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Youtube-Auftritte der großen deutschen Parteien: Eine Stilkritik
Mitte des Jahres erschütterte ein Youtube-Video die Politik: „Die Zerstörung der CDU“. Die Partei hat Macher Rezo damit zwar nicht ganz erreicht, immerhin hagelte es aber eine Menge Kritik für die CDU – und für ihren gescheiterten Youtube-Konter. Aber auch allen anderen großen deutschen Parteien wurde fortan immer wieder unterstellt, die Relevanz der Videoplattform zu unterschätzen und sich nicht mit dem vor allem für junge Leute wichtigen Medium auszukennen. Aber ist das wirklich so?
Auf einen Fragenkatalog von jetzt zu diesem Thema hat (trotz mehrfacher Anfragen) keine der Parteien geantwortet. Deshalb müssen wir diese Frage nun wohl selbst beantworten:
Die SPD ...
... hat drei Kanäle. Die Jusos gründeten ihren 2006, 2007 zog die Mutterpartei nach, 2009 schließlich die Bundestagsfraktion.
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Abonnent*innen: 22 000
Views: 8.200.000
Meist gesehenes Video: „Was würdest du tun, wenn du Bundeskanzler wärst?“ mit 682 000 Aufrufen
Genau wie im „Reallife“ ist das SPD-Rezept, um junge Leute zu erreichen, auch auf Youtube: Kevin Kühnert. Seine wöchentliche Rubrik auf dem Juso-Kanal „Auf einen Kaffee mit Kevin Kühnert“ schreit den Zuschauer*innen „Sozialdemokratie“ nur so entgegen. In einer grauen Büroküche zieht sich Kühnert aus einer grauen Kaffee-Maschine einen gräulichen Kaffee. Ein Knopfdruck auf die Maschine, ein kurzer Teaser, welches Thema den Zuschauer*innen im „weekly“ diesmal so erwartet und dann noch ein Satz, mit dem sich jeder von uns Büro-Knechten vollkommen identifizieren kann: „Aber jetzt brauch ich erstmal ‘nen Kaffee.“ Danach folgt ein Monolog über ein aktuelles Thema, dem man schon nach einer Minute kaum noch folgen kann.
Doch es gibt auf dem Kanal noch ein Leben abseits von Kühnert. Während der Suche nach den neuen Parteivorsitzenden zeigte die SPD auf ihrem Hauptkanal, dass sie sich durchaus mit dem Medium Youtube beschäftigt hat. Die zur Wahl stehenden Paare hielten Emojis in der Hand, beantworteten pointierte Fragen zu ihren Positionen. Nicht wirklich innovativ, aber mit mehr als 10 000 Views sind die Videos ein verhältnismäßig erfolgreiches Format.
Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat einen eigenen Kanal, auf dem sie Ausschnitte aus Debatten veröffentlicht und Rubriken wie #Klimafragen oder „Let’s talk about Tax“, mit Klickzahlen im unteren dreistelligen Bereich. Trotzdem: Seit mehr als zehn Jahren betreibt die SPD diesen Kanal und hat dabei nicht einmal eine halbe Millionen Views erreicht.
Die FDP ...
... betreibt zwei Kanäle: ihren Hauptkanal seit 2008, 2018, mit dem Wiedereinzug in den Bundestag, kam ein zweiter hinzu.
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Abonnent*innen: 40 000
Views: 24.900.000
Meist gesehenes Video: 1.300.000 Views – „Lammert schaltet Wagenknecht das Mikro ab“
Auf dem Haupt-Account der FDP ist eher wenig los. Die meistgeschauten Videos: Wahlwerbespot 2017, Wahlwerbespot 2013, danach zehn Jahre alte Videos von Guido Westerwelle und Richard David Precht. Auch hier ein Spiegel der Partei, die ihrer Relevanz vergangener Tage hinterher trauert.
Den Youtube-Auftritt der FDP-Fraktion im Bundestag dominiert Christian Lindner. In Schwarz-Weiß-Optik fläzt er auf ungemütlichen Bürostühlen, neben ihm meist prominente, junge, coole Gäste, oder solche, die die FDP für jung und cool hält. Luisa Neubauer, die Rapper Eko Fresh und Ben Salomo, Esportler und vor allen Dingen Politiker*innen der Union. Ansonsten überall auf dem Kanal präsent: Das Vater Unser des Neokaptialismus. Die Maxime „Zeit ist Geld“ findet sich in fast allen anderen Rubriken wieder: „60 Sekunden, 1 Idee“, „Kurz erklärt“. Kevin Kühnerts Kaffee-Plausch wird zeiteffizient zu „Auf einen Espresso mit Marco Buschmann“.
Doch der Auftritt der FDP gehört eindeutig zu den besseren Kanälen. Es gibt ein durchdachtes Konzept, regelmäßigen Content und die Partei versucht, sich an die Zielgruppe anzunähern. Und das funktioniert nicht schlecht, vor allen Dingen, wenn Christian Lindner sich an einer anderen Person abarbeiten kann. Die erfolgreichsten Videos: Lindner und Neubauer, Lindner und Fußballmanager Aki Watzke, Lindner vs. Hofreiter, Lindner und Jens Spahn, Lindner und Eko Fresh, Lindner vs. Merkel.
