Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Wenn Youtuber in „Youtube-Rente“ gehen

Foto: Philipp Gladsome, Tobias Holzweiler; Bearbeitung: jetzt

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Ein junger Mann läuft nach Hause. Es ist schon dunkel. Ein langer Tag liegt hinter ihm. Er hat ein neues Video gedreht, ein altes geschnitten und ein Interview gegeben. Kurz bevor er vor der Haustür ist, stoppt er. Er spürt einen Blick in seinem Rücken. Das könnte ein Fan sein. Lieber noch einmal um den Block gehen. Er darf nicht riskieren, dass ihn jemand verfolgt. Es soll keiner wissen, wo er wohnt. 

Das könnte ein typischer Abend in dem Leben von Oguz Yilmaz gewesen sein. Er war gemeinsam mit Phil Laude und Matthias Roll Macher von dem Youtube-Kanal Y-Titty, der zwischenzeitlich der erfolgreichste Kanal Deutschlands war. Das bekannteste Video wurde 23 Millionen mal geklickt. Sieben Jahre lang hat das Trio Comedy, Parodien und Musikvideos gedreht. Noch heute zählt der Kanal 3 Millionen Abonnenten. Nach zehn Jahren aber löst sich das Trio 2016 auf. Der Kanal steht still. Warum hören die erfolgreichen Youtuber zum Höhepunkt ihrer Karriere plötzlich auf?

Nicht nur die Gruppe Y-Titty geht als eine der ersten Youtube-Generationen in „Youtube-Rente“. Auch die Zwillinge Roman und Heiko Lochmann, besser bekannt als „die Lochis“, entscheiden sich das Youtube-Kapitel nach acht Jahren zu schließen. Sie sind damals erst zwanzig Jahre alt. Wo einige noch nicht einmal ins Arbeitsleben starten, haben die Zwillinge schon eine Fanbase von 2,6 Millionen Abonnenten aufgebaut. Zuletzt arbeiten sie in einem Team mit fünf festen Angestellten.

„Wenn ich auf die Youtube-Welt blicke, denke ich jetzt immer: Ich bin zu alt dafür“

Als sie Teenager waren, hatten Y-Titty und die Lochis viele spontane Ideen für Youtube-Videos, die sie und viele andere witzig fanden. Die einen stellten das Pokemonspiel mit echten Personen nach. Die anderen  verarschten Leute auf der Straße. Aber findet man den gleichen Content auch noch witzig, wenn man 20 oder 25 ist? Kann man seiner Marke dann noch treu bleiben? Oguz sagt dazu: „Wenn ich auf die Youtube-Welt blicke, denke ich jetzt immer: Ich bin zu alt dafür. Obwohl ich auch erst 28 bin.“ Am Ende hätte es sich nicht mehr richtig angefühlt, Videos in dem Stil von Y-Titty zu drehen. Auch Heiko und Roman wollten authentisch bleiben. Und das bedeutet, dass sie aufhören müssen. „Wir sind den Lochis entwachsen“, sagen sie. „Wenn wir weitermachen würden, hätten wir irgendwann nur noch eine Rolle gespielt.“

Früh berühmt zu werden, verändert das Erwachsenwerden. Anstatt wie Klassenkameraden nach dem Abitur zu reisen und studieren, ist Oguz nach der Schule nach Köln gezogen – in eine WG mit Phil und Matthias, um sich voll auf Youtube zu konzentrieren. In dieser Zeit habe er das Busfahren morgens und mittags gemieden, um potenziellen Fans auf dem Schulweg aus dem Weg zu gehen. „Teilweise konnte ich auch nicht in Ruhe bei McDonalds essen, ohne von Kids belagert zu werden.“ 

Auch Heiko und Roman wurden früh berühmt. Zu ihrem Schulabschlussball konnten sie nicht gehen, weil sie zeitgleich ein Konzert gespielt haben. Das verpasst zu haben, bereuen sie aber nicht, wie sie sagen. „Ich meine, was ist besser? Ein Abschlussball? Oder ein Konzert vor tausend Leuten spielen? Es gibt ja keine Formel, wie man seine Pubertät durchmacht. Jeder erlebt das anders“, findet Heiko.

