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Mit guten Freund*innen schlafen? Ja bitte!

Karl wünscht sich, dass er mit anderen über seine Gefühle sprechen könnte.
Foto: Wesley Quinn/Unsplash

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Es gibt vier goldene Regeln, die jede junge Frau lernt, sobald sie anfängt, Sex zu haben:

  • Benutze ein Kondom.
  • Ja, du kannst auch während deiner Periode schwanger werden.
  • Warte möglichst auf den Richtigen.

Und:

  • Schlafe nicht mit den Typen aus deinem Freundeskreis.

Diese gesellschaftlich anerkannten Grundregeln wurden von meinem Teenie-Ich nicht infrage gestellt. Sowieso alles ganz schön krass, das mit dem Sex – wie man da aufpassen muss, um sich nicht den Ruf zu versauen! Also wurden fein säuberlich und mit hochrotem Kopf Kondome gekauft, ansonsten die Knie engelsgleich zusammengedrückt und die Jungs in meinem Freundeskreis tunlichst gemieden. Auch wenn ich Rafael süß fand. Und Alex. Und Chris. Aber leider waren die ja tabu, denn wir waren befreundet. Und das hängte ihnen laut der vierten goldenen Regel ein imaginäres „look, but don’t touch“-Schild um. 

Manchmal, wenn ich so an Rafael (oder Alex oder Chris) dachte, fragte ich mich, was da eigentlich für eine zerstörerische Kraft in meinen Küssen läge. Was für eine Splitterbombe ich da scheinbar zwischen den Beinen trüge, sodass der Sex mit ihnen einer Kriegserklärung an das, was wir Freundschaft nannten, gleichkäme.

Doch an den Grundstrukturen der Teenagerregeln wurde nicht gerüttelt, und so begnügten wir alle uns mit mehr oder minder erfolgreichen Versuchen im „Liebe machen“ mit Personen, die wir manchmal noch nicht mal liebhatten. Bloß die Finger weg vom heiligen Freundeskreis.

Mit den Jahren verlor ich sie aus den Augen, diese ersten männlichen Freunde, mit denen ich gern hätte, aber nicht durfte. Dafür lernte ich viel Neues: Zum Beispiel, dass mir eine eigene Meinung zu dem Thema zusteht. Und dass Sex in beiderseitigem Einverständnis – ob mit Un- oder mit Altbekannten – okay ist. Ich fand, es sei Zeit, endlich das auszuprobieren, was immer noch als das ultimative No-Go in gemischt-geschlechtlichen Freundschaften gilt.

Auserkoren hatte ich meinen damaligen besten Freund

Denn auch meine Freundschaften hatten sich verändert: Die Gesprächspartner, und damit auch die Gespräche, waren interessanter, die Nächte länger geworden. Es gab zwar nicht mehr Freunde, aber spannendere und engere. In mir wuchs die Erkenntnis, dass wahre Freunde nicht mit jeder neuen Nachtcluberöffnung in Berlin automatisch an meinen wackligen WG-Küchentisch gespült werden würden. Und dass somit die Freunde, die ich hatte, ziemlich dufte Typen sein mussten.

Dieses Mal war ich also fest entschlossen, es anders zu machen: Ich wollte endlich auf mein sehr weit südlich gelegenes Bauchgefühl hören. Sollten die anderen doch denken, denken, denken – ich wollte verdammt noch mal fühlen. Auserkoren hatte ich meinen damaligen besten Freund, mit dem ich schon einige Nächte durchgefeiert hatte. Den ich schon mit einigen Damen verkuppelt hatte und vice versa. Aber vor allem: den ich sehr gerne mochte. Der mir vertraut war. Den ich nicht aufregend fand, und der kein aus unerfindlichen Gründen anziehend wirkender Kotzbrocken war. Er war einfach nur er. Er war nicht umwerfend attraktiv, aber das Schöne war: Es war mir egal. Ich fühlte mich immer mal wieder zu ihm hingezogen und hatte keine Lust mehr, das zu bekämpfen. Zum Glück sah er das an einem entspannten Abend und nach dem vierten Glas Rotwein genauso. 

