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„Viele Männer denken, dass sie es sich erlauben können, mich anzufassen“

Illustration: jetzt

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„Ich trage Kopftuch, seit ich 14 Jahre alt bin. Das schützt mich aber nicht davor, in Ägypten auf der Straße sexuell belästigt zu werden. Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, dass ich als Frau mit Hijab in manchen Vierteln eher sexuell belästigt werde, weil das Kopftuch für viele ein Symbol der unteren Klasse ist. Einige Männer denken, dass sie es sich erlauben können, mich anzufassen. Denn ärmere Frauen haben nicht die Macht, sich gegen sexuelle Gewalt zu wehren.

Sexuelle Gewalt ist nicht nur ein großes gesellschaftliches Problem in Ägypten, sie ist auch eine große Belastung für uns Frauen. Trotzdem sehe ich mich nicht als Opfer. Denn die vergangenen Monate haben gezeigt, dass wir uns wehren können: In den sozialen Medien haben ägyptische Frauen ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt geteilt – und eine Welle der Solidarität angestoßen. Auslöser war der Fall des Studenten Ahmad Zaki, der über hundert Frauen sexuell angegriffen, vergewaltigt oder zum Sex genötigt haben soll. 

In meinem Freundeskreis gibt es nur noch wenige Frauen, die Kopftuch tragen. Viele meiner Freundinnen haben in den vergangenen Jahren sowohl ihren Glauben als auch ihr Kopftuch abgelegt. Auf Partys in Ägypten bin ich deswegen oft die einzige Frau, die Kopftuch trägt. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es deswegen eine unsichtbare Barriere zwischen mir und den anderen gibt. Trotzdem werde ich den Schleier nicht abnehmen, denn er ist Teil meiner religiösen Identität und ein Symbol meiner persönlichen Beziehung zu Gott.

Viele Ägypterinnen haben Vorurteile gegenüber Frauen mit Kopftuch und denken, dass die konservativ und streng religiös seien. Außerhalb von Ägypten ist es noch schlimmer. Ich arbeite bei einer NGO und bin deswegen regelmäßig in Europa. Dort werde ich oft angestarrt und mit Fragen bombardiert: Warum trägst du ein Kopftuch? Was hältst du von Schwulen? Wenn ich ihnen sage, dass ich Homosexualität völlig normal finde, sind meine Gesprächspartner meistens überrascht. Für viele bin ich eine Frau, die liberal denkt, obwohl sie ein Kopftuch trägt. Dabei ist mein Kopftuch ein wichtiger Teil meiner Persönlichkeit.

„Wenn eine Gruppe Männer auf mich zu geht, wechsle ich schon mal die Straßenseite“

Meine erste Erfahrung mit sexueller Belästigung habe ich in Europa gemacht. Ich war 18 Jahre alt und machte mit einer Freundin Urlaub in Rom. Während einer Busfahrt spürte ich eine Hand an meinem Hintern. Eine Sekunde später war die Hand wieder weg und der Täter aus dem Bus gestiegen. Ich hörte, wie er sich draußen am Telefon auf Arabisch unterhielt. Er war offenbar Ägypter. In diesem Moment fühlte ich mich komplett hilflos. Seit diesem Tag wurde ich viele weitere Male sexuell belästigt, meistens in Kairo. Die ständige Bedrohung, in Kairo auf der Straße sexuell belästigt zu werden, beeinflusst mein Verhalten. Wenn eine Gruppe Männer auf mich zu geht, wechsle ich schon mal die Straßenseite. Außerdem bin ich inzwischen eine Meisterin darin, meine Tasche so zu tragen, dass sie meinen Hintern verdeckt. Einmal hat mir ein Mann auf die Schulter getippt. Ich drehte mich um und war bereit zum Angriff. Doch er suchte nur nach einer Straße.

Seitdem Hosni Mubarak 2011 gestürzt worden ist, sind wir der sexuellen Befreiung aber auch einen Schritt näher gekommen. Es gab Demonstrationen und Kampagnen gegen sexuelle Belästigung. Zudem haben viele Frauen ihren Schleier abgenommen. Obwohl ich selbst Kopftuch trage, freue ich mich für jede Frau, die etwas abnimmt, das sie nicht mehr tragen möchte. Im vergangenen Jahr kam es in Ägypten in den sozialen Medien zu einem erneuten Aufleben von MeToo. Ich finde es wichtig, dass Frauen ihre Erlebnisse mit sexueller Gewalt öffentlich machen. Ich bin überzeugt: 99 Prozent der ägyptischen Frauen haben Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht. Aber wenn keine dieser Frauen darüber spricht, können sich auch diese 99 Prozent sehr allein fühlen.

Auch in meinem Freundeskreis haben Frauen ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt geteilt. Im Mai bekam ich eine Nachricht: „Hast du von Zawawy (Name geändert) gehört?“ Ich dachte nur: Oh nein, nicht auch er. Zawawy ist, nein, war ein guter Freund von mir. Eine Freundin hatte auf Facebook gepostet, dass er sie mehrere Male sexuell belästigt und emotional erpresst hatte. Am selben Tag schrieb mir eine andere Freundin: „Glaubst du den Vorwürfen?“ Ihre Frage fühlte sich wie ein Test meiner Überzeugung an, im Zweifel den Klägerinnen zu glauben und nicht den Angeklagten. Ich schrieb: „Ja, ich glaube ihr.“ Sie antwortete: „Gut. Zawawy hat auch mich missbraucht und ich hatte nie den Mut, es zu sagen.“ Das hatte sie bis zu diesem Tag auch nicht vor. Doch als ihre Freundin an die Öffentlichkeit gegangen war, fühlte sie sich verpflichtet, ihr beiseite zu springen.

Denn leider gibt es in Ägypten immer noch genug Menschen, die sich öffentlich mit den Tätern solidarisieren. Das ist auch in den vergangenen Monaten immer wieder passiert. Gleichzeitig hat mir die Welle der Solidarität mit den Frauen die Hoffnung gegeben, dass die Lage in Ägypten endlich besser wird. Zu einer gesellschaftlichen Veränderung wird es aber nur dann kommen, wenn der Aufschrei in den sozialen Medien auch jene Frauen erreicht, die nicht genug Geld oder Bildung haben, um sich online mitzuteilen. Nur wenn der mediale Aufschrei in den Straßen widerhallt, habe ich die Hoffnung, dass ich eines Tage in Kairo auf die Straße gehen kann, ohne sexuell belästigt zu werden.“

*Doaa heißt eigentlich anders. Ihr richtiger Name ist der Redaktion bekannt.

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