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Was uns die Schule über Sex beigebracht hat

Foto: moinmoni / photocase.de; Illustration: jetzt

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Pornofilme aus den 80ern, prüde Lehrer*innen, schamesrote Gesichter, heteronormative Rollenbilder: Unser Sexualkunde-Unterricht hatte mit wirklich hilfreicher „Sex Education“ nicht besonders viel zu tun. Das wurde uns gerade besonders bewusst, weil die gleichnamige Netflix-Serie derzeit viel Lob (auch von uns) dafür bekommt, dass sie das besser macht. Diese Beobachtung haben wir, die jetzt-Redaktion, nun zum Anlass genommen, uns zu erinnern: Wie war das eigentlich damals, als wir das erste Mal über Sexualität aufgeklärt wurden? Beziehungsweise: werden sollten.

Nora hatte es nicht leicht mit dem Wort „Schamhaar“

Unsere Biolehrerin wollte uns in der ersten Stunde im Sexualkundeunterricht wohl die Scham nehmen, über unseren Körper zu sprechen. Daher rief sie uns einige Wörter in das Klassenzimmer hinein, die wir im Chor wiederholen sollten. Es fing harmlos an mit: „Arm“. „Aarrrrrmmm“. „Finger“, „Fiingeeerr“. „Schamhaar”. Der Saal erzittert. Schweigen. Dann hörte man leises Kichern. Einige, überreife, mutige Schüler*innen riefen später lauthals „SCHAMHAAR“. Der Rest der Klasse schaute sich suchend um, ob auch andere dieses verpönte Wort wohl aussprechen würden. Dabei errötete die gesamte Klasse pubertierender Sechsklässler*innen. Allen, die das Wort laut aussprachen, wurde unterstellt, schon dieses gewisse Haar zu tragen. Oh wie peinlich.

 

Magdalena hatte sich richtig was erhofft vom Sexualkundeunterricht

Das ganze Jahr hatte ich im Bio-Buch schon vorgeblättert, die Lehrtexte dazu überflogen, die Querschnittsdarstellungen von Hoden angeschaut. Denn ich wusste: Dieses ist das Jahr, in dem unsere Bio-Lehrkraft da durch muss, in dem der Unterricht so lustig und aufregend wird wie nie zuvor. Wo wir hemmungslos giggeln und miteinander unsere Körper entdecken werden. Vielleicht wird es sogar Filmchen geben!! Und dann, als es schließlich ENDLICH soweit war – nix. Beim ersten Gackern bügelte uns die Biolehrerin pragmatisch ab, wir sollten uns nicht so kindisch und pubertär anstellen. Dann zog sie das Programm in zwei Doppelstunden mit einem Tempo durch, dass man meinen könnte, sie wolle sich auf eine Rolle in „The Fast and the Furious – der Sexual-Antrieb“ bewerben. Naja. Im Frühling haben wir wenigstens noch ein Schweine-Herz seziert, das war dann schwer aufregend.

Niko guckte im Unterricht Pornos

Unser Biolehrer Herr M. stand kurz vor der Rente, als ich in die achte Klasse ging. Bis dahin kannten wir Schüler*innen Sex vor allem aus dem Biobuch, waren über die Abläufe aber eigentlich ganz gut aufgeklärt. Herr M. wollte mit uns also ein anderes Thema als nur die reine Biologie besprechen: Pornos. Er stellte seine alte Aktentasche aus braunem Leder auf das Pult und zog eine VHS-Kassette heraus. Von der – ich nenne es mal Bildästhetik – her kam das Video wohl so aus den späten Achtzigern. Herr M. steckte die Kassette in den Videorecorder – und los ging das Gebumse. Ich entschuldige mich für die Wortwahl, aber anders kann ich das, was da auf dem Bildschirm abging, nicht nennen. Es war heftiger, für die Frau erniedrigender Porno-Sex. Inklusive des unrealistischen Gestöhnes. 

Zunächst machte ich mich darüber lustig, genau wie die meisten meiner Mitschüler*innen auch. Es war ja auch eine unangenehme Situation, aber irgendwann merkten wir, dass das gar nicht lustig war. Die Klasse wurde still, das Stöhnen hallte durch den Biosaal. Ich bin bis heute froh, dass es da nicht zu ungewollten Erektionen kam. Irgendwann stoppte Herr M. den Film und fing an, uns zu erklären, dass so in keiner Weise realistischer Sex aussehe. Er sagte, dass Pornos wie dieser nur ein Produkt der Industrie seien. Kein echter Sex. Der sei nämlich viel zärtlicher, rücksichtsvoller und vor allem schöner. 

