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Reine Jungsgruppen sind oft unerträglich

Illustration: Daniela Rudolf / Foto: freepik

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Freitagnachmittag. Marius schreibt wie üblich als erster in die Whatsapp-Gruppe „Herrenfreizeit“. Er schlägt das vor, was er fast jeden Freitag vorschlägt: „Bundesliga-Abendspiel, Bier, Kickern, mehr Bier, Girls auschecken, Gin Tonic, im Club einen verdäncen.“ Leon, Fiete, Freddie, Manuel und Pascal schreien kollektiv Hurra. Auch ich hätte nichts gegen Flutlicht-Fußball auf der Kneipenleinwand und würde mich mit Marius und Leon liebend gern am Kickertisch batteln. Außerdem bin ich gerade wieder Single und Fiete ist ein begnadeter, weil charmanter, unaufdringlicher und gewitzter Wingman. Und dann sind das alles auch noch sehr ansehnliche Dudes in der Gruppe. Will sagen: Ich könnte zusätzlich auf den Effekt hoffen, den Barney Stinson in „How I Met your Mother“ den „Cheerleader-Effekt“ nennt.

Das Prinzip des „Cheerleader-Effekts“ ist: Wir – Frauen wie Männer – wirken in einer Gruppe Geschlechtsgenossen attraktiver als alleine. Experimente haben den Effekt bestätigt. Trotzdem schreibe ich nur „Komme ganz eventuell dazu“. Und bin mir sicher, dass ich Besseres vorhabe. Denn wenn unsere Anziehungskraft auch von der Gruppe abhängt, in der wir uns bewegen, dann gibt es mit Sicherheit auch den negativen „Cheerleader-Effekt“.

Er zeigt sich, sobald sich eine Anzahl von mehr als drei oder vier Kerlen zusammenrottet. Spätestens nach dem ersten Schnaps tritt automatisch ein Honk hervor - mindestens. Der benimmt sich, so nett er auch sonst ist, plötzlich wie eine offene Hose und rückt damit auch den Rest der Meute in schlechtes Licht.

In der „Herrenfreizeit”-Gruppe übernimmt diese Rolle meist Pascal. Leider ist er ist in solchen Runden auch der Typ Mann, der Frauen am Nebentisch ungeniert und überlaut als „Blondie“ oder „die Fette“ bezeichnet. Ich weiß dann gar nicht so recht, was mir peinlicher ist: das Reduzieren auf die Haarfarbe, die anlasslose Beleidigung oder die grundsätzliche Abwesenheit von Umgangsformen.

Ich taufe dieses Phänomen „Junggesellenabschieds-Effekt“

Es stimmte im konkreten Fall nicht mal, dass die Frau übergewichtig war, höchstens ihr Gesicht war etwas rundlich, aber auch sehr schön. Und Manuel hatte uns gerade angedeutet, dass er vor ein paar Monaten eine Affäre mit dieser Frau hatte. Während aber Fiete und ich aus Manuels Tonfall und seiner Verlegenheit erahnten, dass Manuel sich da mehr erhofft hatte, grölte Pascal seine Fremdscham-induzierenden Sprüche weiter durch den Laden. Manuel forderte nach dem zweiten schon: „Junge, reiß’ dich mal zusammen! Es hat dich niemand um deine Bewertungen gebeten.“ Und auch ich versuchte frotzelnd, ihn irgendwie zu bremsen: „Hier redet doch auch niemand laut über dein zu enges Polohemd!“ 

Aber er gockelte munter weiter. Leider auch unterstützt durch das gelegentliche Lachen Leons. Selbst ein „Alter, hör’ mal mit den peinlichen Sprüchen auf!“, das ich versuchte, möglichst demonstrativ in Richtung des Nebentischs zu sagen, konnte nichts mehr retten: Manuels Schwarm zog augenrollend ab. Auch der Blick zweier weiterer Frauen an der Theke, die mich eben noch gemustert hatten, wandelte sich von interessiert zu irritiert.

Als ich meinen beiden Mitbewohnerinnen die Story am nächsten Morgen erzählte, bestätigten sie: Es helfe nicht, da positiv herauszustechen. Noch der allersympathischste Typ habe es bei ihnen schwer, wenn er mit solchen Bratzen unterwegs ist.

 

Bis mir ein prägnanterer Begriff einfällt, taufe ich dieses Phänomen „Junggesellenabschieds-Effekt“. Auch da gibt’s ja eigentlich immer einen, der meint, sexistische und beleidigende Sprüche gehörten zu einer echten Männerrunde dazu. Ich hasse dieses Phänomen nicht nur, weil es meine Flirt-Chancen am Abend schmälert. Sondern weil es auch für einen Konflikt sorgt. Eigentlich möchte ich gern einschreiten, wenn sich ein Freund oder Freundesfreund daneben benimmt. Aber nicht immer wollen das alle einsehen, dann kommt es zu Reibereien. Manchmal stehe ich dann als Besserwisser und Spaßbremse da, weswegen mir bei größeren Runden oft nur die stille Abgrenzung bleibt. Oder ich muss von vornherein die Gesellschaft von Frauen herbeiführen. Entweder, indem ich mich allein einer weiblichen oder gemischten Runde anschließe, oder indem ich dafür sorge, dass ein paar Frauen zu unserer Horde stoßen.

