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Fotoprojekt macht sexuelle Übergriffe sichtbar

Fotos: Screenshot/Instagram @cheerupluv, Collage: Katharina Bitzl

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So ziemlich jede Frau wurde in ihrem Leben schon sexuell belästigt. Das beweist spätestens „#metoo“. Tausende Frauen weltweit bekannten sich mit diesem Hashtag auf den sozialen Netzwerken dazu, selbst schon Opfer geworden zu sein.

Der Hashtag ist in erster Linie also eine sehr gute Sache. Denn die schiere Größe der Debatte zeigt ja, dass sexuelle Belästigung ein Problem unserer Gesellschaft ist, das jede und jeden betrifft. Andererseits hat diese Größe auch zur Folge, dass die einzelnen Geschichten der belästigten Frauen in der großen System-Meta-Debatte ein wenig kurz kommen. Sie verschwimmen zu einem großen Brei aus vielen „ich-Auchs“. Einzelne Schicksale und die vielen Abstufungen sexueller Übergriffe gehen zu oft in der Flut an Statements unter. Die 23-jährige Fotografin Eliza Hatch aus London dagegen macht die Geschichten hinter dem Hashtag wirklich sichtbar: mit ihrem Fotoprojekt "Cheer up Luv".

Darin porträtiert sie Frauen, die an öffentlichen Orten sexuell belästigt wurden. Im Text unter dem jeweiligen Bild beschreiben die Frauen dann, wie sie beglotzt oder begrapscht wurden, wie ein Mann sie heftig beleidigt oder sogar körperlich missbraucht hat. 

Für die Aufnahmen kehrt Eliza mit den Frauen oft an den Ort zurück, an dem der geschilderte Übergriff stattgefunden hat. Falls das nicht möglich ist, wählen die Frauen einen Ort, der etwas mit dem Vorfall zu tun hat oder ihnen einfach wichtig ist. Eliza verfolgt damit ein Ziel: „Ich will den Frauen helfen, den Ort wieder für sich selbst zurückerobern zu können. Ihnen den Raum wiedergeben, den sie verdienen.“

Sie seien in London schließlich in dem Glauben aufgewachsen, sich nirgendwo ganz sicher fühlen zu dürfen. Auch Eliza dachte lange so: „Ich glaubte, das wäre, worum es beim Mädchen-sein geht: dass man immer wachsam sein muss, weil man ja weiblich ist und deshalb sexuelle Belästigung von vornherein zu erwarten hat.“

Deshalb hatte Eliza selbst auch lange einfach hingenommen, was da immer wieder passierte: dass  sie in ihrer Schuluniform von älteren fremden Männern angesprochen wurde. Dass ihre Freundinnen angemacht und begrapscht wurden. Erst als ein Mann auf der Straße im Vorübergehen von ihr forderte: „Cheer up Luv“, – sinngemäß: Lächel doch mal, Süße – wurde ihr bewusst, dass all das irgendwie nicht in Ordnung war. Den Spruch hatte sie zwar schon oft gehört. Aber plötzlich irritierte er sie so sehr, dass sie etwas tun wollte.

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Das ist die 23-jährige Fotografin Eliza Hatch aus London.

Foto: Screenshot/Instagram @cheerupluv

Aus dieser Situation stammt der Name für Elizas Projekt. „Ich kann nicht einmal zählen, wie oft mir Männer das schon gesagt haben. 'Cheer up Luv' ist ein einfacher Satz, die Aufforderung scheint harmlos. Aber er lässt mich jedes Mal entwaffnet, frustriert und verletzt zurück.“ Die Männer wüssten doch schließlich gar nichts über ihr Leben und trotzdem verlangten sie, dass sie als Frau glücklich schaue – nur damit die Männer sich am Lächeln erfreuen könnten.

 

Genau darum geht es Eliza jetzt bei ihrem Projekt: zu zeigen, dass man zwar über vermeintliche Kleinigkeiten wie diesen Satz hinwegschauen kann, dass diese aber einen großen Einfluss auf die Gefühlslage der Betroffenen haben können. Dass Belästigung schon da anfängt, wo die Täter noch nicht einmal anfangen, über ihr Verhalten nachzudenken.

 

„Die meisten erzählen mir mindestens drei Geschichten, aus denen ich eine aussuchen soll“

 

Dass aus dieser Forderung tatsächlich ein ganzes Fotoprojekt entstand, kam vor allem dadurch zustande, dass sie ihren Freunden von dem Vorfall erzählte. Danach tauschten sich alle Frauen in der Runde stundenlang über sexuelle Belästigungen aus, die ihnen widerfahren waren. Die anwesenden Männer waren schockiert darüber, wie stark sexuelle Belästigung das Leben von Frauen beeinflusst. Sie hatten derartige Geschichten noch nie gehört.

 

Seit einigen Monaten läuft deshalb Elizas Projekt. Anfangs fragte sie noch Freundinnen, ob sie ihre Geschichten teilen und einige Fotos von sich machen lassen würden. Dabei überraschte sie selbst, dass sie nicht einmal fragte, ob sie denn schon einmal sexuell belästigt worden seien. Tatsächlich hatten auch alle schon derartiges erlebt. Heute melden sich Frauen, die nicht weiter schweigen wollen, von selbst bei ihr, den Großteil kannte sie zuvor nicht. „Die meisten erzählen mir mindestens drei Geschichten, aus denen ich dann eine aussuchen soll“, erzählt Eliza.

 

Wie wichtig Elizas Projekt tatsächlich ist, wird ihr übrigens immer wieder an den Orten, die sie den Frauen eigentlich wieder zurückgeben wollte, klar: „Beinahe bei jedem Shooting für 'Cheer up Luv' kommen Männer vorbei, die uns sexuell belästigen.“

 

 

 

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