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Sexualassistenz: Katja ist schwerbehindert und erzählt, wie Sex für sie funktioniert
Katja ist 27 Jahre alt und hatte ihr erstes Mal vor drei Jahren. Sie war dabei nicht mit ihrem damaligen Partner Michael* alleine - anwesend waren auch zwei Sexualassistenten. Die unterstützen Menschen dabei, Sex zu haben, wenn sie alleine aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht dazu fähig sind. Seit einigen Wochen wird nach dem Vorschlag der Grünen auch darüber diskutiert, ob diese Leistung für Menschen mit Behinderung von den Krankenkassen finanziert werden sollte.
Katja und Michael* hatten die Leistung auch ohne Fremd-Finanzierung in Anspruch genommen. Beide haben eine Schwerbehinderung und können sich nicht richtig bewegen. Die Diagnose bekam Katja schon mit zwei Jahren: Spinale Muskelatrophie – Ihre Muskulatur nimmt mit der Zeit also immer weiter ab. Die Arme fühlen sich an, als hingen schwere Steine daran, die Beine kann sie unter großer Anstrengung ein paar Millimeter bewegen. Inzwischen kann Katja zwar noch eine Unterschrift geben und ihr Handy bedienen – alle anderen Bewegungen müssen aber andere für sie ausführen. Sie hat keine Schmerzen, nur eben auch keine Kraft. Auf ihrem Blog schreibt sie von ihren sexuellen Erfahrungen, um das Tabuthema „Sex mit Behinderung“ zu brechen.
Hier erzählt sie von den Schwierigkeiten, die sich einer Partnerschaft stellen, wenn beide durch eine Behinderung eingeschränkt sind und man deshalb gemeinsam auf Sexualassistenz angewiesen ist.
„Offene Absprachen sind sehr wichtig“
„Die Sexualassistenten waren die Kraft in unseren Händen und Körpern. Sie haben uns ausgezogen, unsere Hände geführt, unsere Körper in verschiedene Stellungen gebracht und sie rhythmisch bewegt.
Man musste sich anfangs sehr gut absprechen, damit alle zufrieden waren. Schon bevor es losgehen konnte, musste man zum Beispiel erst einmal daran arbeiten, dass beide Sexpartner bequem lagen. Wir können ja nicht mal eben den Ellenbogen zur Seite schieben oder unsere Köpfe näher aneinander bringen. Und wenn es dann nach langer Vorbereitung zur Sache geht, gibt man natürlich auch immer mal wieder Anweisungen: Schneller, langsamer, intensiver... Nach einiger Zeit waren wir alle aber schon so vertraut miteinander, dass jeder wusste, wem was gefällt. Die Sexualassistenz hat unser Leben jedenfalls absolut bereichert.
„Zwei Stunden Sex haben uns etwa 360 Euro gekostet – ohne Anfahrt!“
So gut die Assistenten mit uns umgegangen sind und so schön es auch war – zwei Stunden mit ihnen haben uns jeden Monat etwa 360 Euro gekostet. Wären sie zu uns gekommen, wäre es noch einmal 100 Euro teurer geworden. Sex zu Hause hätte uns also insgesamt fast 500 Euro gekostet. Wir nahmen deshalb für jedes Mal, das wir Sex hatten, etwa zwei Stunden Fahrtzeit auf uns. Getroffen haben wir uns dann in der "Praxis" unserer Sexualassistenten. Das hat natürlich alles noch eine Stufe unpersönlicher gemacht und den "Sex-nach-Termin"-Eindruck zusätzlich verstärkt.
„Anfangs war alles noch sehr unangenehm“
Die ersten Male waren aber auch so schon super gewöhnungsbedürftig und sehr seltsam. Ich habe mich auch nicht getraut, mich komplett fallen zu lassen und zum Beispiel so richtig zu stöhnen. Es war merkwürdig, bei so einer intimen Angelegenheit begleitet zu werden.