 

Denn komischerweise kann auch Pascal betrunken wirklich zuvorkommend sein. Noch im chaotischsten Gedränge unseres Stammladens, an dieser Engstelle zwischen Theke und Toiletten, bewegt er sich plötzlich umsichtig und geht jedem Rempler aus dem Weg, sobald einer unserer weiblichen Kumpels oder seine eigene Freundin dabei sind. Und seine bescheuerten Sprüche bringt er auch nicht mehr.

 

Warum benimmt er sich aber ohne Frauen wie bei einem arschproletigen Junggesellenabschied? Ich bin geneigt, es auf den Alkohol zu schieben. Trinken ist nämlich in reinen Jungsgruppen eine Art Beschleuniger für soziale Interaktion. Eine Studie, in der es eigentlich um die Frage ging, warum Alkoholismus unter Männern verbreiteter ist, hat gezeigt: Ein Lächeln oder Lachen wirkt in einer trinkenden Männerrunde ansteckender als in einer nüchternen. Bei Frauen braucht solche Fröhlichkeit dagegen demnach keinen Alkohol, um überzuspringen. Der Suff ist also bei vielen Männern ein soziales Schmiermittel und baut Hemmungen ab, die Frauen nicht haben. Wenn dann allerdings in Jungsrunden über das Falsche gelacht wird, reißt das bei Menschen wie Pascal offensichtlich auch schnell die zu Recht bestehenden Grenzen des respektvollen Umgangs ein.

 

Deswegen fahre ich, wie oft an einem Freitagabend, stattdessen zu Mareike. Die sitzt mit ihren Freundinnen weintrinkend in ihrer großen Küche, wo ich mich immer sehr wohlfühle. Die Gespräche drehen sich darum, ob man den neuen Woody Allen-Film schauen sollte oder darf, wie Christin vor ihrem Hamburg-Trip am besten an Karten für ein Spiel von St.Pauli kommt und natürlich die Geschichten über verflossene und aktuelle Typen (und Frauen). Es gibt niemanden, der nur über seine Arbeit redet, wie Freddie das oft tut. Und keiner lässt sexistischen Scheiß los wie Pascal.

 

„Diese Klischeehaftigkeit”, sagt Mareike, „ist manchmal kaum auszuhalten

 

Später ziehen auch wir in den Club, in dem die Jungs schon ausgelassen feiern. Pascal ist auch dabei und in unserer gemeinsamen Runde handzahm. Ich vermute, weil er zwar vergeben ist, aber heimlich auf eine Freundin von Mareike steht und sich nicht die Tour vermasseln will. Als ich Mareike von Pascals Eskapaden erzähle und sage, dass Frauen in der Gruppe eine Art Korrektiv für ihn sind, fängt sie an zu lachen. Sie sei froh, dass ich heute dazu gestoßen bin. Weil Nele, eine langjährige Bekannte, die nur gelegentlich mitkommt und heute dabei ist, beim letzen Mal ausschließlich über muskelbepackte, gut verdienende Männer geredet habe und betrunken Heidi Klum spielte. Sie gab fremden Frauen und Männern in der Bahn ungefragt Tipps und Wertungen zu ihrem Kleidungsstil mit dem üblichen Leider-kein-Foto-Satz am Ende.

 

„Diese Klischeehaftigkeit“, sagt Mareike, „ist manchmal kaum auszuhalten. Es sei denn, es ist ein Mann dabei. Dann nimmt sie sich zurück.“ Mareike nennt das den „Kegelclub-Modus“, in dem Nele dann ist. Weil sie das Verhalten an die schnapsgeschwängerten Ausflüge des Kegelclubs ihrer Mutter erinnere.

 

So wurde es im Endeffekt ein erkenntnisreicher Freitagabend. Die Beobachtung, die ich „Junggesellenabschieds-Effekt“ nenne, während Mareike vom „Kegelclub-Modus” spricht, wurde bei Frauen und Männern von der Anwesenheit der jeweils anderen gedämpft. Die zwei bis drei problematischen Mitglieder unserer beiden Gruppen hielten sich im Zaum. Und das hatte positive Effekte auf das Wohlbefinden der restlichen Leute, die sich auch ohne soziale Kontrolle durch das andere Geschlecht benehmen können.

 

Den „Cheerleader-Effekt“ machte das alles auch nicht kaputt, denn weitere Untersuchungen dazu haben gezeigt: Er funktioniert auch bei gemischtgeschlechtlichen Gruppen. Wenn das mal kein Argument für eine Frauenquote bei der „Herrenfreizeit“ ist.

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