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Du bist nicht sapiosexuell, du bist lächerlich

Illustration: Daniela Rudolf

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Ausgerechnet mir musste das passieren. Die Party war so gut wie vorbei und dann warst da du. Du, der mir (völlig zusammenhangslos, wohlgemerkt) erzähltest, du seist sapiosexuell. Über meinen verwirrten Ausdruck und über meine Nachfrage, was das denn jetzt konkret bedeute, hast du dich diebisch gefreut und erklärt: „Ich fühle mich als Sapiosexueller nicht von Äußerlichkeiten angezogen, ich stehe ausschließlich auf den Intellekt einer Person.” Damit war dann unterschwellig auch klar, dass ich mit meiner Unwissenheit nicht zum Kreis deiner potenziellen Geschlechtsverkehrspartner gehöre – nicht, dass ich das zu irgendeinem Zeitpunkt in Betracht gezogen hätte.

Aber was mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht ist: Eigentlich ist Schubladendenken total out und gesellschaftlich verpönt, aber bei Sexualität und sexuellen Orientierungen werden sie alle wieder aufgemacht. Warum?

Früher, da war man entweder heterosexuell, homosexuell oder asexuel, bums, fertig. Heute gibt es viele, viele Oberbegriffe, Unterkategorien und Abstufungen. Personen, die sich von manchen, aber nicht von allen Geschlechtern angezogen fühlen (polysexuell); Personen, deren sexuelle Orientierung fluide ist (abrosexuell); Personen die sich von Männlichkeit (androsexuell) oder von Weiblichkeit (gynesexuell) angezogen fühlen – um nur einige zu nennen. Ich weiß, dass es für einige sehr wichtig ist, dass es diese Begriffe gibt und dass sie ihnen helfen, sich zurechtzufinden. Es ist gut, wenn über sie berichtet wird und Menschen wissen, dass sie nicht allein sind. Aber woher kommt diese Definitions- und Regelungswut? Es würde ja auch einfach reichen, den oder das zu lieben, was man nun einmal liebt – ohne ein Label.

Vielleicht steckt der Wunsch nach Ordnung dahinter. Feste Kategorien und Definitionen reduzieren Komplexität und ermöglichen es, sich mit einer Gruppe zu identifizieren. Aber wer sich abgrenzt, der grenzt andere aus. Der schafft ein Innen und ein Außen. Der schafft Schubladen und scheinbar unüberwindbare definitorische Trennlinien, denen sich nicht jeder ein- oder unterordnen kann oder will. 

Wird auf diese Weise Sexualität pathologisiert?

 

Eine sexuelle Orientierung scheint erst dann so richtig aufregend zu sein, wenn keiner versteht worum es geht. Zuletzt geisterte der neueste Sexuelle-Orientierungs-Trend durch die sozialen Medien: demisexuell. Personen, die erst eine sexuelle Anziehung spüren, nachdem eine emotionale Bindung entstanden ist. Demisexualität wird auf unterschiedlichen Internetseiten zur sexuellen Orientierung dem Spektrum der Asexualität zugeordnet. Dabei wird völlig ignoriert, dass es sich dabei nicht unbedingt um ein asexuelles Verhalten handelt, geschweige denn, dass es einer Definition bedarf.

 

Wird auf diese Weise Sexualität pathologisiert? Für jedes sexuelle Verhalten oder Verlangen wird eine Diagnose gestellt und eine Begrifflichkeit geliefert. Diese gilt dann für die „Betroffenen” als absolut und unveränderbar. Warum macht ihr das mit? Warum sortiert ihr euch in diese Schubladen ein? Hört auf damit!

 

Und nun zurück zu dir, unbekannter Fremder, der sagte er sei sapiosexuell. Was tut das für dich? Und warum tust du das? Du trägst das Label sapiosexuell als Statussymbol vor dir her, willst allen klar machen, dass du den Zustand der niederen Gelüste hinter dir gelassen hast und nun die Erfüllung auf intellektueller Ebene suchst? Oh, come on! Meinst du etwa, dass nun jeder dir Avancen macht, um mit deinem Gütesiegel versehen behaupten zu können: „Wenn ein Sapiosexueller auf mich steht, muss das schon was heißen!”? Meinst du, dass du dadurch interessanter wirst, oder dass es dich auf irgendeine Weise erhaben macht?

 

Das tut es nämlich nicht. Ich finde dich eher ziemlich lächerlich und würde fast meine Hand dafür ins Feuer legen, dass du, sobald du mit deiner Schrotflinten-Flirt-Technik was erwischt, zuschlagen würdest – egal wie intellektuell oder nicht. Also: Hör auf so zu tun, als seist du sapiosexuell und etwas Besseres. Hör auf, mir meinen Abend zu ruinieren, es interessiert mich nämlich nicht. Und ihr anderen: Hört auf, euch in Schubladen einzuordnen. 

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