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Was sind die Strategien rechter Youtube-Kanäle?
Patrick Stegemann, 30, ist Journalist – und Experte für rechtsextreme Netzwerke. Gemeinsam mit seinem Kollegen Sören Musyal veröffentlicht er jetzt ein neues Buch zum Thema: „Die rechte Mobilmachung – Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen“. Zwei Jahre recherchierten die beiden, führten Interviews, schleusten sich mit Fake-Accounts in rechte Telegramm-Gruppen ein. Ihr Befund: Vereine und Stiftungen finanzieren rechte Influencer*innen, um Menschen in die rechte Szene zu locken. Im Interview erzählt Patrick, welche Strategien die Rechten haben – und wie das unsere Gesellschaft beeinflusst.
jetzt: Welche Strategie nutzen rechte Youtuber*innen?
Patrick Stegemann: Eine doppelte: Sie bedienen sich der Taktiken und Strategien von gewöhnlichen Influencer*innen. Und sie tun das mehrheitlich mit einem klaren faschistischen Narrativ: ,Wir sind bedroht und müssen uns wehren‘. Es geht häufig um Angst und Wut. Das ist nicht neu, aber es funktioniert im Zeitalter sozialer Medien umso besser.
Was bedeutet das für das Auftreten der Rechten in den sozialen Netzwerken?
Durch das faschistische Narrativ der Bedrohung ist jedes Mittel erlaubt. Für Rechte ist es vollkommen legitim und okay, Hass im Netz zu streuen, Fake-Accounts zu verwenden, Likes zu kaufen, zu lügen. Wichtig ist, dass man eine Feindschaft entweder zu den sogenannten Etablierten oder zum vermeintlich Fremden konstruiert. Auch traditionelle Medien werden angegriffen. Dadurch entfremden sich die Menschen von den traditionellen Medien, außerdem bindet das die Leute an die eigenen Kanäle.
Inwieweit verändert das den politischen Diskurs in Deutschland?
Das Ziel der Rechten ist: Die Menschen mit leichten Themen einzufangen und sie dann zu radikaleren Accounts weiterzuleiten. Dadurch verändert sich das politische Klima und die Grenze des Sagbaren verschiebt sich. Gefährlich ist, wenn dieses Narrativ dann anschlussfähig an den Mainstream wird.
„Identitäre Youtouber*innen versuchen, sich neu und anders zu inszenieren“
Hast du ein Beispiel?
Ein einfaches Beispiel ist Greta Thunberg, eine der Lieblingsfeindinnen der Neuen Rechten. Es gibt ja die wildesten Verschwörungstheorien über sie, zum Beispiel, dass sie von fremden Mächten gesteuert würde. Diese Versatzstücke tauchen bei rechten Youtuber*innen, in AfD-Reden im Bundestag, aber eben manchmal auch in größeren Medien auf. Einen ähnlichen Effekt haben wir beim sogenannten #Omagate gesehene: Trolle und rechte Influencer*innen streuen absurde Narrative, die plötzlich tatsächlich diskutiert werden. Sie halten uns davon ab, über das wirklich Wichtige zu sprechen, Klimaschutz zum Beispiel. Wichtig für dieses Vorgehen ist die permanente Wiederholung: Theorien wie ,In Deutschland herrscht Zensur‘ sind eigentlich absurd. Aber wenn Menschen das aus sieben ganz verschiedenen Ecken hören, dann ist es irgendwann gar nicht mehr so absurd. Dann gewöhnt man sich vielleicht daran und glaubt es.
Ist es auch Teil der Strategie, dass man sich ganz nahbar gibt? Wenn zum Beispiel Martin Sellner, der Chef der ,Identitären Bewegung‘ in Österreich, in Videos Kochtipps gibt?
Total. Dadurch sollen neue Leute erreicht werden, die eigentlich was anderes suchen, zum Beispiel ein gutes Rezept für Wiener Schnitzel. Das Ziel ist, emotionale Barrieren abzubauen. Lange waren Rechtsextreme irgendwelche Typen, die in Wehrmachtsuniformen im Wald unterwegs waren. Jetzt sind sie menschlich, haben Schwächen und Stärken und auch Humor. Identitäre Youtouber*innen wie Sellner oder auch Alexander Kleine versuchen einen Bruch zum Nationalsozialismus und auch zum Neonazismus herzustellen, sich neu und anders zu inszenieren. Schaut man sich die ideologischen Grundlagen und die politische Vergangenheit dieser Leute an, merkt man schnell, dass es mehr Kontinuität als Bruch gibt. Die Inszenierung auf Youtube und anderen Plattformen soll das überdecken helfen.
Wer ist die Zielgruppe von solchen Videos?
Die Accounts richten sich vor allem an junge Menschen. Viele Kanäle richten sich explizit an jüngere Zielgruppen zwischen 14 und 18 Jahren. Wir sehen das bei Alexander Kleine und seinem Format ,Laut gedacht‘ ganz gut. Wir haben ihn in einem Leipziger Café zum Interview getroffen, und neben uns saßen zwei Jugendliche. Die beiden haben immer wieder zu uns geschaut, ganz interessiert. Man hat gemerkt: Sie kennen ihn. Und für die ist er einfach ein Typ, den sie aus dem Internet kennen.
Das klingt so, als ob die Strategien funktionieren würden.
