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Wenn in der Heimat Rechtsextremismus geduldet wird

Illustration: FDE

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Das Jahr 2020 hat auch gezeigt: Es ist wichtig, dass man sich im eigenen Zuhause wohlfühlen kann, wenn draußen Infektionsgefahr herrscht. In der Corona-Pandemie wurde das Landleben plötzlich attraktiver als beengte Mietshäuser in der Stadt. In unserem Dorf-Schwerpunkt widmen wir uns diesem neuen Sehnsuchtsort – mit all seinen schönen, aber auch anstrengenden Seiten.

Ein kleines fränkisches Städtchen, umgeben von vielen Dörfern, Wäldern und Feldern. So idyllisch könnte ich die Gemeinde beschreiben, in der ich aufgewachsen bin. Wären da nicht die politischen Überzeugungen ihrer Bewohner*innen und deren Umgang mit allem, was rechts der CSU steht. Die Devise lautet: dulden, relativieren und beschönigen. Klare Kante gegen rechts zu zeigen, geschieht eher im Privaten, unter Gleichgesinnten, jedoch nicht in der Öffentlichkeit. Das habe ich bereits als Teenager lernen müssen.

Direkten Kontakt mit Rechten hatte ich das erste Mal mit 15 Jahren, in meiner Mannschaft beim lokalen Fußballverein. Vor und nach dem Training hörten wir gemeinsam über einen CD-Player Musik. Lange waren das vor allem ironisch Schlagersongs von Roy Black und Tony Marshall, doch irgendwann ertönte einschlägiger Rechtsrock. Manche Mitspieler hatten sich bereits in der Grundschule euphorisch über die Band „Landser“ unterhalten. Als Viertklässler wusste ich natürlich nichts von deren antisemitischen Texten oder generell von Rechtsrock. Mit 15 Jahren aber war ich sehr links eingestellt und mir war klar, was die Texte meinten. Und auch, dass man Rechtsrock nicht ironisch wie Schlager hören kann.

Fußballverein, Kneipe, Club – Rechtssein ist salonfähig

Ich verließ deshalb den Verein kurz vor Saisonende. Eine Erklärung gab ich meinen Mitspielern nie, der Kontakt brach ab. Wir mussten nicht miteinander reden, um zu verstehen, dass wir in politischer Hinsicht Welten auseinander lagen. Dass sich manche von ihnen Jahre später auf Festen damit brüsteten, NPD gewählt zu haben, wunderte mich nicht. 

Kurz vor dem Abitur saß ich mit Schulfreund*innen in einer Kneipe, die eigentlich dafür bekannt war, dass dort gerne Altrocker und Punks verkehrten – also Leute, die politisch eher links stehen. An diesem Abend waren wir bis auf eine Gruppe von Anfang-, Mitte-Dreißigjährigen die einzigen Gäste. Ein Pärchen betrat die Kneipe und begrüßte Bekannte mit dem Hitler-Gruß.

Meine Freund*innen und ich diskutierten ziemlich lange, ob wir etwas unternehmen sollten, konnten uns aber nicht einigen. Viele wollten einfach keinen Streit anfangen. Erst, nachdem das Pärchen gegangen war, ging ich zur Kellnerin und sprach sie auf das Paar an. Sie sagte, dass sie sich nicht getraut hätte, das Pärchen rauszuschmeißen. Ich kontaktierte daraufhin die Besitzerin und teilte ihr den Vorfall mit. Als Antwort stellte sie mir die Gegenfrage, was denn nach 1945 überhaupt noch ein Nazi sei. In ihrer Kneipe seien alle Leute willkommen. 

Jede dieser Erfahrungen schürte in mir Frustration und Ohnmachtsgefühle. Nach dem Abi bin ich weggezogen. Bis heute bin ich froh, diesen Schritt gemacht zu haben.

Ich bin gegangen, viele Freund*innen sind geblieben

Die neue Stadt, meine erste eigene Wohnung, mein Studium und ein neuer Freundeskreis vertrieben Frustration und Ohnmachtsgefühle. Obwohl mein neuer Wohnort geografisch nicht weit weg von meinem alten lag, war alles anders: Die politischen Verhältnisse waren auf einmal viel klarer abgesteckt und Rechtssein wurde öffentlich verurteilt. Aufgrund der neuen Lebensrealität fand Rechtsextremismus für mich nur noch beim Verfolgen politischer Debatten im TV, im Internet oder auf Anti-Nazi-Demos statt, wenn Faschos für irgendwelche Kriegsgedenken demonstrieren wollten.

Viele meiner damaligen Schulfreund*innen blieben jedoch in der Gemeinde wohnen, pendelten entweder täglich zwischen Ausbildungsplatz, Universität und dem Elternhaus oder fuhren jedes Wochenende zurück nach Hause. Kathi** (Name geändert) ist eine dieser Schulfreund*innen, sie ist politisch ähnlich eingestellt wie ich. Im Gegensatz zu mir musste sie sich zwangsläufig weiterhin mit der politischen Situation in unserer Heimat auseinandersetzen. So richtig kann ich das bis heute nicht verstehen. Deshalb rufe ich sie an. 

