier spreche ich auf einmal viel mehr über Sex. Aber es als normales Thema anzusehen, fällt mir weiterhin noch schwer – obwohl ich so weit weg von zuhause bin.
Nach drei Jahren in Deutschland habe ich mir schon ein wenig ein anderes Leben angewöhnt. Ich respektiere die Gesellschaft hier und ich bin daran gewöhnt und habe kein Problem damit, dass hier vieles anders läuft, als ich es aus Syrien und den dortigen Traditionen kenne. Aber viele Mädchen, die mich treffen und fragen, ob ich Sex hatte, und mein Nein als Antwort hören, wundern sich. Dabei kann doch jeder für sich selber entscheiden, wie er mit seinem Leben umgeht.