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So finden Menschen jetzt online Befriedigung

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Ein Stück von ihrem Partner hat Laura* zu Hause bei sich. Seinen Penis. Vor Monaten waren die beiden in einem Sexshop und haben sich ein Kit gekauft, mit dem Paare ihre Genitalien nachformen können. Erst einen Abdruck machen, diesen mit Silikon auffüllen und heraus kommen zwei personalisierte Sexspielzeuge. „Leider ist die Qualität nicht sehr gut“, sagt Laura, die eine Fernbeziehung führt – ihr Partner lebt in Italien. Schon vor Corona haben sie viel über das Internet geregelt: Sex- und Liebesleben über Apps, Cam und Chat. Doch jetzt, da sie sich gar nicht mehr sehen können, muss alles digital stattfinden. So wie Laura und ihrem Partner geht es gerade vielen Menschen. Die Corona-Isolation hat Paare räumlich getrennt und macht es Singles schwer, noch ein Sexleben zu haben. Vor allem jene, die aus Angst vor Ansteckung gerade keine physischen Sexdates haben wollen, müssen Wege finden, dennoch befriedigt zu werden. Für einige ist digitaler Sex der Ausweg.

„Wir haben ,XConfessions‘ für uns entdeckt, schon bevor die Pandemie begonnen hat“, erzählt die 33-jährige Laura. „XConfessions“ ist eine App, durch die Paare feststellen können, welche Vorlieben sie haben. Wie in „Tinder“ swipet man nach links oder rechts, wenn man etwa eine Karte vorgelegt bekommt, auf der steht „Ich stehe auf Dreier“. Gibt es ein Match, können die Paare darüber sprechen – und es ausprobieren. „Das muss einem nicht peinlich sein, der Partner sieht nur die Kinks, die er auch selbst mag“, sagt Laura. So hätten sie sich also schon vor der Isolation viel über Sex ausgetauscht, die Fernbeziehung habe das provoziert. „Wenn wir uns alle paar Wochen getroffen haben, ging es oft schnell zur Sache, dann haben wir das ausprobiert, worüber wir vorher gesprochen haben.“

Nach einigen Recherchen hat Laura ein sogenanntes „Long Distance Sextoy“ gefunden

Jetzt aber sehen sie sich vorerst gar nicht mehr. Also probieren sie vieles im Internet aus. „Wir treffen uns zu Video-Dates, machen uns dafür extra schick“, sagt sie. Auch Telefon- oder Camsex gehören nun zum Alltag. „Das machen wir nun viel geplanter. Wo es vorher einfach so dazu kam, nehmen wir uns das nun fest vor.“ Dadurch sei die Kommunikation intensiver geworden. Da der Körper fehlt, müssten beide dem anderen genau mitteilen, was sie sehen und hören wollen. „Demnächst wollen wir uns zusammen eine neue Pornoseite ansehen, auf der echte Paare Videos hochladen“, erzählt Laura.

Einen Ersatz für den physischen Kontakt haben sie auch gefunden. Nach einigen Recherchen hat Laura ein sogenanntes „Long Distance Sextoy“ gefunden. Das sind Sexspielzeuge, die Menschen zusammen nutzen können, auch wenn sie nicht im gleichen Raum sind. „Es gibt viele, die nur über Bluetooth funktionieren“, sagt Laura. Also nur auf kurze Distanz. Doch nun habe sie eines bestellt, das bis nach Italien reicht. „Das ist ein Vibrator und ein ,Fleshlight‘, eine künstliche Vagina, die aussieht wie eine Taschenlampe, in die man eindringen kann. Wenn er eindringt, vibriert entsprechend der Penisersatz.“ Sie sei schon immer ein Tech-Freak gewesen, sagt Laura.