Ich möchte von ihr wissen, warum sie überhaupt dort geblieben ist. „Ich mag es einfach, dort alle Leute zu kennen“, sagt Kathi. „Die habe ich durch mein Engagement in einigen Vereinen kennengelernt.“ Außerdem habe sie es nicht weit zu ihrer Arbeit und viele, die weggezogen sind, kämen ja auch immer wieder, um Familie und Freund*innen zu besuchen. Mir war dieses Jeder-Kennt-Jeden schon immer suspekt und ehrlich gesagt, finde ich es dadurch noch absurder, dass niemand etwas gegen die Rechten tut. Denn alle wissen  davon und Kathi muss doch auch welche kennen.

Kathi erzählt, dass schon ein paar Leute in der Gegend dafür bekannt seien, rechtsextrem zu sein – „aber jeder geht eben seinem Wissen und Gewissen entsprechend damit um. Manche sagen: ‚Ach, das ist mir egal, denn das ist so ein guter Kerl.‘ Andere sagen: ‚Ich weiß, dass das ein Rechter ist und deshalb meide ich ihn.‘“ 

Dafür habe ich kein Verständnis. Außerdem weiß ich, dass man sich in unserer Heimat nicht wirklich meiden kann und eigentlich sieht Kathi das auch ein: „Man kann sich hier natürlich nicht so einfach aus dem Weg gehen wie in einer Großstadt. Die Frage ist nur immer: Diskutierst du mit den Leuten oder lässt du es?“ Bis zu einem gewissen Grad könne man diskutieren, sagt Kathi. Doch meistens komme sie an einen Punkt, an dem sich jede Diskussion erübrigt. 

Ich finde es gut, dass Kathi mit Rechten diskutiert und denen, die Rechtssein dulden. An ihrer Stelle wäre ich aber extrem frustriert, nichts an deren Einstellung ändern zu können. Kathi betont, dass sie keine rechten Freunde habe, es aber Leute gebe, die sagen: „Die politische Einstellung meiner Freunde beeinflusst mich ja nicht.“

Ich mache mir Sorgen, dass genau deshalb Rechte vermehrt Einzug in die Kommunalpolitik halten könnten – Kathi nicht: „Mir macht das weniger Angst als der Rechtsruck auf Bundesebene.“ Die Politiker*innen dort seien unnahbare Akteur*innen, die eher in Medien als im eigenen Leben auftauchen. Auf dem Land dagegen laufen sich Kommunalpolitiker*innen und Wähler*innen zwangsläufig über den Weg – und im schlimmsten Fall könne man deshalb ja die Wähler*innen mit den rechtsextremen Überzeugungen der Kandidat*innen konfrontieren und darüber aufklären. 

An der Gesamtsituation hat sich auch nach Jahren nichts geändert

Ich verstehe, was Kathi damit meint, jedoch halte ich es für wahrscheinlicher, dass Rechtssein beschwichtigt wird, wenn es hart auf hart kommt – das haben mir meine Erlebnisse gezeigt.

Dennoch: Ich respektiere Kathi dafür, trotz ihrer linken Überzeugungen geblieben zu sein. Am Ende unseres Telefonats frage ich sie deshalb, ob sie und unsere Freund*innen es feige finden, dass ich mich nach dem Abi abgekapselt habe. Kathi überlegt etwas länger, antwortet mir dann aber: „Nein. Ich und unser Freundeskreis waren uns immer einig, dass du deinen Frieden in der Heimat nicht gefunden hättest und, dass du das getan hast, was für dich richtig war.“

Das stimmt: Ich habe mit meiner Heimat bisher noch keinen Frieden schließen können – auch nicht durch mein Gespräch mit Kathi. Danach realisiere ich erst so richtig, dass sich rein gar nichts an der Gesamtsituation geändert hat. Ich finde es gut, dass Kathi und die anderen trotzdem ein zufriedenes Leben führen und auch mal mit den entsprechenden Personen über politische Ansichten diskutieren. Immerhin überlassen sie unsere Heimat dadurch nicht komplett den Rechten. Ich wünsche mir aber, dass sich die Einwohner*innen der konstanten, politischen Bedrohung endlich bewusst werden. Doch solange Widerstand nur im Kleinen, im Gespräch zwischen Einzelnen stattfindet, bleibt Rechtssein in meiner Heimat im Großen und Ganzen salonfähig. Und solange bleibt es für mich unvorstellbar, dort zu leben.

* Unser Autor möchte lieber anonym bleiben, damit er seinen Heimatort weiterhin noch immer mal besuchen kann. Sein Name ist der Redaktion aber bekannt. ** Kathi möchte ihren richtigen Namen nicht angeben. Auch der ist der Redaktion aber bekannt.

Hinweis: Dieser Text wurde am 5. September 2020 zum ersten Mal veröffentlicht und für diesen Schwerpunkt noch einmal aktualisiert. 

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