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Hat Rezos Video dauerhaft etwas verändert?

Collage: jetzt Foto: dpa

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Für viele war es eine Zeitenwende, die Rezo mit seinem Video „Die Zerstörung der CDU“ im Mai dieses Jahres einläutete. Ein junger Youtuber mit blauen Haaren macht ein fast einstündiges Video mit politischem Inhalt, das viral geht – und die CDU eiskalt erwischt.

Die letzte große Volkspartei hat dem mit 78 Quellen belegten Verriss wenig entgegenzusetzen. Außer einem sechsseitigen PDF, einem Gesprächsangebot und einigen schmerzhaften TV-Erklärungsversuchen ihrer Ersten-Reihe-Politiker*innen. Das ganze Spektakel wirkte ein bisschen so, als wäre die CDU beim Lesen der Apothekenumschau auf dem Klo eingeschlafen. Und Rezo hätte plötzlich die Tür eingetreten und mit einem Megafon hineingeschrien, dass das Haus brennt. Und zwar lichterloh.

„Die Zerstörung der CDU“ wurde 16 Millionen Mal angeklickt und hat Vieles bewirkt, direkt und indirekt. Expert*innen sind sich einig, dass das „Rezo-Video“, gemeinsam mit den Fridays For Future und den Artikel-13-Protesten, das Unions-Ergebnis der Europawahl beeinflusst hat – zumindest bei jungen Menschen. Der Rezo-Effekt. So kam die CDU bei den 18-24-Jährigen auf lediglich 13 Prozent bei der Europwahl. Bei der Bundestagswahl 2017 lag sie in dieser Altersgruppe mit 25 Prozent der Stimmen noch vor allen anderen Parteien.

Langfristig bleibt das Bild einer Partei zurück, der die Digitalisierung fremd zu sein scheint

Natürlich kann man die Wahlen nicht hundertprozentig miteinander vergleichen, aber es ist ein starkes Indiz dafür, dass sich die Meinung junger Menschen über die CDU geändert haben könnte. Zumindest als kurzfristiger Effekt. Tatsächlich offenbarten die politischen Reaktionen auf das Video auch viel über das Selbstverständnis der CDU. So brachte Annegret Kramp-Karrenbauer den Gedanken an eine Zensur solcher Videos vor einer Wahl vor. Wenige Tage zuvor hatte Rezo ein weiteres Video veröffentlicht, in dem Dutzende Youtuber*innen dazu aufriefen, die CDU, CSU, AfD und SPD nicht zu wählen.

Das sei Meinungsmache kurz vor einer Wahl, schimpfte sie. Dass AKK selbst an anderer Stelle sehr wohl auch Meinung macht, (seichte „Witze“ über Intersexuelle und die Unterschicht beim Karneval zum Beispiel), schien da nicht zu gelten. Dann gab es noch eine bereits aufgenommene Video-Antwort vom CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor – die aber im geheimen Computerkeller der Konservativen unter Verschluss gehalten wird. Warum, weiß niemand. Der Satiriker Kurt Krömer verhörte Amthor in seiner neuen Show. Wer ihm denn Angst gemacht habe, das Video zu veröffentlichen? Amthor wackelte zwar, aber fiel nicht um. Er hat offenbar gute Gründe, nicht zu verraten, wer in der Partei die Veröffentlichung verhinderte. Oder warum.

Langfristig bleibt bis heute das Bild einer Partei zurück, der die Digitalisierung und der Wunsch der Bevölkerung nach Transparenz im Großen und Ganzen fremd zu sein scheint. In der junge Menschen im Grunde nichts zu melden haben, außer sie sind innerlich bereits sehr alt. In der große Themen zwar sicherlich kontrovers diskutiert werden – aber offenbar lieber hinter verschlossenen Türen. Es ist ein Politikstil, wie man ihn im Zeitalter vor dem Internet pflegen konnte, weil er für die Mächtigen bequem war. Als man seine „guten Kontakte“ bei Medien hatte, mal hier was streute, mal da ein Interview gab.

