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Schwanger!-Kolumne: Auf die Tränendrüse
Das mit dem Weinen wird langsam ein bisschen lächerlich. Ich stelle mir die Sache in meinem Körper dazu ein bisschen wie bei „Karius und Baktus“ vor, diese beiden kleinen Kobolde, die laut Kinderbuch im Mund eine rechte Sauerei anzetteln, wenn man sich die Zähne nicht anständig putzt. In meinem Kopf also, gleich hinter den Augen, treiben derzeit ebenfalls ein paar sehr aktive Körper-Kobolde ihr Unwesen. Hormona, Tränendrüsus und Anrühria machen sich einen Heidenspaß daraus, andauernd an den Flüssigkeitsschläuchen hinter den Augäpfeln herum zu drücken, damit dann, sobald irgendwas auch noch so klitzekleines „Gefühliges“ meinen Weg kreuzt, vorne ungebremst das Wasser heraus läuft.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Zum Beispiel saß ich letztens in der U-Bahn und mir gegenüber saß ein sehr junger, sehr wild und nach Disco und vielen Frauen aussehender Italiener mit langen Locken – und auf seinem Schoß kuschelte ein etwa zehnjähriges behindertes Kind. Der Italiener hat das Mädchen ganz fest gedrückt und immer mit seinem Mund in die Haare des Kindes geblasen. Und dieses Küssen am Kopf, das hat mich so dermaßen gerührt, dass ich nichts dagegen tun konnte, aber die Tränen liefen mir runter ohne Pause und Stopp und Verzeihen. Es war sehr unangenehm, ich musste so tun, als ob ich schwitze, auch aus den Augen vielleicht, und über diese ganze Aufregung habe ich dann aber echt das Schwitzen angefangen und ich saß da und aus allen Poren kam was raus und ich war so gerührt und konnte nur noch verschwommen auf den Boden gucken, während ich versuchte, an die Sendung „Tutti Frutti“ zu denken, was eigentlich immer hilft, wenn ich in den falschen Situationen weinen oder mich gruseln oder zu schlimm lachen muss. Diesmal half es nicht.
Vorgestern dann habe ich in der Arbeit geheult, beim Kaffeeholen in der Kantine. Der immer so traurige Mann hinter der Nachtischtheke und die motzige Frau hinter der Kasse tanzten so gegen elf in der Küche zu lauten Bob Marley-Hits. Ist das nicht auch irgendwie wahnsinnig rührend!
Und heute morgen dann der Superheulkrampf in der Maistraße beim Anmelden für die Geburt. Nachdem sie in der Schwangerenambulanz meine Daten aufgenommen hatten schickte man mich in ein hinteres Zimmer, an den Wehenschreiber, da muss man in den letzten Wochen immer hin, wenn man beim Arzt ist. Der Wehenschreiber ist ein Gerät, das die Herztöne des Kindes misst und die Gebärmuttertätigkeit der Frau, also ob da schon irgendwas da ist an Wehen oder nicht. Man muss sich dafür hinlegen und dann werden einem zwei oblatenmäßige Scheiben mit einem Gummiband auf den Bauch geschnallt. Und das Gerät fängt an zu schlagen. In einem knisternden, leicht blechernen Ton hört man das Herz des Kindes klopfen. Ein wirklich sehr nettes Geräusch.
In dem Hinterzimmer in der Maistraße lagen bereits vier verkabelte Frauen mit dicken Bäuchen und nachdem ich auch angeschlossen war, schlugen fünf Babyherzchen um uns herum um die Wette. Tufftufftuff. Bummbummbumm. Pochpochpoch. Das Wasser lief ganz vorn alleine, ich hatte kein Taschentuch und es tropfte auf den Linoliumboden. Dann fing die Frau rechts neben mir an zu schluchzen. Und die links lächelte mit extrem feuchten Blick. Irgendwann weinten wir glaube ich alle. 20 Minuten Wehenschreiber-Aufzeichnungen lang. Fünf sich vollkommen fremde, erwachsene Frauen. Warum? Keine Ahnung, wirklich nicht. Vor Glück vielleicht, dass wir es jetzt schon so weit geschafft haben mit diesen Würmern in uns drin. Vor Freude, dass sie jetzt bald dann endlich rauskommen. Und vor kleinem Schmerz vielleicht auch, dass jetzt doch vieles so anders werden wird, so viel „wichtiger“ vermutlich.
Oh Mann, Hormona, Anrühria, Tränendrüses: Aufhören! Ziel dieser Kolumne war es mal, ein bisschen anders, nicht so duziduz-gefühlsverschleiert-schnuckeldipuh über den Themenkomplex Schwangerschaft und Co. zu schreiben. Und jetzt das hier!
Text: linda-ende - Illu: Katharina Bitzl