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Selfies von Soldaten
Das Foto zeigt Mitglieder der irakischen Anti-Terror-Einheit. Sie haben am vergangenen Wochenende gemeinsam mit schiitischen Milizen Falludscha zurückerobert, nach einer mehr als zweijährigen Besetzung durch den „Islamischen Staat“. Die jungen Männer posieren als Gruppe vor einer Wand, die mit der IS-Flagge bemalt ist, einige grinsen, einige machen das Victory-Zeichen, viele von ihnen tragen ihre Waffe. Auch der Mann mit dem Grübchen im Kinn, der ganz vorne steht, ein wenig abseits der Gruppe, ihr den Rücken zukehrend. Während seine linke Hand auf dem Sturmgewehr ruht, hält er in der rechten, die er in die Luft reckt, sein Handy. Er macht ein Bild von sich und seinen Kameraden. „Selfie in Zeiten des Krieges“ steht unter diesem Foto, mit dem die Kollegen der SZ den Text über die Rückeroberung Falludschas bebildert haben.
2014 war angeblich „Das Jahr des Selfies“. Vermutlich wegen Ellen DeGeneres’ Oscar-Selfie. Aber auch vorher gab es die Handy-Selbstporträts und nachher sind es eher mehr als weniger geworden. Ein typisches Selfie zeigt einen Menschen, der sich so inszeniert, wie er sich selbst gerne sieht oder in diesem Moment gesehen werden will: frisch geduscht, frisch frisiert, frisch geschminkt, glücklich, sonnengebräunt, gut gelaunt, manchmal auch absichtlich verschlafen, verrotzt, verheult oder mit Pickel, um dem Selfie-Wahn contra zu geben, das aber dann mit sehr selbstbewusster Ausstrahlung. Selfies haben etwas Unbeschwertes, sie fangen einen kurzen, mal fröhlichen, mal albernen Moment ein, hin und wieder auch einen großen, mit Stars oder Politikern. Ihre Aura ist Leichtigkeit und manchmal Naivität. Die kann zu unangemessenen Selfies führen, solche von Beerdigungen oder aus einem ehemaligen KZ. Oder dazu, dass jemand für das perfekte Foto rückwärts zu nah an den Abhang getreten ist oder sich zu lange auf einem Gleis aufgehalten hat. Das ist dann tragisch. Aber es war nicht tragisch gemeint. Kurz zuvor war alles noch unbeschwert.
Für die Soldaten liegen Schießen und Selfies schießen nah beieinander
Bei dem Sieges-Selfie aus Falludscha ist das anders. Kurz zuvor waren die Soldaten noch im Gefecht und alles war das Gegenteil von unbeschwert. Jetzt holen diese jungen Männer sich die Leichtigkeit zurück, indem sie sich als Helden inszenieren und in die Kamera grinsen. Für sie liegen das Schießen und Töten im Krieg und das Schießen und Teilen von Selfies nah beieinander, so nah, wie sich die Waffe in der linken Hand des Soldaten und das Handy in seiner rechten Hand sind. „Krieg in Zeiten des Selfies“ hätte man auch unter das Bild schreiben können.
Geht auch alleine.
Schon Ende Mai machten Soldaten in Falludscha Fotos von sich selbst im Kampf gegen den IS.
Militär-Selfies gibt es auch anderswo. Dieser israelische Soldat hat sich Ende Mai 2015 bei einem Einsatz gegen palästinensische Demonstranten im Westjordanland fotografiert.
Dieses Foto ist nicht das einzige von Selfie-Soldaten aus Falludscha (s.o.). Und diese Fotos aus Falludscha sind nicht die einzigen Militär-Sefies. Es gibt viele davon (wenn auch nicht immer aus dem Krieg oder einem Einsatz). Stolz und maskiert, grinsend und kollegial, mit einem Fan posierend oder mit Wladimir Putin. Und apropos Putin, im vergangenen Jahr bewies die Vice, dass (entgegen der Behauptung der russischen Regierung) russische Soldaten in der Ukraine waren – mit Selfies, die diese dort von sich gemacht hatten. Und der Trend zum Militär-Selfie lässt sich auch anhand eines Satire-Artikels bestätigen: Bei der US Army, steht darin, gäbe es jetzt einen speziellen, taktischen Selfie-Stick namens „Click Click Zoom“!