Aber die Chemie mit den Assistenten hat zum Glück gestimmt. Nach ein paar Treffen habe ich sie gar nicht mehr richtig wahrgenommen. Ich war ja schließlich mit mir selbst und meinem Partner beschäftigt und die beiden haben sich als Personen auch vollkommen zurückgenommen. Es waren gedanklich nur noch ihre Hände da.
Die meisten Menschen finden es komisch, dass man sich überhaupt daran gewöhnen kann. Aber für jemanden, der sein ganzes Leben lang auf Assistenz angewiesen ist, ist es sicher auch einfacher, sich auf die Situation einzulassen. Wenn ich mich waschen und ins Bett bringen lassen kann, dann klappt es auch, die Assistenz beim Sex zu akzeptieren. Besonders, wenn man dazu gezwungen ist – weil man es alleine eben einfach nicht kann.
„Das Aufziehen des Kondoms mussten auch die Assistenten übernehmen“
Schwierig am Sex war aber auch das Thema Verhütung. Ich habe nämlich nur anfangs die Pille genommen, dann aber eine Thrombose davon bekommen. Danach mussten wir mit Kondom verhüten – und das Aufziehen mussten natürlich auch die Assistenten übernehmen. Das hat eine Menge Vertrauen erfordert. Man will ja eigentlich sicher sein können, dass alles richtig sitzt und nichts schief läuft.
Einmal dachte ich dann auch, ich wäre schwanger, weil ich zwei oder drei Monate lang meine Tage nicht bekommen habe. Ich war es nicht, wie sich herausstellte. Trotzdem habe ich auf meinem Blog über den Verdachtsmoment geschrieben. Da ging dann auch ein kleiner Shitstorm los. Andere Menschen mit Behinderung haben mir vorgeworfen, ich sei achtlos – und haben gefragt, ob ich denn denken würde, dass ich eine gute Mutter sein könnte, wenn ich schon selbst jeden Tag auf eine 24-stündige Assistenz angewiesen wäre.
„Die Suche nach Sexualassistenten ist extrem schwierig“
Michael und ich haben den Sex trotz aller Schwierigkeiten sehr genossen, die Nähe war wichtig für uns. Allerdings konnten wir irgendwann nicht mehr weiter mit unseren Sexualassistenten zusammenarbeiten. Wir hatten uns wegen der für uns wenig durchsichtigen Preise – und auch aus ein paar anderen Gründen, die ich hier nicht breittreten möchte – mit ihnen zerstritten.
Wir fühlten uns verraten und abgezockt. Für Michael war auch sofort klar, dass er mit diesen Menschen nicht mehr zusammenarbeiten wollte. Doch ich brauchte länger für den Entschluss – ich ahnte, dass es schwer werden würde, einen Ersatz zu finden. Und so kam es dann auch.
Es gibt nicht viele Menschen, die dazu bereit sind, Menschen mit Behinderung beim Sex zu assistieren. Es ist deswegen wirklich schwierig, jemanden zu finden. Wir haben Vieles versucht: Zum Beispiel bei Bordellen angerufen und gefragt, ob die Sexarbeiterinnen dort mit uns arbeiten wollen. Es hat sich aber leider keine dazu bereit erklärt. Dann haben wir online Inserate geschaltet – auf Portalen, auf denen man normalerweise nach persönlichen Assistenten sucht. Bei den meisten Seiten wurde die Anfrage nicht einmal veröffentlicht, weil die Beiträge vorher anscheinend auf ihre Inhalte überprüft werden.
In einem Portal ging das Gesuch aber kurzfristig online und es hat sich sogar jemand gemeldet. Kurz später hat uns trotzdem eine Administratorin angeschrieben und gesagt, dass die Seite für Gesuche dieser Art leider nicht gedacht sei. Der Post wurde wieder gelöscht. Ich habe mich wirklich aufgeregt darüber, dass das ganze Thema so tabuisiert wird. Unsere Anfrage war ja seriös formuliert und überhaupt nicht anzüglich. Aber anscheinend hat sie trotzdem viele gestört.