Die CSU ...
... betreibt zwei Kanäle, CSUtv seit 2008, erst 2016 kam der Auftritt der Bundestagsfraktion dazu.
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Abonnent*innen: 9 500
Views: 5.000.000
Meist gesehenes Video: 1.151.000 – „Klimaschädliche GRÜNE Vielflieger???“
Der wahrscheinlich bekannteste Youtube-Kanal gehört der Bundestagsfraktion der CSU. Blondgefärbt, hip, aufgedreht, jung – Host Armin Petschner soll all das verkörpern, was die CSU nicht ist. Knallige Farben, freche Sound- und Visual Effekte sollen dieses Auftreten noch verstärken, während Petschner mit übertrieben-ironischen Tonfall und süffisantem Dauergrinsen über die „Fails“ der anderen Parteien oder Greta Thunberg lästert. Mehr als eine Millionen Views, 62 000 Kommentare, 213 000 Dislikes, 97 Prozent negative Bewertungen, so startete die CSU ihr neues Youtube-Format CSYou. Die CSU hat mittlerweile einiges ausprobierte, um den Kanal zu optimieren: ein altgedienter Kollege, der auf bayrisch redet, Philipp Amthor, Petschner ohne gefärbte Haare. Die Reaktionen bleiben die gleichen – die Dislike-Quote hat sich im Laufe der Sendungen nur minimal verbessert.
So harsch die Kritik auch ist, muss man der CSU zu Gute halten: Als einzige Partei hat sie tatsächlich ein echtes, durchdachtes Konzept für Youtube entwickelt, ein Studio zur Verfügung gestellt, Budget in die Hand genommen, um Musiklizenzen und einen wirklich sehr guten Cutter zu bezahlen. Der Inhalt bleibt optimierbar, vielleicht war ein Host, der Tichys Einblick und Donald Trump retweetet und von Feminismus mit Anführungszeichen schreibt, nicht die optimale Wahl.
Die CDU ...
... betreibt seit 2006 ihren Youtube-Kanal, zwei Jahre später kam ihr zweiter dazu.
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Abonnent*innen: nicht öffentlich
Views: 10.500.000
Meist gesehenes Video: „Briefwahlclip zur Europawahl“ mit 1.934.911 Clicks
Neun Stunden 46 Minuten und 47 Sekunden Länge – mit einem ihrer aktuellsten Videos vom CDU-Parteitag beweisen die Christdemokrat*innen, dass sie das Medium Youtube nicht so ganz verstanden haben. Und das zeigt auch die Statistik: Mit 98 Views kratzt dieses Epos vom CDU-Parteitag an dreistelligen Klickzahlen. Wer sich dann mit fast zehn Stunden „#cdupt“ in den Channel eingegroovt hat, kommt so richtig auf seine Kosten. In den Thumbnails dominieren die Farben Schwarz, Rot, Gelb und natürlich Grau – die Farben, die den Konservativismus mit aller Radikalität hinausschreien. Die Playlists haben packende Namen wie „Werkstattgespräch“, „Pressekonferenzen“, und „#fedidwgugl Haus“. In „Grundsätzlich CDU“ lädt die Partei in unregelmäßigen Abständen zu Grundsatzdiskussionen und versucht, das Konzept von Polit-Talkshows ohne ausgebildete Moderator*innen und mit wenig Budget auf Youtube zu kopieren.
Zum Glück gibt es ja noch den Kanal der Bundestagsfraktion der beiden Schwesterparteien CDUS/CSU. Hier gibt es zwar auch stundenlange Mitschnitte von Konferenzen (teilweise ohne einen einzigen Klick) und Krachervideos wie „Gitta Connemann: ,Der Borkenkäfer lässt sich nicht totstreicheln!‘“, aber zumindest auch mit „3 Fragen / 3 Antworten“ und dem Interviewformat „#BrinkausLive“ einen Versuch, der Plattform gerecht zu werden.
Die Grünen ...
... zeigen ihre Enthaltsamkeit auch auf Youtube: Seit Mai 2006 kommt die Partei mit nur einem Account aus.