„Manchmal haben wir nicht geraucht, weil wir Angst hatten, heimlich fotografiert zu werden“

Schattenseiten sehen die Zwillinge in ihrem frühen Ruhm eher darin, nicht jedem trauen zu können. Eine Zeit lang haben die beiden geraucht. Das sollte nicht an die Öffentlichkeit geraten. „Das geheimzuhalten, war stressig. Da wird man paranoid. Manchmal haben wir nicht geraucht, weil wir Angst hatten dabei heimlich fotografiert zu werden.“ Ihnen seien auch schon Freundschaften von Menschen vorgespielt worden, die von dem Ruhm profitieren wollten. 

Und was machen die Youtube-Stars heute? Oguz ist heute Manager für aktuelle Youtube-Stars, zum Beispiel der Influencerin Mirella, die auf Youtube als mirellativegal zu finden ist. Er kümmert sich vor allem um Mailverkehr, Verhandlungen und Werbedeals. Oguz möchte seine Reichweite nicht mehr nur für Comedy nutzen. „Ich setze mich seit vier Jahren für Veganismus, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit ein.“ Damals habe er noch nicht die Sensibilität für diese Werte gehabt. „Die Karriere war uns wichtiger.“ 

Heiko und Roman haben zwar Youtube, aber nicht der Öffentlichkeit den Rücken zugekehrt. Sie haben (mit 20 Jahren!) eine Biografie über ihr Leben geschrieben und sind damit momentan auf Lesereise. Außerdem kommt ihr Film „Takeover“ im April 2019 in die Kinos. Die beiden haben sich früher unter Druck gesetzt, nur Videos zu produzieren, die auch bei der breiten Masse funktionieren. „Wenn du zwei Tage lang zu Hause sitzt und eine geile Idee für einen Sketch hast, das Video aufwändig produzierst und deine ganze Leidenschaft da eingeflossen ist, kriegst du vielleicht nicht so viele Klicks, nur weil du die Trends nicht bedienst“, erklärt Roman. Heute können sie kreativ arbeiten, ohne Klickzahlen im Kopf zu haben. Zum Beispiel beim Schreiben von Songtexten.

„Wir wurden im Radio nicht gespielt, weil wir die Lochis auf Youtube sind“

Seitdem die Zwillinge mit den Lochis aufgehört haben, werden sie von der Medienwelt viel ernster genommen, finden sie. „Wir wurden vorher im Radio nicht gespielt, weil wir die Lochis auf Youtube waren“, sagt Heiko. „Mich stört dieses scheiß Schubladendenken. Ein Musiker, der durch Youtube erfolgreich wurde, ist nicht weniger ein Musiker, als der, der mit Straßenmusik angefangen hat. Das ist doch Quatsch. Jeder findet seinen eigenen Weg zur Bühne.“ Jetzt merke man schon an den Fragen in Interviews, dass sie weniger belächelt werden.

Einen richtigen Plan B hatten Heiko und Roman nie so richtig. Einer wollte mal Pilot werden, der andere Fußballstar. Da ihnen aber schnell klar wurde, dass sie von Musik und Comedy leben können, haben sie sich gar keine Gedanken um eine Alternative machen müssen. Oguz hingegen habe mit Y-Titty im Verhältnis zu den Youtubern heute nicht viel Geld verdient. „Dafür, dass wir eine lange Zeit der größte deutsche Youtube-Kanal waren, haben wir manchmal in zwei Monaten nur eine Kooperation bekommen“, sagt Oguz. Da sie laufend sehr viel Geld in neue Projekte investiert hätten, sei gar nicht so viel für jeden abgefallen. Sein Plan B war deshalb, Chemie zu studieren. Dieser Back-up-Plan habe ihm Sicherheit gegeben. „Jetzt bin ich aber froh, dass ich nicht zur Uni gegangen bin und unter anderem als Social-Media-Berater Fuß fassen konnte.“

  • teilen
  • schließen