Den einen Mann, der sich dafür gemeldet hatte, haben wir dann trotzdem noch getroffen. Er war wirklich nett – aber irgendwie hat sich mein Bauchgefühl gegen ihn entschieden. Ich verlasse mich schon bei der Auswahl meiner persönlichen Assistenz auf meinen Instinkt. Und wenn es um Sex geht, wird das noch viel wichtiger. Denn da zeige ich ja das Intimste von mir selbst und muss mich mit dem Menschen um mich herum zu 100 Prozent wohlfühlen können.
Wir haben keinen Ersatz für unsere früheren Assistenten gefunden. Vielleicht hätte es geklappt, hätten wir noch länger gesucht. Aber wir mussten uns auch eingestehen, dass wir uns eigentlich gar nicht leisten können, was wir uns doch immer wieder geleistet hatten. Die finanzielle Last war nicht mehr zu tragen.
„Der fehlende Sex hat etwas zu unserer Trennung beigetragen“
Vor kurzem habe ich mich schließlich von Michael getrennt. Vielleicht hatte auch der fehlende Sex etwas damit zu tun. Es war sicher nicht der einzige Grund, aber manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt so lange zusammen gewesen wären, hätten wir die Sexualassistenz nicht gehabt. Sex löst ja bekanntlich auch Konflikte.
Nach der Trennung habe ich mir natürlich auch viele Gedanken über meine Sexualität gemacht und wie es jetzt damit weitergehen soll. Selbst befriedigen kann ich mich schließlich auch nicht und das sexuelle Verlangen ist nach wie vor da. Ich suche deshalb auf Online-Dating-Portalen, die sich nicht nur an Menschen mit Behinderung richten, nach einem neuen Sexpartner. Mit einem Partner ohne Behinderung wäre ich schließlich auch nicht mehr auf die Sexualassistenz angewiesen. Leider hat sich in diese Richtung aber noch nichts ergeben. Viele Männer ohne Behinderung können sich nicht einmal vorstellen, wie der Sex mit einer Frau, die im Rollstuhl sitzt, funktioniert.
Ich habe zwischendurch auch darüber nachgedacht, die Sexualassistenz zur Selbstbefriedigung in Anspruch zu nehmen – aber alles in allem würde mich die ganze Sache sicher 200 Euro pro Termin kosten. Das kann ich nicht bezahlen.
„Der Staat sollte für die Erfüllung aller Grundbedürfnisse sorgen, die ich nicht selbst erfüllen kann – auch für die sexuelle Befriedigung!“
Ich finde das wahnsinnig ungerecht: Der Staat bezahlt für meine 24-Stunden-Assistenz. Dafür, dass ich essen, schlafen, trinken kann, dass man mich wäscht und mir ein möglichst normales Leben ermöglicht. Und dafür bin ich dankbar. Aber irgendwie scheint die Gesellschaft entweder alle Menschen mit Behinderung für Asexuelle zu halten oder auszublenden, dass die sexuelle Befriedigung ebenso ein menschliches Grundbedürfnis ist wie das Essen oder Trinken.
Ständig wird das Argument vorgetragen, dass der Staat die Prostitution nicht unterstützen und deshalb auch nicht die Kosten für Sexualassistenz tragen sollte.
Aber ist es wirklich Prostitution, wenn jemand meine Hand führt, damit ich mich mit meiner eigenen befriedigen kann? Oder einem Paar mit Behinderungen hilft, sich endlich nahe zu sein? Ich denke nicht. Ich bezahle schließlich niemanden für seinen Körper als Lustobjekt. Ich bezahle nur dafür, dass er mir die Kraft gibt, mir selbst oder meinem Partner eines zu sein.