Man braucht kein weißes Haar, um etwas zu bewegen

Junge Menschen fühlen sich davon mindestens verschaukelt. Sie wollen, dass sich Politiker*innen verantwortungsvoll um ihre Zukunft kümmern. Und dieser Wunsch wird Interessen geopfert, die sie nicht nachvollziehen können. Die nicht nachvollziehbar sind, weil sie oft nicht transparent gemacht werden. Der Politikberater und Blogger Martin Fuchs sieht das ähnlich: „Oftmals besteht noch großes Unverständnis gegenüber der politisierten Jugend, deren Kompetenz sowie den Formen der politischen Artikulation und Teilhabe.“

Er beobachtet aber zumindest teilweise eine Veränderung im Umgang mit dieser neuen Öffentlichkeit: „Spätestens seit dem Video ist vielen Politiker*innen bewusst, dass relevante Gatekeeper heute keinen Professorentitel, Redakteursjob im Feuilleton oder weißes Haar benötigen, um nachhaltig Einfluss auf die politische Agenda zu nehmen.“ Eine Entwicklung, die von den Rechten bereits längst verstanden wurde. Sie nutzen dabei zwar schamlos alle Hebel der Provokation aus – aber können so viele ihrer Botschaften in Medien und auch in der Gesellschaft platzieren. Auch bei jungen Menschen, weil sie auf deren Kanälen aktiv sind.

Rezos Video war nicht nur deshalb so erfolgreich, weil es die CDU/CSU und auch die SPD scharf kritisierte. Es ging den Zuschauer*innen um den Inhalt. Um die Dinge, die in der Öffentlichkeit so gut wie nie diskutiert werden. Zum Beispiel darum, wie die regierenden Parteien dazu stehen, dass die USA das deutsche Ramstein nutzen, um Tötungen per Drohnen im Nahen Osten und Afrika zu steuern. Und dass das – nach Ansicht vieler Experten und auch deutscher Richter – mindestens in Teilen völkerrechtswidrig sein könnte.

„So viele Videos, in denen Influencer*innen auf Politiker*innen treffen, habe ich zuvor noch nie gesehen“

Oder wie man es als Partei schafft, 99 Prozent der  Wissenschaftler beim Klimaschutz zu ignorieren. Einer, der immer wieder in Ausschnitten im Video gezeigt wurde, ist Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme und Mitgründer von „Scientist for Future“. Er glaubt, dass Rezos Video über die Europawahl hinaus etwas bewirkt hat: „Das Video hat mit dazu beigetragen, dass die Regierung sich genötigt gefühlt hat, ein Klimaschutzpaket zu schnüren, was man sonst nicht gemacht hätte.“ Das klingt erstmal nach einem großen Erfolg. Doch Quaschning schränkt diesen sehr schnell wieder ein: „Wenn ich in ein brennendes Haus einen Eimer Wasser schütte, löst das noch lange nicht mein Problem. Ähnliche bewerte ich das Klimaschutzpaket.“

Und wie steht es um den Kosmos Youtube selbst? Hat das Video dort etwas verändert? Immerhin gibt es dort mittlerweile auch sehr viele Menschen, die unter dem Titel „Die Zerstörung...“ ähnliche Videos veröffentlichen – oder das zumindest vorgeben. Ist das deutschsprachige Youtube also auch ein Platz, an dem eine neue kritische Öffentlichkeit bereits existiert und weiter heranwächst?

Martin Fuchs sagt, er nehme eine verstärkte Politisierung der Youtuber*innen-Szene war, obwohl junge Youtuber*innen immer schon auch politisch gewesen seien, eben nur nicht parteipolitisch: „So viele Videos, wie aktuell in denen Influencer*innen auf Politiker*innen treffen, habe ich zuvor noch nie gesehen.“ Youtube habe aber auch bei Politiker*innen an Relevanz zugelegt, auch wenn viele verstanden haben, dass sie dort selber keinen Erfolg haben werden. „Es fehlen Konzepte und Ressourcen für eigene erfolgreiche Formate. Die Chance zu scheitern ist sehr groß.“ Die Politiker*innen selbst wollen offenbar über das Rezo-Video weiterhin ungern reden. Die CDU ließ einen Fragenkatalog von jetzt dazu unbeantwortet.

Bei der SPD heißt es schriftlich: „Seit dem Rezo-Video haben wir den Austausch mit Youtubern und Influencern verstärkt und verstetigt und auch unsere digitale Kommunikation ausgebaut. Wir wollen als Partei die Menschen überall da erreichen, wo sie sind, also auch im Netz.“ Das klingt zunächst einmal nach Kosmetik. Ob die SPD damit auch dem Ruf nach inhaltlicher Transparenz gerecht werden kann, wird sich zeigen. Rezos Video war eine pointierte Kanalisierung der Kritik, die in vielen anderen Formen bereits zuvor existierte. Es ist aber auch Teil eines neuen, selbstbewussten, kritischen Bewusstseins, dass seine Wirkung auf die Politik immer weiter vergrößern wird. Sei es im Internet. Oder auf der Straße. Das nicht zu verstehen und sich nicht zu ändern, kann sich keine Partei leisten.

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