Sandra Gathmann ist auch aufs Digitale umgestiegen. Sie ist Paar- und Sexualtherapeutin in Berlin und bietet derzeit Online-Beratung an. „Natürlich ist es besser, die Klient*innen in der Praxis zu haben, allein, um auf die Körpersprache achten zu können“, sagt sie. Zudem nehmen nicht alle Altersstufen dieses Angebot auch an – die unter 40-Jährigen tun es deutlich häufiger als ältere Menschen. „Viele Paare sind vor die Herausforderung gestellt, die Distanz nicht mehr regulieren zu können“, sagt Gathmann. Da gebe es nun viel Konfliktpotenzial bei Paaren. „Ich denke, dass ich gerade nach den Ausgangsbeschränkungen sehr viele Anfragen bekommen werde.“

Wir sollten die Isolation dazu nutzen, den eigenen Körper zu entdecken

Doch auch alleinlebende Menschen könnten gerade mit ungeahnten Problemen konfrontiert sein. „Es gibt Menschen, die einen beziehungsorientierten Zugang zu Sex haben“, sagt sie. Diesen Personen falle es gerade schwerer, mit der Isolation umzugehen, da sie eher Lust auf Sex mit Partner*innen verspüren. Für sie sei die Beziehungspflege besonders wichtig. „Es gibt aber auch Menschen, die vor allem Bestätigung und Abenteuer in Sex suchen.“ Und gerade für diese Menschen könnte das Internet mit seinen vielen Möglichkeiten eine spannende Sache sein.

„Wir sollten uns davon verabschieden, dass Sex lediglich das ist, was wir mit unseren Geschlechtsteilen so anstellen“, sagt Gathmann. Denn da gebe es noch so viel mehr: das Investieren in die eigene Sexualität etwa. Erfahren, was man eigentlich selbst mag. Mit anderen über Sex sprechen. Sogar sich eine Badewanne einzulassen oder Yoga können zur Befriedigung beitragen. „Wir haben auch das Gehirn und den restlichen Körper als Sexualorgan“, erklärt die Sexualtherapeutin. Und so sieht sie diese Corona-Pause auch als Möglichkeit. Als einen Raum und einen Ort, an dem Menschen sich fragen können, was sie eigentlich von Sex und Sexualität wollen. Was sie mögen und was nicht. Etwa Masturbation entdecken als ein Erkunden des eigenen Körpers, fernab von dem Gedanken, Leistung zu bringen, das Gegenüber befriedigen zu müssen.

Beim Cam-Sex traute sich Andreea Dinge, vor denen sie sich sonst gescheut hat

„Wer kann mich besser zum Orgasmus bringen als ich mich selbst?“, fragt Andreea. Sie hatte durch Corona zum ersten Mal Cam-Sex. „Ich habe einen Typen bei Tinder kennengelernt und sofort gemerkt, dass das passt. Wir haben uns schriftliche Anweisungen gegeben, was der jeweils andere machen soll“, erzählt sie. Das sei sehr intim und intensiv gewesen, sie habe sich Dinge getraut, vor denen sie sich sonst gescheut habe. „Dabei habe ich auch mich selbst gesehen. Dass der Arsch vielleicht eine Falte hat oder der Bauch eine Rolle. Aber das war mir so egal in den Moment, total befreiend“, sagt Andreea. 

Ihre Gesichter haben die beiden während des Cam-Sex nicht gezeigt, auch aus Sicherheitsgründen. „Natürlich habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob da Screenshots entstehen und dann Bilder von meinem Körper irgendwo im Internet kursieren könnten“, sagt Andreea. Am Ende habe sie aber auch gedacht: „Wenn ich mich ganz real mit einem Mann treffe, den ich über Tinder kennengelernt habe, und dann nach dem Date noch mit ihm nach Hause gehe, dann kann ich auch nicht sicher sein, dass mir nichts passiert.“

