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Schwanger!-Kolumne: Max schlägt zu
Am Wochenende waren wir zum ersten Mal wegen häuslicher Gewalt mit dem Baby im Krankenhaus. Das kam so: Max und ich spielen Scrabble im Bett. Matratze 1,40, ich lieg seitlich auf der einen Seite, Max auf der anderen, einander zugewendet, in der Mitte erst mein Bauch und dann das Spielbrett, auf dem es akut um die Wurst geht. Über meinem Bauch eine Decke. Auf dem Feld liegt „hinken“, Max macht daraus einen „Schinken“ und erntet damit 46 Punkte. Ich werde leicht nervös bzw. stark kompetitiv, wie Max es nennen würde, und beginne mit zusammengekniffenen Lippen zu grübeln. L S N N E D E. Seele, Ende, Edel ...
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
„Lendenschinken!“ brülle ich, dass die Bettdecke zittert. Und lege vergnügt 67 Punkte an. Max Miene verfinstert sich. Er zieht Duden und Laptop unter dem Bett hervor, Google sagt: „Lonzino (Lendenschinken) – dieser Schinken stammt aus den Lenden schwerer Schweine aus italienischen Zuchtbetrieben gekreuzter und ausgelesener weißer Rassen.“ Ich grinse siegessicher. Max wird sauer. „Du gewinnst immer!“ sagt er. „Immer, immer, immer!“
Und während sich Max in diesen halb echt beleidigten, halb gespielten „Immer, immer immer!“-Wutanfall immer weiter hinein steigert, holt er aus, macht in der Luft eine Faust und lässt diese Faust mit voller Wucht zwischen uns in die Bettmitte krachen, bzw. dahin, wo er die Bettmitte vermutet – im Moment allerdings meine Bauchmitte ruht.
Ich jaule laut auf, Max zieht geschockt die Faust zurück, wir schreien und kreischen wild durcheinander, ich: „Auauaua!“, Max „OhGottOhGottOhGott!“, wir springen auf und ich halte meinen Bauch und Max hält ihn auch und wir brauchen bestimmt drei extrem hysterische Minuten um uns ein kleines bisschen zu beruhigen und zu verstehen, was überhaupt passiert ist. Stille. Max mit Panik im Blick. Ich taste langsam den Bauch ab. Ist das da der Kopf, wo er getroffen hat? Leichte Kopfnuss oder Knockout? Und was jetzt bitte tun? Wir streicheln und küssen den Bauch und versuchen, das Kind darin zu überreden, sich endlich und eindeutig zu regen. Aber der Wurm schläft. Oder er ist in Ohnmacht gefallen. Oder er ist mit einer riesigen Beule am Kopf erstarrt. Oder er kann sich gar nicht mehr regen ... Das Kopfkino beginnt.
Nach drei Stunden ohne eindeutige Zeichen aus meiner Mitte beschließt Max, dass wir jetzt ins Krankenhaus fahren müssen. Ich sage, dass der Bauch sich allerdings oft drei Stunden nicht rührt. Max sagt, dass das egal ist. Und dass Krankenhäuser für so etwas schließlich da sind. Ich will, dass er mir verspricht, dass er dem Arzt die Situation erklärt, weil es mir peinlich ist, jemanden mitten in der Nacht zu wecken, wenn dann am Ende gar nichts ist. Max sagt, dass ich zu viele Mediziner in der Familie und einen großen Vogel habe. Er bringt mir meine Jogginghose. Im Taxi überlegen wir kurz, ob wir irgendwas von „aus Versehen hingefallen“ erzählen sollen, weil der Jugendschutz bei uns sonst schon vor der Tür steht, bevor wir überhaupt Eltern geworden sind. Wir beschließen, auf unser solides Aussehen zu vertrauen und bei der Wahrheit zu bleiben.
In der Maistraße sind alle sehr nett. Ich werde an den Wehenschreiber angeschlossen und dann an ein sehr modernes Ultraschallgerät. Das Kind chillt gemütlich in seinem Saft ab, kratzt sich mit der Hand am Fuß und steckt dann den Daumen in den Mund. „Riesenbrocken“ sagt der Arzt. „Und allerbestens aufgelegt. Aber spielen Sie nächstes Mal doch lieber Halma statt Scrabble.“
Zum Schlafen kommen wir in dieser Nacht trotzdem nicht mehr. Eng aneinander gedrückt reden wir die ganze Nacht über unsere neuen Ängste. Um uns selbst. Um einander. Um den Wurm. Über Max seine Angst letzte Woche in der Trambahn, als ein alter Mann vor mir stand und Max plötzlich das Bild vor sich sah, wie dieser Mann bei der nächsten Kurve stürzt und mit seinem knochigen Hintern auf meinem Bauch landet. Über meine Angst um Max als er letztens freihändig auf dem Fahrrad gleichzeitig eine Filmszene nachspielte, eine Banane aß und versuchte, Blickkontakt mit mir hinter sich zu halten. Über meinen Traum vom Wurm, in dem er sich eines Nachts wie ein Alien durch die Bauchdecke schälte und dann erstickte, weil er ja draußen noch gar nicht atmen kann. Und über Max Paralleltraum dazu, in dem das Kind als Chuckie die Mörderpuppe auf die Welt kam und nur bei Vollmond lebendig wurde.
Wir reden bis der Wecker klingelt. Und beschließen beim Frühstück, von nun an am besten überhaupt nie mehr – und wenn dann doch, nur noch gemeinsam um irgendetwas Angst zu haben.
Text: linda-ende - Illu: Katharina Bitzl