Und zum Glück ersparte er mir die Frage (sowohl davor als auch danach), was denn nun „mit unserer Freundschaft sei“. Denn ja – was war denn danach mit unserer Freundschaft? Erfreulicherweise (immerhin handelte es sich ja um ein – ziemlich betrunkenes – Experiment), hatte sich nichts geändert. Anstatt so zu tun, als sei nichts gewesen, sprachen wir einfach gleich drüber, was zwischen uns passiert war, und was das nun zu bedeuten hatte. Wir stellten klar, dass wir beide nicht ineinander verliebt waren (im klassischen Sinne). Wir konnten darüber lachen. Es war kein schlimmes Geheimnis. Kein Übertreten goldener Regeln, da wir diese Regeln einfach mal zünftig ignoriert hatten. Und wo keine Regel, da kein Regelbruch – oder?

Sex ist keine Kettensäge, die ein unschuldiges Band zwischen zwei Menschen zerfetzt

Ganz im Gegenteil: Miteinander diese Nacht geteilt zu haben, brachte uns sogar noch näher. Es machte freundschaftliche Umarmungen und Berührungen zwischen uns, die auf diese Nacht folgten, zärtlicher. Wir hatten uns unser Innerstes gezeigt, wir hatten ein ganz schön großes Stück unserer selbst offenbart. Und Selbstoffenbarung, das heißt: sich verletzlich zeigen. Nackt sein, im wahrsten Sinne.

Sex ist keine Kettensäge, die ein unschuldiges Band zwischen zwei Menschen zerfetzt und es durch etwas Kompliziertes und Schmutziges ersetzt. Ein Kuss (auch wenn er lang und heiß ist) katapultiert einen nicht sofort raus aus der freundschaftlichen Safe-Zone, die man kennt, und auf das unsichere Terrain des Sich-Vielleicht-Verliebens. Zumindest muss das nicht so sein.

Warum schlafen wir mit Menschen? Tausende Gründe, also fange ich bei meinen an. Weil ich sie witzig finde. Weil ich sie intelligent finde. Weil ich finde, dass sie gut riechen, und weil ich ihnen (wenn auch nur für den Moment) nahe sein möchte. Und genau das trifft auf die meisten meiner Freunde zu – aber bei weitem nicht auf alle One-Night-Stands, die dann doch aus den Clubs an meinen Küchentisch (oder eher in mein Bett) gespült wurden. So gesehen kann also der Sex mit Freunden viel ehrlicher, viel unprätentiöser, viel harmonischer sein.

Beim Sex zwischen Freunden geht es nicht darum, sich von seiner besten Seite zu zeigen

Wir können beim Sex mit einem Kumpel das Unterbewusstsein nur auslachen, dass uns (allen Self-Love-Instagramposts zum Trotz) klammheimlich „Bauch einziehen“ zuraunt. Wir müssen auch nicht erklären, warum das Zimmer unordentlich oder das Bett nicht frisch bezogen ist (kennt er ja). Erklären wir den unbequemen „sexy“ Spitzenhöschen den Krieg, verdammt! Beim Sex zwischen Freunden geht es nicht darum, sich von seiner besten (oder wildesten, akrobatischsten oder versautesten) Seite zu zeigen, wie das manchmal bei einem One-Night-Stand oder sogar mit einem neuen Partner der Fall ist.   

Beim Sex zwischen Freunden geht es darum, zwei Menschen ganz genau so zu vereinen und noch ein Stücken näher zu bringen, die gut sind, so wie sie sind. Und die auch mal über sich (und einander) lachen können. Davor sollte man keine Angst haben. Was man tun sollte? Vorher mal drüber reden. Und vielleicht doch eher bei zwei Gläsern Wein bleiben. Aber dann: Tut es. Traut euch. Sex ist Zuneigung, Sex ist: lieb zueinander sein. Er ist kein Damoklesschwert, das wegen ein paar netter Stunden im Bett für immer über eure Freundschaft hängt. Wirklich.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde zum ersten Mal am 9. April 2018 veröffentlicht und am 29. Mai 2020 noch einmal aktualisiert.

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