 

Lara lernte, dass vor allem männliche Lust okay ist  

In meinem Kopf ist vor allem ein Satz aus dem Sexualkundeunterricht hängengeblieben: „Dass Jungen masturbieren, ist vollkommen normal.“ Den sagten nämlich sowohl meine Lehrerin in der sechsten als auch der Lehrer in der achten Klasse immer wieder. Die Jungs müssten sich eben selbst erforschen und hätten zudem SELBSTVERSTÄNDLICH einen stärkeren Trieb als die Mädchen. Da sei es ganz natürlich, dass sie ab und zu „Erleichterung brauchen“. Dass Selbstbefriedigung auch für Mädchen und Frauen ein Thema ist, wurde nicht angesprochen. Mit genau dieser Vorstellung wuchs ich dann weiter heran: Jungs dürfen Libido haben. Mädchen nicht. 

An Koljas Grundschule waren die Kinder erforschungswütig 

Bei uns gab es in der zweiten Klasse einen Zwischenfall: Ein Mädchen, nennen wir es Ella, war neu in der Klasse und bekam irgendwann regelmäßig in der kleinen Pause Zehn-Pfennig-Münzen von ein paar Jungs und auch ein, zwei Mädchen dafür, dass sie ihnen ihre Vulva zeigte. Die Kinder standen dann im Kreis um sie herum und guckten fasziniert. Ich glaube, der ein oder andere machte auch Untersuchungen mit einem Stift. Als das rauskam, war die einzige Konsequenz, dass die Klassenlehrerin einen seltsamen Monolog vor der Klasse hielt, in dem es vor allem um Hygiene ging. Sie legte besonders viel Wert darauf, dass sowohl Mädchen als auch Jungen besonders am Strand aufpassen müssten, damit kein Sand in die Scheide oder den Pimmel käme. 

 

Caro hatte Sexualkunde bei ihrer Religionslehrerin

Mein Sexualkunde-Unterricht war nicht besonders spannend. Also doch, da waren halt Genitalien und Kondome und Geschlechtskrankheiten und die Angst vor Schwangerschaft und ganz viel Heteronormativität und Kichern. Aber ging es um den Umgang mit Körpern und Sexualität, blieb mir vor allem Frau G., meine Religionslehrerin (ja genau!), im Kopf. Sie ging nämlich oft mit ihrem Ehemann nackt auf Almen wandern. Sex sei ja nur Sport und den mache sie zwar auch, aber nichts gehe übers Nacktwandern. Denn das sah sie einerseits als Ausdruck ihrer Freiheit und andererseits sei das ja viel gesünder so. Erzählt hat sie uns das in einer Unterrichtsstunde, in der es um individuelle Freiheiten ging. Ihr Lieblingsspruch war „Ich muss deine und du musst meine Freiheiten aushalten.” Ja. Leider. In der achten Klasse dachte ich viel darüber nach, wie das wohl aussehen würde. Zwei nackte Menschen – mit so viel Behaarung wie ging, das war ihr sehr wichtig – irgendwo in den Alpen. 

Anna freute sich nicht lange über die Nacktvideos aus den 80ern

Es gab eine Stunde im Bio-Unterricht, an die sich jeder aus meiner früheren Klasse gut erinnern kann. Es war der Nachmittag, an dem uns die Biolehrerin ein Sex-Erklärvideo aus den 1980ern zeigte. Die Videokassette wurde im Kassettenrecorder reingeschoben und in unserer 5. Klasse stieg die Anspannung. Nach einem leiernden Intro mit kratzendem Ton, zeigte uns der alte Röhrenfernseher zwei nebeneinander stehende Menschen, Mann und Frau, die von Kopf bis Fuß nackt waren. Wir warteten alle gespannt auf etwas Spannendes, wie weit würde das Paar gehen? Würden wir nun endlich sehen, wie das Ganze funktioniert? Leider nein. Der erigierte Penis des Mannes (worauf wirklich alle warteten) wurde anhand einer langweiligen klassischen Bio-Buch-Grafik gezeigt. Die Vagina war außerdem kein Thema – und hilfreiche Sex-Moves gab es leider auch nicht.

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