Bis vor einem Jahr war Andreea noch verheiratet. Nach der Cam-Erfahrung frage sie sich, wieso sie so etwas eigentlich nie mit ihrem Mann gemacht habe, erzählt sie. „Erst jetzt habe ich mir meinen ersten Dildo gekauft. Vorher dachte ich immer: Naja, ich habe ja meinen Mann. Mein Dildo liegt also sozusagen neben mir im Bett“, sagt Andreea. Doch nun, da sie auf sich allein gestellt ist und aufgrund der Corona-Isolation niemanden physisch kennenlernen möchte, hat sie das Sexspielzeug für dich entdeckt. „Eine Freundin hat mich erstaunt gefragt, wieso ich erst jetzt einen Dildo gekauft habe. Ich konnte ihr keine Antwort geben.“ Tatsächlich sind die Suchanfragen für Sexspielzeuge und Versandhäuser für Dildos, Vibratoren oder Cockrings stark angestiegen. Eine Keyword-Recherche ergibt: Mitte bis Ende März erlebten diese Suchanfragen einen Jahres-Höhepunkt.

„Für mich war das ein emanzipatorischer Akt: Ich habe virtuellen Sex, weil ich Sex haben will“, sagt Andreea. Das sei für sie ein Perspektivwechsel gewesen: Sex nicht als Gefallen, weil sie etwa zu einem Essen ausgeführt wurde. Sondern einfach, weil sie erregt war und der richtige Typ am anderen Ende des Bildschirms saß. „Ich werde das wieder machen, auch nach Corona“, sagt sie.

Sex über Facetime ist besser als gar kein Sex

Ähnlich geht es Melanie, die ebenfalls anonym bleiben möchte. „Ich mache gerade vieles: Sexting, Video-Sex, Nacktbilder schicken“, sagt sie. Es seien vor allem Personen, die sie schon vor Corona kannte, mit denen sie das nun mache. „Man kann sich gegenseitig den ganzen Tag auf Spannung halten.“ Hier ein Nacktfoto schicken, dort eine sexuelle Nachricht schreiben. „Ich würde mich schon auch gerne wieder verabreden“, sagt sie. Aber gerade seien die digitalen Möglichkeiten sehr komfortabel. Zumal die Kinder konstant in der Wohnung seien und sie sich die Freiräume suchen müsse, um den Spaß am Sex nicht zu verlieren.

Flo hat gerade nur eine Kontaktperson. „Wir kannten uns schon länger, doch haben vor Corona entschieden, dass wir Sex haben möchten“, sagt er. Sie habe mit ihm ihr erstes Mal gehabt, doch oft können sie sich nicht sehen. Flo wohnt in einem kleinen Ort in der Nähe von Kassel, er arbeitet in der Landwirtschaft, hat wenig Zeit. Zudem gehört die Mutter seiner Partnerin zur Risikogruppe, daher halten sie den Kontakt gering. „Also treffen wir uns nun oft digital, haben dann Facetime-Sex“, sagt Flo. Dabei gebe er den Ton an: „Ich bin beim Sex eher dominant und sage ihr dann genau, was sie tun soll.“ Ihr gefalle das. Doch sei es eine Umstellung gewesen, mündliche Anweisungen zu gehen. Sonst ergebe sich das eben einfach so, von Körper zu Körper.

Den Silikon-Penis ihres Partners benutzt Laura gerade kaum. Doch ist sie froh, sich schon vor Corona intensiv mit ihrer Sexualität auseinandergesetzt zu haben. „Ich folge vielen Instagram-Accounts, in denen es um Sex Positivity geht“, sagt sie. Zudem habe sie in ihrer Fernbeziehung entdeckt, dass sie gerne in einer offenen Beziehung lebt und andere Sexualpartner und -partnerinnen mit ins Bett holt, ob nun virtuell oder nicht. „Diese Auseinandersetzung mit dem, was ich mag und möchte, hilft mir gerade“, sagt sie. Auch wenn sie sich natürlich sehr darauf freue, ihren Partner in Italien irgendwann wieder sehen zu können.

*Laura heißt nicht wirklich so. Wegen ihres Arbeitgebers möchte sie lieber nicht, dass ihr richtiger Name in diesem Text steht.

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