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Schwanger!-Kolumne: Bye, bye Party ...

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Gestern Abend war ich in der Roten Sonne auf einem Konzert von Rocko Schamoni. Rocko, Liebe meines Lebens. Der einzige Mann, der in mir je so etwas wie Fantum hervorrufen konnte. Stark, behaart, saucool. Ich kreische innerlich, wenn ich Rocko sehe. Was gestern zum Problem wurde, denn in mir drin, da ist ja momentan noch was anderes. Erste Reihe, Rocko etwa zwei Meter vor mir, klampft und singt schön schwulstig dazu: „Du gehst durch dunkle Straßen in irgendeiner Stadt Und denkst, dass das Leben dir doch noch mehr zu geben hat. Die verdammte Langeweile schlägt dir den Schädel ein. Den Herzschlag bestimmen: Sex, Musik und Prügelei, Sex, Musik und Prügelei“ Sex, Musik und Prügelei ... Wir, also ich und die anderen 20 schwer verliebten Frauen um mich herum, wippen mädchenhaft mit den Knien, ein seeliges Lächeln im Gesicht, lalala „Sex, Musik und Prügelei ...“ lalala – da plötzlich: ein Tritt, direkt in die Blase. Und noch einer, buff, Magengegend. Mitte Bauchnabelhöhe buff, buff, buff. „Schnauze hier!“ boxt mein Kind. Ich höre auf zu wippen, halte meine Hand gegen den Bauch und versuche, das äußere Bassvibrieren vom inneren Getrete zu unterscheiden. Sohn siegt, ordentliche Rechte, buff, buff, buff.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich versuche mich durch die dichten Reihen der schunkelnden Rockofans etwas an den Rand zu quetschen und bleibe mit dem Bauch an Handtaschen und Männerhintern hängen. Ich überlege, ob ich im Moment schräg oder gerade gehend breiter bin, entscheide mich für gerade und halte meine Hände auf den Bauch, Ohrenzuhalten von außen. Das Kind, ich will es plötzlich unbedingt Rocko nennen, schlägt weiter. „Sex, Musik und Prügelei, buff buff buff.“ Tanzt er oder ärgert er sich? Mag er das Basswippen oder holt er sich gerade das erste Konzert-Ohrenpiepsen seines Lebens? Mein Gewissen verschlechtert sich, als ein Lichtkegel vor mir die Luft sichtbar macht. Millionen vibrierende, friedliche schwebende, graue Nikotinpartikelchen. Ich werde Mutter. Meine Toleranz sinkt. Doch noch gebe ich nicht auf. Und wenn ich nächstes Mal doch den Schaumstoffgürtel anziehe, den ein Freund aus dem Dämmmaterial seines Bandprobenraums für seine damals schwangere Freundin gebastelt hat und mir vor einem Monat fürs LCD Soundsystem-Konzert vererben wollte? Seine Freundin sah damit allerdings total bekloppt aus, wie ein Michelin-Männchen auf der Loveparade. Bionade an der Bar. Eine Frau, schon etwas älter, fixiert meinen Bauch. Ich ignoriere sie. Sie schaut wieder hin. Ich nicht. Beim dritten Mal gebe ich nach und gucke zurück. Sie schüttelt demonstrativ erschüttert den Kopf. Besserwisser-Einmisch-Mütter, überall. Am liebsten würde ich eine Flasche Wodka vor ihr exen, aber Alkohol, ach Mann, Alkohol. Ich vermisse ihn. Bei der Zugabe, Rocko singt das Lied vom Mond, hat sich mein Kind etwas beruhigt. Ich kann mich wieder auf meine Liebe da auf der Bühne konzentrieren. Aber irgendetwas steht heute Abend zwischen uns. Nach dem Konzert wage ich mich noch mal ein paar Meter in den Club hinein. Meine Freundinnen sind betrunken und begeistert. „Rocko, Rocko, Rocko!“ kreischen sie, pusten mir Gin-Tonic-Fahnen ins Gesicht und tanzen. Der DJ dreht die Musik lauter. Ich gebe auf. Beim Heimradeln werde ich ein bisschen traurig. Das war’s dann also erst mal mit Weggehen. Spaß mit Spezi im Biergarten ist ja noch okay, Club mit Bionade und Bauchprügelei zwecks Film im Kopf nur schwer zu ertragen. Was, wenn das Kind Rocko scheiße findet und sich der Abend heute für ihn angehört hat, wie für mich ein Mal Genesis extra laut? Ich beschließe Rocko junior nicht mehr zu Konzerten mitzunehmen, solange er sich zum Thema Musik noch nicht qualifiziert äußern kann. Aber gegen den Namen, da kann er nix machen. Jetzt muss ich nur noch Max überreden. Illustration: katharina-bitzl

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