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Abonnent*innen: 16 400
Views: 13.764.791
Meist gesehenes Video: 2.100.000 – „Grüner Wahlwerbespot 2017“
Meditative Klänge, salbungsvolle Stimmen, grüne Landschaften. Auf dem Youtube-Kanal der Grünen entführt uns Anton „Toni“ Hofreiter in der Rubrik „Auf lange Sicht“ auf einen Wandertrip in die Alpen und erklärt uns dabei mit sanfter Stimme die Welt. Begleitet wird er von Charlotte, der Social-Media-Beauftragten der Grünen, die ihm auf pseudo-journalistische Art Vorlagen liefert, die „Toni“ in minutenlange Monologe verwandelt. „Wäre es denn wirklich schlimm, wenn die Bienen aussterben?“, „Warum wurde denn bisher so wenig gegen den Klimawandel getan?“, „Hast du auch Beispiele für die Lösungen, die wir jetzt finden müssen?“ Und ja: Toni hat Beispiele. Sehr lange Beispiele. Unterbrochen wird sein Redefluss nicht von Nachfragen, sondern von Musik, wie man sie sonst nur aus seichten Landschaftsdokus in den Öffentlich-Rechtlichen kennt, kombiniert mit Schnittbildern von Bäumen und Fakten, die Hofreiters Thesen belegen.
Neben diesem gibt es noch das Format „#ClimateonFire“, in dem Bundestagsabgeordnete zu hektischer Trommelmusik gehetzt erklären, warum Klimaschutz jetzt wichtig ist. Die Videos dauern weniger als eine Minute, keine optimale Länge für Youtube, die Kommentare unter den Videos sind ausgestellt. Einerseits verständlich, wenn man weiß, wie auf Youtube diskutiert wird und gerade rechte Trolle die Plattform nutzen. Aber eine Partei sollte diese anstrengende Aufgabe doch annehmen.
Die Linke ...
... war eine der ersten Parteien auf Youtube. Der Hauptaccount wurde im September 2006 gelauncht, zwei Jahre später kam ein zweiter hinzu.
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Abonnent*innen: 40 000
Views: 24.900.000
Meist gesehenes Video: 1.300.000 – „Lammert schaltet Wagenknecht das Mikro ab“
Der erste Blick auf den Youtube-Kanal der Linken Bundestagsfraktion dürfte wohl keinen jungen Menschen richtig catchen. Zwar ist der Channel gut gepflegt und wird regelmäßig aktualisiert, aber die neuesten Pressekonferenzen, Reden aus dem Bundestag und zweieinhalbstündige Podiumsdiskussionen sind kein unbedingter Erfolgsgarant. Zumindest in einer Welt, in der Phoenix nicht deutlich beliebter ist als Netflix.
Die einzige Rubrik: „Korte startet in die Sitzungswoche“ – Ein zweiminütiges Video, in dem Bundestagsageordneter Jan Korte jede Woche die Zuschauer*innen in die neue Woche im Bundestag einführt. Natürlich mit Kaffeetasse in der Hand. Die Kaffetasse ist in der Politik unverkennbar DAS Gadget, um Volksnähe zu demonstrieren. Doch bei der Linken geht man noch einen Schritt weiter, denn auf der Tasse prangt fett: Kippe, Kaffee, Klassenkampf. In sich ist das Konzept stimmig, nicht nur die Tasse verströmt den Geruch von unangepassten Linken. Korte selbst wirkt so, wie man sich einen echten Linken vorstellt: kein Anzug, sondern Hoodie und Band-Shirts, ein Büro voller Poster. Die Videos sind eine Mischung aus kämpferischen Ansagen, langem Schwadronieren, unsauberen Schnitten und sinnlosen Gängen durch das Büro.
Die AfD ...
... gründete mit dem Einzug in den Bundestag 2017 ihren Haupt-Youtubeaccount.
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Abonnent*innen: 64 000
Views: 16.293.449
Meist gesehenes Video: 185 000 – „Sie hätten den Wehrdienst nicht alle verweigern sollen.“
Kein Kanal lädt so viele Videos hoch wie die AfD. Kaum verwunderlich, dass die sogenannte Alternative auch auf Youtube ihre Dauerbeschallung betreibt. Videos heißen: „Regierung ist analoge Gurkentruppe mit Allmachtsfantasien“, „Meisterbrief ist gute, alte, deutsche Tradition“, „CDU/CSU, steht das C im Namen jetzt für den Halbmond?“. Im Grunde sind das alles Reden aus dem Bundestag, doch die AfD passt zumindest die Thumbnails der üblichen Youtube-Optik an: AfD-Abgeordente*r am Pult, daneben eine türkisfarbene Textkachel, die Titel und Rede noch einmal aufgreift. Dazu gibt es selbst produzierte „Dokus“, in der fünf AfD-Männer an die Grenze nach Kroatien fahren, um von der Balkanroute zu erzählen, was die Medien angeblich nicht berichten würden und scheuen sich nicht einmal davor, junge Geflüchtete vor die Kameras zu ziehen und für ihre Zwecke zu missbrauchen.
Das scheint bei der Zielgruppe ziemlich gut zu ziehen. Die Kommentare sind voller Lob für die AfD und natürlich voller Hass gegen alle, die nicht ihre Meinung teilen. Da steht zum Beispiel „Die AFD IST die einzige Partei die man wählen und an hören kann. wenigstens eine Partei die fürs Volk.kämgft.“ oder „Grünen Kreisch-Weibern sollte Politik verboten werden !!! Gesetzlich !!!!“ Fast jedes Video hat, laut Youtube, fünstellige Besucherzahlen.