Ja, sie sind angemessen an die Zeit, in der wir leben. Ein gutes Beispiel ist Martin Sellner. Dieser Mann hat früher Hakenkreuze an Synagogen geklebt, war eng verbunden mit Holocaust-Leugner*innen und Alt-Nazis. Er sagt, er sei geläutert. Das kann man ihm glauben oder eben auch nicht. Tatsache ist: Vor 20 Jahren hätte er niemals so viele Menschen erreicht. Das ist jetzt anders, und da hat Youtube ihm geholfen. Die Strategien der Rechten sind häufig klüger als die Youtube-Strategien der großen demokratischen Parteien. Wir haben nach dem Rezo-Video gesehen, wie schwer es für große Parteien ist, sich in den sozialen Medien zu positionieren.
„Faschismus lebt von dem Glauben, man selbst stehe kurz vor der Vernichtung“
Wie stark ist die rechte Community?
Sie haben auf Youtube ein großes Netzwerk. Wenn ein Account gelöscht wird, dann tingelt der Youtuber oder die Youtuberin durch alle anderen Formate und beschwert sich. Dadurch bekommt die Person sehr viel Aufmerksamkeit und erreicht verschiedene Zielgruppen. Sellner zum Beispiel ist überall: bei Klimaleugner*innen, bei bekennenden Antisemit*innen, bei moderateren Accounts.
Also bringt es nicht unbedingt etwas, problematische Accounts zu sperren?
Sperren wirkt schon, denn es kappt die Verbindung zum Mainstream. Die Menschen verlieren dann auf einen Schlag ihre Reichweite. Und die wenigsten folgen einem Youtube-Account zum Beispiel zu anderen Plattformen wie Telegram. Das Ausweichen auf Alternativ-Plattformen ist aber auch gefährlich, weil es zu einer Radikalisierung führen kann. Die Sprache entgleitet, wenn ein Netzwerk gar nicht mehr moderiert wird. Ein weiterer Punkt: Faschismus lebt von dem Glauben, man selbst stehe kurz vor der Vernichtung. Und das wird verstärkt, wenn man in die Ecke gedrängt wird, zum Beispiel, indem man von einer Plattform verbannt wird. Wenn solche Gefühle hochkochen, ist es kein Wunder, dass daraus Taten wie der rechte Terroranschlag in Halle entstehen.
Wer finanziert diese Accounts?
Auf der einen Seite sind da Spenden. Martin Sellner zum Beispiel hat von dem Christchurch-Attentäter Geld bekommen. Außerdem ist der rechte Verein ,Ein Prozent‘ sehr aktiv, was die Finanzierung angeht. Er ist Schnittstelle zwischen AfD und außerparlamentarischen Neuen Rechten und propagiert die aktuelle Asylpolitik als ,Umvolkung‘. Teil des Netzwerks sind unter anderem der neurechte Vordenker Götz Kubitschek aus Sachsen-Anhalt oder Jürgen Elsässer, der Chefredakteur des rechten Compact-Magazins. Der Verein hat im Jahr 2018 nach eigenen Angaben 380 000 Euro an rechte Projekte verteilt, wenn auch nicht nur an Youtube-Accounts. Und das hat auf jeden Fall zugenommen. Aber es sind natürlich nicht immer Finanzströme nachweisbar.
Welche Rolle spielt die AfD in diesem Konstrukt?
Sie ist die große Profiteurin. Und sie ist unter anderem über den Verein ,Ein Prozent‘ mit dem digitalen Netzwerk verbunden, mit Hans-Thomas Tillschneider gehört ein AfD-Funktionär zu den Mitgründer*innen. Der Verein hat für die AfD die Wahlkampagne vor Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen gemacht. Die AfD hat das, was keine andere Partei hat: Ein Netzwerk von bis zu 50 Youtube-Accounts, die ganz offen dazu aufrufen, die AfD zu wählen. Das ist ein unbezahlbarer Online-Support. Als die AfD zur sogenannten ,Ersten Konferenz der neuen deutschen Medien‘ in den Bundestag geladen hat, waren da sehr viele rechte Youtuber*innen. Die werden von der AfD gepäppelt. Wir haben keinen Influencer und keine Influencerin gefunden, der oder die so offensiv für eine andere Partei wirbt. Auch der rechte Rapper Chris Ares hat enge Verbindungen zur AfD.
„Die Rechten denken die Reaktion der Medien immer mit“
Die traditionellen Medien sind ja dagegen nicht beliebt bei den Rechten. War es für euch leicht, Gespräche mit zum Beispiel Sellner zu bekommen?
Das ist unterschiedlich. ,Ein Prozent‘ wollte nicht mit uns sprechen. Mit Sellner war es nicht schwer, er ist kooperativ, denn er ist sehr bekannt und weiß, dass er die klassischen Medien braucht. Für uns als Journalisten ist das natürlich ein zweiseitiges Schwert: Wir geben ihnen auch die Aufmerksamkeit, die sie wollen.
Wie kann man gegen diese Radikalisierung im Netz angehen?
Ich glaube, es gibt drei Punkte. Das eine ist die Rolle der Medien. Wir müssen lernen: Wie gehen wir mit dieser Art der Kommunikation um? Denn die Rechten denken die Reaktion der Medien immer mit. Außerdem müssen wir mit eigenen Formaten rein in diese digitale Welt. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Kanäle haben die Kohle und den Auftrag dazu. Und wir müssen schauen, wie unsere Zivilgesellschaft digital funktionieren kann. Wie funktioniert ein CDU-Ortsverein, wie funktioniert die Antifa im digitalen Raum? All das, was Zivilgesellschaft ist, wie funktioniert das in einer wehrhaften, digitalen Demokratie?