Für den Betrachter können Militär-Sefies gleichzeitig irritierend sein und Nähe herstellen. Irritierend sind sie durch das Zusammenprallen der als eitel, naiv und unbeschwert wahrgenommenen Selfie-Kultur mit der Härte eines potentiellen oder tatsächlichen Krieges. Wenn auf einem Selfie statt Badezimmerspiegel, Urlaubspanorama oder Partyfreunden auf einmal Waffen, Helme und Masken zu sehen sind, wird der Krieg aus einer weit entfernten Realität in eine jedem von uns ganz nahe Virtualität überführt. Und das erzeugt wiederum Nähe. Es zeigt, dass da junge Menschen, freiwillig oder gezwungenermaßen, bereit sind, andere Menschen zu töten – und dass sie davor und danach das Gleiche machen wie alle anderen auch. Sich selbst und ihr Leben fotografieren und die Fotos mit Freunden und Bekannten teilen. Das machen sogar die IS-Kämpfer, bei denen es vor zwei Jahren den Trend gab, sich mit niedlichen Tieren oder mit westlichen Produkten zu fotografieren. Sturmgewehr und Nutella-Glas. Krieg und Alltag, nah beieinander.
Der Typ hatte in den zerbombten Häuserschluchten von Falludscha also die ganze Zeit sein Smartphone in der Tasche?
Auffällig ist, dass die Fotos, die zeigen, wie ein Selfie gemacht wird, einen größeren Eindruck hinterlassen, als die Selfies selbst. Denn auf ihnen betrachtet man den Moment von außen und fühlt sich, als würde man einen besonderen, intimen Moment miterleben, ohne Teil davon zu sein. Ein Detail wirkt dabei besonders nach: dass das Handy mit im Bild ist. Es scheint hier irgendwie fehl am Platz. Der Typ mit dem Grübchen im Kinn ist also in Falludscha die ganze Zeit mit seinem Smartphone in der Tasche durch zerbombte Häuserschluchten gerannt und hat Dschihadisten gejagt? Und währenddessen kam vielleicht eine Whatsapp-Nachricht von einem Freund an? Und als er sich gerade hinter einer Ecke duckte, kletterte die kleine rote Zahl, die die Nachrichten anzeigt, von zwei auf drei? Und als alles vorbei war, da zog er das Handy aus der Tasche und schrieb seinem Freund „Es ist vorbei“ zurück? Und dann bat er seine Kameraden, die sich für den Pressefotografen aufgereiht hatten, doch noch einen Moment stehen zu bleiben, hob sein Handy an, machte ein Selfie und schickte das auch noch an seinen Freund? So stellt man sich Krieg ja nicht vor. Aber wahrscheinlich ist er genau so. Wahrscheinlich ist er so schrecklich und so banal.
Und genau davon und dafür geben die Militär-Selfies einem ein Gefühl. Wenn man sich dieses eine Bild aus Falludscha mal genauer anschaut, dann sieht man, neben dickeren und dünneren Jungs, neben erleichterten und gezeichneten Gesichtern, auch, dass noch vier weitere Soldaten ihre Handys in der Hand haben. Einer ist sogar so beschäftigt mit seinem, dass er nicht mal in die Kamera des Pressefotografen schaut. Vielleicht schreibt auch er irgendwem, dass es vorbei ist. Vielleicht haben auch er und seine Kollegen die Chance genutzt, ein Selfie zu machen. Vielleicht postet er seines gerade irgendwo.
Das Handy ist vermutlich der einzige Alltagsgegenstand, der jemals auf dem Gruppenfoto einer siegreichen Armee kurz nach ihrer Offensive auftauchen wird. Und die Militär-Selfies sind Fotos, die noch viel unmittelbarer aus dem Krieg zu uns kommen als jedes Pressefoto. Durch den Selfie-Trend gibt es jetzt immer öfter Bilder, die den Betrachter über das Bild hinaus denken lassen, hinein in das Leben der Soldaten abseits des Kriegs. Es lässt ihn überhaupt erst daran denken, dass sie ein Leben haben. Und dass sie es, wie alle anderen auch, mit ihren Mitmenschen teilen wollen.