Und selbst wenn jemand tatsächlich jemandes Körper "mieten" und mit ihm schlafen würde – ich glaube nicht, dass Prostitution wirklich etwas Schlechtes sein kann, wenn sie Menschen hilft, herauszufinden, wozu ihr Körper im Stande ist. Es gibt ja auch Behinderungsgrade, bei denen selbst ich mich frage, wie Sexualität da funktioniert. Viele Betroffene wissen das selbst nicht, weil sie keinen Partner haben, mit dem sie sich ausprobieren könnten. Ich finde also, der Staat sollte dann für die Sexualassistenz aufkommen, wenn Menschen mit Behinderung darauf angewiesen sind, um sich selbst befriedigen oder sich selbst erfahren zu können.
Ich sage extra immer wieder: "Der Staat" - also die Behörden und Ämter - sollte dafür aufkommen, anders als es die Grünen fordern. Die schlagen ja die Finanzierung durch Krankenkassen vor und das finde ich ein wenig absurd. Es geht dabei schließlich darum, Menschen mit Behinderung ein normales Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen und nicht darum irgendeine Therapie auszuprobieren, die die Gesundheit fördern soll.
Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass der Staat Menschen mit Behinderung dauerhaft Sexualassistenten als Ersatz für einen Sexualpartner finanzieren sollte. Immerhin fällt es auch vielen Menschen ohne körperliche oder geistige Behinderung schwer, einen geeigneten Partner zu finden.
So würde sich wahrscheinlich auch der Gedanke etablieren, dass Menschen mit Behinderung Sex nur untereinander oder mit Sexualassistenten haben. Das ist nun mal gar nicht das, was ich mir unter Inklusion vorstelle. Ich hoffe vielmehr, dass es irgendwann als "normal" angesehen wird, dass Menschen ohne Behinderung Sex mit Menschen mit Behinderung haben und andersherum.
„Letztens sagte eine Frau zu mir, ich solle mir nicht einbilden, dass ich mit Frauen ohne Behinderung mithalten könnte“
Eines fällt mir außerdem immer wieder auf: Oft kommentieren vor allem Menschen, die selbst eine Behinderung haben, meine Blogeinträge über Sexualität negativ. Sie kritisieren mein Selbstbewusstsein, meinen, man dürfte nicht für Sex bezahlen und fragen, ob ich keine größeren Probleme hätte. Letztens sagte eine Frau sogar zu mir, ich solle mir nicht einbilden, dass ich mit Frauen ohne Behinderung mithalten könnte. Sie reagierte damit auf einen Blogeintrag, in dem ich davon erzählt habe, dass ich derzeit auf Online-Dating-Portalen, die nicht speziell für Menschen mit Behinderung ausgelegt sind, nach einem neuen Sex-Partner suche. Sie war überzeugt, dass Männer mir „die Anderen“ immer vorziehen würden und ich gar nicht erst zu versuchen bräuchte, bei einem Mann ohne Behinderung zu landen. Da konnte ich mich leider wirklich nicht mehr beherrschen und meinte, sie sollte sich doch vielleicht auch mal darum kümmern, sich ein wenig Selbstvertrauen aufzubauen.
Ich glaube, Menschen wie diese Frau haben sich einreden lassen, dass sie niemals jemanden finden werden, dass sie Menschen zweiter Klasse wären. Auch mir haben viele versucht, so etwas einzureden. Ich habe es irgendwann aber einfach nicht mehr an mich rangelassen.
Trotzdem hätte ich mir als Jugendliche gewünscht, dass es jemanden mit ähnlichen Problemen gegeben hätte, der mir hätte sagen können, dass ich auch Sex haben und eine Beziehung führen kann. Dass dahingehend eigentlich alles in Ordnung ist, auch wenn der Weg zum ersten sexuellen Kontakt manchmal weit ist. Dass Menschen mit Behinderung gleichwertige Sexualpartner sein können und sind.
Deshalb schreibe ich jetzt meinen Blog. Ich hoffe, er hilft."
*Name von der Redaktion geändert