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Instagram: Warum Benjamin immer oben ohne posiert
Ganz egal, ob Benjamin vor einem Fußball-Team posiert, ob ihn eine Karnevals-Gesellschaft auf Händen trägt oder er vor einer Reihe Dixi-Klos liegt – der 30-Jährige ist auf seinen Insta-Bildern immer oberkörperfrei. Benjamin betreibt einen Instagram-Account der etwas anderen Art. Seit fast drei Jahren präsentiert er sich halbnackt im Internet: liegend, den rechten Arm abgestützt, ein Blick ohne Lächeln in die Kamera.
Für die Betrachter*Innen entsteht durch die wechselnden Kulissen und die sich wiederholende Pose ein unterhaltsames Bild irgendwo zwischen Ironie und Erotik. Für Benjamin selbst ist sein Projekt weit mehr als Spaß. Die Fotos und die Reaktionen liefern dem Kölner immer wieder Denkanstöße und haben unter anderem seine Selbstwahrnehmung und seinen Blick auf Geschlechter-Gerechtigkeit verändert. Erwartet hatte „Kalterbenjamin“ – so der Profilname – das in der als oberflächlich verschrienen Instagram-Welt nicht.
Die Idee für das Projekt kam eher zufällig: „Ich war mit meiner Schwester im Ferienhaus meiner Großeltern und sollte im Garten Fotos für ihr neues Profilbild schießen. Irgendwann habe ich gedacht, jetzt leg ich mich mal auf die Steinmauer. Das Bild habe ich in eine Chat-Gruppe mit Freunden geschickt. Meine damalige Freundin meinte dann, dass das doch endlich ein Thema für Instagram sei. Also habe ich mir ein Profil angelegt“, erzählt Benjamin. Zunächst sei es eine Bestätigung gewesen, dass Menschen seinen Humor teilen: „Ich dachte oft, dass der ein bisschen zu krude oder trocken ist. Aber viele in meinem Umfeld scheinen lustig zu finden, was ich mache. Das ist schon ein gutes Gefühl.“
Damals ahnte Benjamin nicht, wie sehr ihn das Projekt noch beschäftigen würde. Auch wenn die Follower-Zahl mit etwas über 200 bis heute relativ klein ist, habe sich seine Selbstwahrnehmung mit jedem der mittlerweile 58 Beiträge Stück für Stück verändert. Dass er sich vor Bekannten wie Fremden spontan obenrum freimacht und davon Bilder online stellt, war für Benjamin früher nicht vorstellbar.
„Dein Körper ist so, wie er ist“
Der 30-Jährige erzählt von Zweifeln in Bezug auf seinen Körper, die aus Kindheits- und Jugendtagen stammen. Als Fünfjähriger habe er sich einen seiner Arme kompliziert gebrochen. Bis heute sind Spuren der Verletzung zu sehen: „Deshalb habe ich mich immer geschämt und früher ungern T-Shirts getragen.“ Dass er später als viele seiner Freunde in die Pubertät gekommen sei, habe die Unsicherheiten verstärkt: „Ich war zwar grundsätzlich okay mit meinem Körper, aber man sieht ja beispielsweise auf den Bildern, dass ich keine Brustbehaarung habe. Das fand ich früher extrem unmännlich und habe mich oft gefragt, was überhaupt männlich an mir ist.“
Das Fotoprojekt habe viele seiner Fragen zwar nicht beantwortet. Jedoch hätten sie mit jedem Mal Ausziehen vor einer mehr oder weniger unbekannten Gruppe an Relevanz verloren. „Es zeigt mir einfach, dass Männlichkeitsbilder völlig egal sind. Dein Körper ist so, wie er ist. Du wirst weniger schlimm betrachtet, als du dich siehst.“
Die Fotos entstehen meist spontan, sagt Benjamin: „In der Regel sehe ich eine interessante Situation oder einen interessanten Hintergrund. Manchmal kommen aber auch meine Freunde auf die Idee dafür.“ Bei einer Hochzeit fragte zum Beispiel der Bräutigam persönlich nach einem Foto. Das Paar habe das Foto dann auch auf Social Media geteilt.
In einer Gruppe von Freunden die geballte Aufmerksamkeit zu bekommen, sei nicht immer einfach: „Anfangs war es mir schon unangenehm.“ Dennoch habe er noch nie während eines „Shootings“ abgebrochen, sagt Benjamin: „Da war eher so ein Gefühl von‚ ich zieh das jetzt durch und ertrage dafür die unangenehmen Momente‘. Hört sich blöd an, aber ich glaube, gerade diese unangenehmen Momente durchzustehen, hat mir sehr geholfen bei meinen Umgang mit meinen Körper.“
Sich obenrum freimachen: ein männliches Privileg
Bis heute fühle es sich nicht immer gut an, vor Fremden in der Öffentlichkeit zu posieren: „Mittlerweile habe ich natürlich etwas mehr Routine, weshalb dieses Gefühl schon etwas nachgelassen hat. Weg ist es aber definitiv nicht und manchmal ist es auch noch recht stark“, sagt Benjamin. Zelebrieren könne er die Momente deshalb nicht. Es gelinge auch nicht immer, die Hemmungen zu überwinden: „Ich mache auch oft ein Foto in der Öffentlichkeit nicht, weil ich es in dem Moment für unangebracht halte oder mir auch keinen Ärger einhandeln möchte, zum Beispiel in Geschäften oder wenn fremde Leute sehr deutlich zu erkennen wären.“
Klappt es dann doch, kann der Sachbearbeiter das positive Feedback und die Akzeptanz dafür umso mehr genießen. Durch das Projekt fühlt er sich bestärkt, selbstbewusster. Gleichzeitig hadert er mit der Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen. Dass er sich in der Öffentlichkeit weitgehend unsanktioniert „obenrum“ frei machen kann, sieht er als männliches Privileg. Ob jemand anderes als ein Mann mitten auf der Straße, vor einem Fußballstadion oder einer Tankstelle den nackten Oberkörper zeigen könnte und dabei ebenso positive Erfahrungen machen würde, ist mehr als fraglich. Instagram sperrt zudem Bilder, auf denen weibliche Brustwarzen nackt zu sehen sind.
Wie er mit diesem Thema künftig umgehen soll, ohne dafür das Projekt aufgeben zu müssen, versucht „Kalterbenjamin“ für sich herauszufinden: „Ich sehe dieses Problem, auch wenn es sich noch nicht in den Fotos widerspiegelt. Ich will da nicht beliebig unter irgendein Bild schreiben, aber ich habe auch noch keine Idee, wie ich es vernünftig integrieren kann.“